Grau – viel zu grau – ist Mülheim aus der Sicht von Graffiti-Künstlern. Legale Freiflächen für die Szene gibt es dagegen kaum.

Ein Graffiti-Sprayer sieht Mülheim mit anderen Augen: „Man unterteilt Gebäude, Winkel, Ecken in große und kleine Flächen; man schaut sich die Umgebung an und denkt: Hier könnte tolle Kunst entstehen”, erzählt Nick von seinen Streifzügen.

Angefangen hat der 21-Jährige schon als Jugendlicher; mit „Schmierereien” – wie er selbst sagt. „Das war Mist, ich habe einen drüber bekommen und damit aufgehört.” Bürokaufmann hat er gelernt. Arbeitet in einem „ordentlichen” Beruf. Über den linken Szene-treff „Druckluft” in Oberhausen kam er wieder in Kontakt mit Graffiti-Kunst, diesmal legal. „Die Perfektion reizt mich daran, die kleinen Details.” So hat Nick seinen Stil gefunden: Ein bisschen „old school” – Blockschrift wie in den Anfangszeiten der Kunst. Aber mit winzigen Details: Schnörkel in den Buchstaben, Farbverläufen. „Es klingt vielleicht merkwürdig, aber ich mag Stuck”, sagt er, „wie die Löwen beim Rathaus.”

Ganz anders kam Tony (19) zur Sprühflasche: „Als ich nach Essen zum Gymnasium fuhr, sah ich auf dem Weg immer Graffitis – das fand ich faszinierend.” Fast vier Jahre übte er zuhause, für sich selbst.

„Es ist viel zu grau in der Stadt”, kritisiert Sprayer Dennis, „zu streng. Dabei würden viele Flächen mit Graffiti-Kunst einfach schöner aussehen – und wen würde es stören, wenn das Motiv in die Umgebung passt?” Der 30-Jährige ist quasi ein „alter Hase” der Mülheimer Szene und kennt noch die Urgesteine wie „den Yen” aus den Anfängen. Ein Freund führte ihn mit 16 Jahren dort ein, seitdem malt er vornehmlich „aggressive style” – wilde, scharfkantige Schriftzüge. Klar, er kann auch fotorealistisch sprühen, denn von Beruf ist er Maler, und einige Motive hat er schon mit Freund Tony als Auftragsarbeit auf die Wand gebracht. „Aber Sprayen ist Stressabbau”, sagt er, „man lebt dafür, plant Motive, überlegt – rein theoretisch – was an welchem Ort gut aussehen könnte.”

Der Kitzel des Illegalen ist für ihn aber vorbei „Man wird älter”, lächelt Dennis, „muss sich nicht mehr bewähren und – klar – ärgert es mich, wenn ein Schmierer auf das eigene Haus oder Auto kritzelt.” Schmieren ist eine Sache der Einsteiger, sind sich Nick, Tony und Dennis einig: „Eine Reviermarkierung. Die Szene ist aggressiver geworden, und das zieht alle runter.” Dabei hat auch die ihre Prinzipien: „Eigenheime, Autos, Kirchen sind tabu.” Nicks großer Traum: Eine Schule für Graffiti-Künstler in Mülheim. „Wenn man das den jungen Sprayern beibringen kann”, glaubt er, „werden die Schmierereien weniger.”

Doch legale Freiflächen gibt es zu wenige in der Stadt, anders als in der Nachbarstadt Duisburg oder in Bochum, „wo Sprayern 30 Flächen zur Verfügung stehen”, wie Dennis weiß – man ist vernetzt.

Eine Wand steht am Jugendzentrum Mitte an der Georgstraße ganz legal zur Verfügung. „Die Farbe liegt schon zentimeterdick hier auf”, sagt Sozialpädagogin Vahide Tig, „aber täglich sehe ich ein neues tolles Motiv.” Das illegale Sprühen in der Umgebung hat das allerdings nicht eingedämmt, bedauert Tig. Im Jugendzentrum Nord hingegen hatte man schon vor Jahren eine Wand in Auftrag gegeben – und die bleibt seitdem von Reviermarkierungen verschont.

Für die Jugendzentren ist es allerdings nicht problemlos, Graffiti-Kurse anzubieten, um auf Jugendliche einzugehen: „Wenn dann etwas in der Nachbarschaft passiert, heißt es wieder: unsere Jugendlichen”, weiß Birgit Lieske vom Friedrich-Wennmann-Haus. Seit Jahren vermittelt sie deshalb Aufträge, etwa für den Container am Eichbaum: „Es ist wichtig, dass man Flächen schafft, um die Sprayer aus der Illegalität zu holen.”