Mülheim. Der Fraktionschef ohne Zukunft, die Partei vor dem Stresstest: Mülheims SPD will ihr Personal für die Kommunalwahl wählen. Corona bremst sie aus.
Klar ist seit einer Woche, dass Fraktionschef Dieter Spliethoff nach der Kommunalwahl im September die politische Bühne verlassen wird. Er ist das prominenteste Opfer der personellen Neuaufstellung, die Parteichef Rodion Bakum seiner SPD verordnet hat. Beim Parteitag, der am Samstag stattfinden sollte, tags zuvor aber wegen des Coronavirus abgesagt wurde, wird die Mannschaft für die Wahlen endgültig aufgestellt. Nicht nur die Personalie Spliethoff sorgt für Sprengstoff.
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Nachdem ihm sein Dümptener Ortsverein das Misstrauen ausgesprochen und ihn dem Parteitag nicht als Kandidat für den Wahlkreis Dümpten-Süd vorgeschlagen hat, hat Fraktionschef Spliethoff bereits ausgeschlossen, es beim Parteitag noch einmal auf eine Kampfabstimmung ankommen zu lassen – oder sich für einen aussichtsreichen Platz auf der Reserveliste für den Stadtrat zu bemühen.
Entourage um neuen Parteichef Bakum hat die Regie an sich gerissen
Maximal elf Fraktionsmitglieder bleiben im Stadtrat
19 Stadtverordnete stellt die SPD aktuell im Stadtrat, darunter die Wechsler Carsten Trojahn (Ex-Pirat) und Norbert Striemann (Ex-MBI).
Dem Vernehmen nach wollten 14 davon auch im kommenden Stadtrat vertreten sein, elf haben noch reelle Chancen. Fraktionschef Dieter Spliethoff scheiterte bei der Nominierungswahl seines Ortsvereins Dümpten. Carsten Trojahn wollte in Broich antreten, der Ortsverein zog aber Susanne Dodd vor. Weil ohne Aussicht auf Erfolg, stellte der zum Ortsverein Stadtmitte gewechselte Ivica Delija seine Ambitionen hinten an.
Fünf SPD-Ratsmitglieder ziehen sich aus eigenen Stücken zurück: der langjährige Fraktionsvorsitzende Dieter Wiechering, Jan Vogelsang, Norbert Striemann, Enver Sen und Hildegard Freiburg.
Spliethoff kündigte enttäuscht an, sich zum Ende der Wahlperiode Ende Oktober aus der aktiven Kommunalpolitik zurückziehen zu wollen. Er wird aber bis dahin Fraktionsvorsitzenden bleiben, die Fraktion sprach ihm am Mittwoch dieser Woche dafür einstimmig das Vertrauen aus.
So wird Spliethoff beim noch nicht neu terminierten Parteitag nur mehr zerknirscht-beobachtend als Delegierter zugegen sein. Die Schlacht ist geschlagen, die mächtigen Strippenzieher rund um seine Person haben parteiintern die Hausmacht eingebüßt. Im Hintergrund hat die Entourage um Parteichef Rodion Bakum die Regie übernommen. Bakum macht keinen Hehl daraus, dass ihm vor der Kommunalwahl das Signal nach außen wichtig ist, „uns glaubwürdig neu aufzustellen“. Als Ziel ruft er aus, dass die SPD-Kandidatenschar möglichst einen Querschnitt der Gesellschaft bieten soll: Junge wie Alte, Frauen wie Männer sollen dabei sein.
Parteitagsbeschluss aus September 2019 zur Frauenförderung
Bakum verweist auf einen Parteitagsbeschluss von September 2019. Mit dem hat sich die Partei klar positioniert, mehr Frauen zu Mandaten zu verhelfen. Ausdrücklich heißt es da, dass schon die Ortsvereine dafür Sorge tragen sollen, Frauen als Wahlkreis-Kandidatinnen ins Spiel zu bringen. Dafür habe er zuletzt immer wieder geworben, so Bakum. Diese Trumpfkarte spielt er jetzt.
Die Gerüchteküche brodelt nicht erst seit der Wahlpleite von Spliethoff. Kolportiert wird aus Kreisen, die Spliethoff nahestehen, dass Bakum im Vorfeld der Wahlen intensiv um eine weibliche Gegenkandidatin gebuhlt habe, um den Fraktionschef für dessen Rolle in der OB-Affäre abzustrafen. Die vermeintliche Kandidatin hätte aber abgewunken.
Bakum: Habe nicht um Gegenkandidatin zu Spliethoff gebuhlt
Für Bakum ist das eine Legende. Er habe nicht explizit eine Gegenkandidatin für Spliethoff ins Rennen bringen wollen. Es sei ihm in intensiven Gesprächen mit dem Ortsverein vielmehr darum gegangen, dass dieser bei seinen Vorschlägen für insgesamt fünf Wahlkreise dem Parteitagsbeschluss zur Frauenförderung Rechnung trage. Schließlich habe der Ortsverein Dümpten neben denen in Styrum und Stadtmitte zur Kommunalwahl 2014 nur Männer als Wahlkreis-Kandidaten benannt.
