Mülheim. Die Mülheimerin Ulrike Dyhr hat die Liebesbriefe ihrer Großeltern aufbewahrt und digitalisiert. Ihr Großvater schrieb jede Woche aus dem Krieg.

„Warum noch lange zögern und Dir nicht gleich zu Anfang meines Briefes sagen, dass Du das reizendste Wesen bist, das ich je kennengelernt habe.“ So bezaubernd schreibt Robert Kempchen am 30. Dezember 1902 seiner angebeteten Ulrike Jäger. Ulrike Dyhr hat diesen Liebesbrief ihrer Großeltern, geschrieben in Sütterlinschrift, aufbewahrt und noch viele andere Erinnerungen an die Großfamilie, die in Styrum aufwuchs und erst in Mülheim, dann in Oberhausen die Robert Kempchen KG betrieb.

Robert und Ulrike Kempchen schrieben sich hunderte Briefe.
Robert und Ulrike Kempchen schrieben sich hunderte Briefe. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

1902 ist Robert 23 Jahre alt, Ulrike 19; die beiden haben sich vor Kurzem auf einer Hochzeit in Bad Godesberg kennengelernt. Robert lebt gerade in Paris, um dort Geschäftsbeziehungen aufzubauen, fühlt sich einsam über Weihnachten und Neujahr in der französischen Hauptstadt: „ohne Baum, ohne Eltern, ohne Freunde – allein“. Und so schreibt er seiner Ulrike jede Woche, wird das auch wieder tun zwölf Jahre später, während er im Ersten Weltkrieg in Litauen in der Etappe dient.

Mülheimerin hat Sütterlin-Briefe abgetippt und zum Buch gebunden

„Mein Großvater war sehr emotional und zugewandt“, erinnert sich Ulrike Dyhr. Sie hat uns geschrieben, nachdem wir zum Valentinstag die schönsten Liebesbriefe aus Mülheim gesucht haben. Mit viel Akribie und Fleiß hat die Mülheimerin die Briefe ihres Großvaters abgetippt und sie zu einem Buch binden lassen. In einem anderen hat sie die Familien- und Firmengeschichte dokumentiert: Wie ihr Urgroßvater einst einen Kolonialwarenhandel aufbaute, schließlich eine Mühle kaufte und seine Söhne Heinrich und Robert Kempchen den Familienbetrieb weiterführten.

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Doch zurück zur Liebesgeschichte: Robert sei ein Draufgänger gewesen, immer wieder fährt er nach Bad Godesberg, um seiner Angebeteten nah zu sein. Er heiratet seine Ulrike erst 1908. „Das ging erst, wenn man einer Frau etwas zu bieten hatte“, sagt Ulrike Dyhr. Die Frischvermählten machen Hochzeitsreise am Lago Maggiore, besuchen Venedig – ein weiter Weg mit vielen Umstiegen damals mit der Bahn. Alte Fotos zeigen Ulrike im dunklen Mantel mit Hut, umringt von Tauben, die sie füttert.

Protestantische Schwester darf katholischen Verehrer nicht heiraten

Die junge Frau ist früh verwaist, die drei Kinder Ulrike, Grete und Paul bekommen einen Vormund. Grete verliebt sich in einen Katholiken – als Protestantin darf sie ihn nicht heiraten, das erlaubt der Vormund nicht. „Sie hat nie wieder einen anderen Mann angeguckt“, erzählt Ulrika Dyhr.

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Und so bekommt Robert gleich zwei Frauen: Grete zieht mit ihrer Schwester zum Schwager. „Meine Großmutter neigte zum Schwermut“, sagt Ulrike Dyhr, „die fröhliche Tante Grete hat sie immer wieder in die richtigen Bahnen gebracht“. Auch später, als Ulrike eine Zeit mit Depressionen im Sanatorium verbringt.

1910 wird Lotte geboren, die Mutter von Ulrike Dyhr. Sie bleibt das einzige Kind, geht später nach München, um Naturwissenschaften zu studieren, bis die Inflation das Geld auffrisst und sie zurückkehren muss, um im Familienbetrieb zu arbeiten. Sie lernt ihren späteren Mann kennen, das Paar zieht nach Süddeutschland, muss mit seinen drei Kindern aber wegen mangelnder Arbeit wieder zurückkehren, Ulrike Dyhrs Vater steigt in die Robert Kempchen KG ein.

„Meine Großeltern haben immer zusammen gehalten, ein Leben lang“

Zu fünft zieht die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg zu Ulrike und Robert Kempchen, die mittlerweile in Oberhausen wohnen und arbeiten. „Schon damals gab es keine Gewerbeflächen in Mülheim.“ Also expandieren sie in der Nachbarstadt. Robert, Ulrike und Grete leben mit drei Frauen, die bei ihnen einquartiert wurden – dazu kommen nun fünf weitere Familienmitglieder.

„Der Herrgott wird es schon richten“, sagt Ulrike Kempchen immer und bringt mit ihrer Schwester Grete die Familie auch durch die schwierigen Nachkriegsjahre. Und auch die Ehe hält, die Harmonie bleibt, erinnert sich Ulrike Dyhr. „Meine Großeltern haben immer zusammen gehalten, ein Leben lang.“