Mülheim/Essen. Susanne Giese aus Mülheim hat Endometriose durchlitten, seit sie ein Mädchen war. Seit einer OP am Uniklinikum Essen sind die Schmerzen weg.
Mit elfeinhalb Jahren, als ihre Periode einsetzte, begannen bei Susanne Giese die heftigen Krämpfe und massiven Blutungen. Dass dahinter eine chronische Frauenkrankheit steckt, dass diese Bauchschmerzen nicht „normal“ sind – woher soll ein so junges Mädchen das wissen? Susanne hat sehr lange gebraucht, um zu verstehen. Es hat ihr auch lange niemand geholfen.
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Dabei sind so viele von Endometriose betroffen, laut Expertenschätzungen bis zu sechs Millionen Frauen in Deutschland. Bei ihnen wächst während des Zyklus’ nicht nur die Gebärmutterschleimhaut (Endometrium), sondern ähnliches Gewebe wuchert an anderen Stellen im Unterleib, an den Eileitern, an der Blase, am Darm. Dieses entwickelt Monatsblutungen, im Bauchraum entstehen Entzündungen, Verklebungen. Susanne war, wie sie heute weiß, ein ganz besonders schwerer Fall.
Mit blutiger Jeans von der Schule nach Hause gefahren
Schon als Teenager hätten die Beschwerden sie von vielen Aktivitäten abgeschnitten, berichtet die Mülheimerin: „Teilweise hatte ich 14 Tage lang extreme Blutungen, konnte mich im Unterricht vor Schmerzen nicht konzentrieren, habe beim Sport und Schwimmen auf der Bank gesessen, bin in blutiger Jeans mit Bus und Bahn nach Hause gefahren.“
Ihre Familie habe sie nicht ernst genommen. Bestenfalls gab es eine Wärmflasche oder eine Schmerztablette. Im Laufe ihres Lebens als erwachsene Frau wurde das Leiden immer schlimmer, die Suche nach Linderung zu einer Odyssee. „Viele Gynäkologen beraten nicht ausreichend“, sagt Susanne. „Ich habe 30, 40 Ärzte im Umfeld besucht, die mir nicht helfen konnten.“
Eisentransfusionen und am Ende Todesangst
Am Ende sei sie auch Stammpatientin in einer hämatologischen Praxis gewesen, völlig geschwächt vom ständigen Blutverlust. „Durchgeblutete Betten, Bürostühle, Autositze...“ Häufig habe sie Bluttransfusionen bekommen, am Ende wöchentliche Eisentransfusionen. „Im letzten Jahr hatte ich wirklich Todesangst.“
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Die Krankheit war zum existenziellen Problem geworden, auch in beruflicher Hinsicht. Susanne ist gelernte Friseurin, später bildete sie sich fort als staatlich anerkannte Familienpflegerin, als Ernährungsberaterin, für die Kindertagespflege. Doch nirgendwo ist sie längerfristig gelandet, wegen der Endometriose, wie sie meint. „Ich habe mich immer mal ein oder zwei Jahre durchgeschleppt, bin dann aber meist durch lange Krankschreibungen ausgeschieden.“ Befristete Verträge wurden nicht verlängert.
Ein „kleines Leben“, auch finanziell
Sie sagt: „Ich realisiere erst jetzt, in was für einem kleinen Leben ich hier sitze.“ Finanziell auf winziger Basis. Vieles habe gefehlt, was andere Frauen haben: „Urlaube, Kinder bekommen – vor allem Sicherheit. Ich hatte immer Angst, meinen Job zu verlieren.“ Auf Rückhalt aus dem Familien- und Bekanntenkreis konnte sie nicht bauen: „Ich habe oft gehört: ,Du bist einfach nur faul.’“ Ihre letzte feste Stelle hatte Susanne in einer städtischen Kita. Momentan hängt sie wieder in der Luft, hat einen Antrag auf Schwerbehinderung gestellt, lebt von Sozialleistungen. „Mir winkt Altersarmut, das ist klar. An Rente komme ich nicht mehr dran.“
Susanne wollte immer gerne Kinder haben, sie wird sicher keine mehr bekommen. Mit Ende 20 – damals war sie verheiratet – wurden ihre Beschwerden auf angebliche Myome zurückgeführt. Ihre erste große Operation erfolgte, mit Bauchschnitt, doch die erhoffte Schwangerschaft blieb aus. Die Krankheit verschlimmerte sich.