In Folge der parteiinternen Querelen um die OB-Affäre dringt Bakum mit dieser Argumentation offenbar nicht zu allen Genossen durch. Im Hintergrund fliegen durchaus Fetzen, wird davon gesprochen, dass Bakum „alte Rechnungen begleichen“ wolle nach der OB-Affäre.
Ortsverein Winkhausen heizt die Stimmung zusätzlich auf
Die OB-Affäre hat tiefe Gräben zwischen Spliethoff und Bakum wachsen lassen. Auch Alexander Böhm, Ratsmitglied und Vorsitzender im Ortsverein Stadtmitte, ist seither eher Widersacher denn enger Vertrauter von Bakum. Auch Böhm muss um seine Zukunft im Stadtrat bangen. Vermeintlich wegen eines Tabubruchs gelebter Mölmscher Sozialdemokratie.
Böhms Ortsverein hatte ihn am Donnerstag vor einer Woche erneut zum Kandidaten für den Wahlkreis Stadtmitte-Ost gewählt. Doch entgegen der bisherigen Gepflogenheit, dass sich kein weiterer Ortsverein einmischt, wählten die Winkhausener Genossen zeitgleich die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, Astrid Stieren, um sie dem Parteitag als Gegenkandidatin zu Böhm zu präsentieren. Weil der Wahlkreis auch einen kleinen Teil Winkhausens einschließt.
Alexander Böhm hofft noch auf eine kurzfristige Verständigung
Böhm erwischte dies auf dem kalten Fuß. Erst eineinhalb Stunden vor der Wahlversammlung seines Ortsvereins habe er von den Winkhausener Plänen erfahren, äußert er sein „Befremden“. Christian Völlmecke, Parteichef in Winkhausen und Bakums Vize im Unterbezirk, verweist auf eine kurzfristige Entscheidung in seinem Ortsverein, die Überlegungen seien auch früher schon bekannt gewesen. Und er nennt die Frauenförderung: „Da fühle ich mich gebunden an den Parteitagsbeschluss. Wenn alle Ortsvereine paritätisch besetzt hätten, hätten wir die Probleme auch nicht.“ Böhm, sonst durchaus für scharfzüngige Worte bekannt, wählt leise Töne. „Wir können es nicht gebrauchen, Öl ins Feuer zu gießen.“
Weiter hoffend, dass noch eine Lösung zu finden ist, wie die ohnehin arg strapazierte Seele der Mülheimer Sozialdemokratie einer unter den Umständen der OB-Affäre heiklen Kampfabstimmung aus dem Weg gehen könnte. Wie eine Verständigung aussehen könnte, wollten Böhm und Völlmecke nicht sagen. Das weiß Böhm auch: Sein Ortsverein erfüllt die Frauenquote nicht.
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Bakum: Wir werden den Frauenanteil mindestens verdreifachen
Jeder müsse das Seinige zur Frauenförderung in der Partei beitragen, sagt Parteichef Bakum. Er verweist darauf, dass er selbst nicht mehr in Eppinghofen antritt, wo die SPD zuletzt noch die Hausmacht hatte. Bakum räumte seinen Platz dort für eine Frau, Elke Domann-Jurkewicz tritt an. Bakum selbst stellt sich dem Wettbewerb in Broich-Süd, wo die SPD zuletzt nicht das Direktmandat zog. Er wohnt dort aber auch.
Nutzt Bakum nun den Parteitagsbeschluss zur Frauenförderung, um sich unliebsamer Genossen zu entledigen? Er bestreitet das. Allein gelte es, durch die Nominierung geeigneter Kandidatinnen die Männerdominanz zu durchbrechen. „Für Rat und Bezirksvertretungen werden wir zusammen auf bis zu 20 Kandidatinnen kommen. Rein realistisch gesehen, kommen davon 17 rein. Damit werden wir den Frauenanteil mindestens verdreifachen. Was die Geschlechtergerechtigkeit angeht, machen wir einen Schritt nach vorne“, sagt er.
„Wir müssen jetzt zeigen, dass wir gelernt haben und uns neu aufstellen“
Vor dem Parteitag wirbt Bakum angesichts der neu aufflammenden Grabenkämpfe um Geschlossenheit, „wir brauchen wirklich alle“. Auch wenn es zu Kampfabstimmungen komme, sei das nur „echte und gelebte Demokratie“, die auch „sehr heilsam“ sein könne für seine SPD. „Wir sollten uns daran gewöhnen, dass Wahlen die Lösung für Meinungsverschiedenheiten sind.“
Auch die dann Unterlegenen seien aufgerufen, weiter mitzutun. „Die vergangenen zwei Jahre waren wirklich schwierig für uns. Wir müssen jetzt zeigen, dass wir gelernt haben und uns neu aufstellen.“