Mülheim. Alle Kirchengemeinden in Mülheim laden jeden Abend zur gleichen Zeit zum gemeinsamen Innehalten ein. Fünf Minuten lang läuten dazu die Glocken.
In schwierigen Zeiten schöpfen viele Menschen Kraft aus ihrem Glauben. Doch gerade jetzt, wo die Unsicherheit und die Ängste aufgrund der Corona-Pandemie groß sind, bleiben die Kirchen geschlossen. Seit ein paar Tagen läuten deshalb in Mülheim alle Kirchenglocken für fünf Minuten.
Katholiken, Protestanten, Menschen die Trost suchen, halten für einige Zeit inne, beten und stellen brennende Kerzen in die Fenster. Auch der Styrumer Pfarrer Michael Manz von der evangelischen Lukaskirchengemeinde geht jeden Abend in die Immanuelkirche und lässt die Glocken läuten. Aber nicht nur das.
„Das ist schon ein ergreifender Moment“
„Ich habe gedacht, wenn ich das mache, dann kann ich mich auch im Talar und mit den Altarkerzen vor die Kirche stellen und den Menschen damit zeigen, dass ich da bin“, sagt Pfarrer Manz. „Man merkt, dass den Menschen der Gottesdienst fehlt.“
In der Johanniskirche ist Anke Spieker, die den zuständigen Küster vertritt, für das Läuten der Kirchenglocken zuständig. Für das engagierte Gemeindemitglied ist es immer wieder etwas Besonderes und ein Gänsehautmoment. „Dass in Mülheim alle Kirchen, evangelische wie katholische, zur gleichen Zeit und über mehrere Minuten ihre Glocken läuten lassen, kommt sonst nur an hohen Feiertagen vor“, sagt Spieker. „Dazu kommen noch die Kerzen in den Fenstern, das ist schon ein ergreifender Moment.“
Kommunikation von der Kirchenpforte zum Balkon
Fast noch ergreifender findet Anke Spieker die Reaktionen von Freunden und Gemeindemitgliedern. Da wird am Telefon schon die ein oder andere Träne verdrückt oder in Whatsapp-Gruppen über die Ergriffenheit und Sorgen der Menschen hin und her geschrieben.
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Zurück zur Immanuelkirche. Anwohner haben sich an den Fenstern und auf den Balkonen versammelt. Die Lichter wurden gelöscht. Nur der Schein der Kerzen in manchen Fenstern spendet etwas Licht. Still halten die Menschen inne, Paare umarmen sich und spenden sich gegenseitig Trost. Langsam verklingen die Glocken und Pfarrer Manz bringt die Kerzen wieder zum Altar. Vorher winkt er den Menschen in den gegenüberliegenden Häusern zu, einem Mann auf dem Balkon ruft er zu: „Bis morgen!“
„Bis morgen!“, ertönt es vom Balkon zurück. Denn heute, morgen und übermorgen werden die Menschen wieder da sein. Um Trost zu finden und inne zu halten.
Alle Mülheimer sind eingeladen, jeden Abend um 19.30 Uhr ihre Fenster zu öffnen oder auf den Balkon zu treten und den Kirchenglocken zu lauschen.