Erhoffte Schwangerschaft blieb aus
Als Jahre später endlich klar war, dass Susanne an Endometriose leidet, wurde ihr geraten, die Gebärmutter entfernen zu lassen. Bei vielen Frauen lindert eine solche OP das Leiden nachhaltig. Für Susanne kam es nicht in Frage. Der Kinderwunsch war stärker. Mit 39 wurde sie erneut operiert – gebärmuttererhaltend. Die extremen Blutungen, die Schmerzen kamen zurück – „heftig wie Wehen“, leider ohne glückliche Entbindung.
Für Susanne begannen danach die schlimmsten Jahre, aber auch eine Zeit, in der sie sich zunehmend selber schlau machen konnte. Dank Internet. Auf diesem Wege sei sie auf die sogenannte Da-Vinci-Methode gestoßen: Operationen mit Hilfe eines modernen Robotersystems. Sie fand heraus, dass solche Eingriffe unter anderem in der Gynäkologie des Essener Uniklinikums durchgeführt werden.
Im Essener Uni-Klinikum unter Einsatz eines Roboters operiert
Im August 2019 wurde die Mülheimerin dort operiert, fast neun Stunden lang, wie sie berichtet, von Chefarzt Prof. Rainer Kimmig. In chirurgischer Feinarbeit, unter Einsatz hochbeweglicher Roboterarme, wurde ihre Gebärmutter aus dem völlig verwachsenen, verklebten Bauchraum gelöst, außerdem ein Eierstock entfernt. Seitdem sind die Schmerzen weg. Eine Reha schloss sich an, bei der die 54-Jährige andere betroffene Frauen kennenlernte und erstmals auch mit einer Psychologin sprach. Eine wichtige Erkenntnis der vergangenen Monate: „Ich habe mich so oft abservieren lassen. Die Frage ist: Wie ernst habe ich mich selber genommen?“
Hier will sie anknüpfen. Will andere Frauen und Mädchen stark machen: „Egal, was ihr habt, geht euren Weg.“ Ihre kreative Seite setzt sich mehr und mehr durch, sie betreibt Upcycling, gestaltet aus alten Kleidungsstücken neue. An zwei Nähmaschinen in ihrem winzigen Appartement in Dümpten werden aus abgelegten Männerhemden bunte Sachen für Frauen: Kleider, Röcke, Boxershorts.
„Wenn Endometriose eine Männerkrankheit wäre, würde mehr geforscht“
Susanne will ihre Kreationen auf Flohmärkten verkaufen und den Erlös nicht für sich behalten, sondern an die Endometriose-Vereinigung Deutschland spenden, eine Selbsthilfeorganisation. Sie möchte anderen Frauen Mut machen – „es gibt so viele, die noch leiden“.
Mehr als vier Jahrzehnte mit dieser Krankheit haben einige Gewohnheiten geprägt, die sich schwer ablegen lassen. Susanne packt immer noch massenhaft Binden in den Einkaufskorb – bis ihr einfällt, dass sie keine mehr braucht. Sie kleidet sich bevorzugt Schwarz, mit Oberteilen, die den Po bedecken – obwohl sie nicht mehr blutet. Sie glaubt: „Wenn Endometriose eine Männerkrankheit wäre, hätte sie eine viel größere Lobby. Dann würde viel intensiver geforscht.“
„Aus meiner Sicht die beste Methode“ - Interview mit Chefarzt Prof. Dr. Rainer Kimmig
An der Universitätsfrauenklinik Essen werden Patientinnen, die an schwerer Endometriose leiden, auch mit Hilfe computergesteuerter Roboter operiert. Das neueste System heißt Da-Vinci. Chefarzt Prof. Dr. Rainer Kimmig hat auf diese Weise auch die Mülheimerin Susanne Giese operiert. Hoffnung auf eine endgültige Heilung kann der Experte allerdings nicht machen...
Kann man Endometriose-Patientinnen durch diese OPs nachhaltig helfen?
Die Krankheit ist nicht bösartig, aber sie zerstört Gewebe, kann in Blase oder Darm hineinwachsen. Mit Da-Vinci-Robotern sind sehr viel exaktere Operationen möglich, so dass keine Organe beschädigt werden. Grundsätzlich kann Endometriose aber auch nach einer OP erneut auftreten. Nach den Wechseljahren wird es ruhiger.
Sehr viele Frauen sind betroffen – gibt es eine Warteliste für diese Operationen?
Nein. Meist lässt sich innerhalb von zwei bis drei Wochen ein Termin finden.
Werden die Kosten für robotorassistierte Chirurgie von den Krankenkassen übernommen?
Ja, sofern bei der Patientin ein roboterunterstützter Eingriff erforderlich ist. In diesen Fällen tragen die Kliniken die zusätzlichen Kosten. Bei einer leichteren Endometriose genügt vielleicht auch eine Bauchspiegelung.