Mülheim. Der Mülheimer Sportbund wird am Dienstag 100. Über den Sport von gestern, heute und morgen spricht der Vorsitzende Wilfried Cleven im Interview.
Seit 1964 hat Wilfried Cleven beruflich und ehrenamtlich mit dem Mülheimer Sport zu tun. Er erlebte bereits den 50. und 75. Geburtstag des Mülheimer Sportbundes (MSB) mit. Jetzt ist der MSB 100 Jahre alt – und Cleven ist sein Vorsitzender. Im Interview spricht der Funktionär über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Sports in Mülheim.
Herr Cleven, warum brauchen die einzelnen Sportvereine im Jahr 2019 noch einen übergeordneten Dachverband?
Die Aufgabe besteht in erster Linie darin, dass wir den Vereinen das nötige Rüstzeug in der Beratung und der Förderung geben, damit sie ihre ehrenamtlichen Aufgaben zum Wohle der Gesellschaft wahrnehmen können. Man braucht heutzutage überall Fachwissen und Fachleute. Die Vereine müssen oft schon mit einem Anwalt oder einem Steuerberater ausgestattet sein. Diese Dinge können wir ihnen nicht abnehmen, aber wir können sie darin bestärken. Wir sehen unsere Aufgabe auch als Wertschätzung für die ehrenamtliche Tätigkeit, die die Vereine zum Wohle der Gesellschaft leisten. Der Sport ist für die Jugendarbeit von unheimlich großer Bedeutung. Wir sind die größte Personenvereinigung mit 150 Vereinen und 40.000 Mitgliedern – davon sind allein 18.000 Kinder und Jugendliche. Das ist eine gewaltige Aufgabe, die von unseren Vereinen jeden Tag bewältigt wird.
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Wird diese Rolle des Sports denn von außerhalb genauso wahrgenommen? Wie ist Ihr Eindruck?
Ja, ich denke schon. Der Stellenwert ist da, dass man die Arbeit anerkennt. Auch in der Politik natürlich, denn es gibt ja einen Sportausschuss, der sich ausschließlich mit sportlichen Belangen beschäftigt. Das macht ja schon deutlich, dass die Politik den Sport auch sehr wichtig nimmt.
Die Zusammenarbeit zwischen dem Sport und der Verwaltung ist in Mülheim ja ohnehin eine ganz besondere, oder?
Das ist etwas ganz Besonderes und da beneiden uns die Städte in der ganzen Bundesrepublik auch drum. Wir haben durch den Kooperationsvertrag und den Pakt für den Sport eine Struktur geschaffen, die beide Seiten miteinander verbindet. Wir sitzen in einem Haus und das gibt viele Synergieeffekte und vermittelt für beide Seiten Planungssicherheit. Beide Verträge sind ja vor Kurzem auch verlängert worden. Da bin ich auch ein bisschen stolz drauf. Es hat bei uns nie Auseinandersetzungen mit der Stadt gegeben, sondern immer ein gegenseitiges Einvernehmen.
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Sie sind seit 1964 dabei. Was waren die größten Veränderungen?
Wichtig war, dass wir in den 70er Jahren eine Struktur geschaffen und eine Sportentwicklungsplanung aufgestellt haben, die übergreifend war. Also nicht nur für den Sport, sondern auch für Kindertagesstätten, Schulen und Jugendeinrichtungen.
Was waren die größten Versäumnisse in dieser Zeit?
Zwei Maßnahmen sind bis heute nicht erfüllt worden: Das ist einmal die 50-Meter-Schwimmbahn als Trainings- und Wettkampfstätte und eben die Kunststofflaufbahn für die Leichtathletik. Die ist aber noch nicht gestorben, da ist man ja im Moment noch dabei. An ein 50-Meter-Schwimmbecken ist in der heutigen Zeit und aus den finanziellen Gesichtspunkten im Moment nicht zu rechnen. Wobei ich aber auch sage: Nicht jede Stadt muss alles vorhalten, man muss auch städteübergreifende Trainingsmöglichkeiten schaffen, wie das ja zum Beispiel bei den Schwimmern der Fall ist. Dieses Kirchturmdenken ist nicht mehr realistisch. Wir haben ja beispielsweise auch das Kunstturnleistungszentrum mit Essen und Duisburg zusammen. Das sind alles Dinge, die in der heutigen Zeit sinnvoll sind.
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Trauern Sie dem Hockeystadion noch hinterher?
Ja, das war eins der schönsten Projekte, die ich in meiner Dienstzeit miterleben durfte. Das war die Vorbereitung auf mögliche Olympische Spiele im Ruhrgebiet 2012. Weil Mönchengladbach von dem Kuchen nichts abbekommen hätte, ist das tolle Hockeystadion, das an der Ruhr entstehen sollte, leider einer politischen Entscheidung zum Opfer gefallen. Es war eine super Planung, die auch beim Land Eindruck hinterlassen hat.
Hat es noch weitere Bauprojekte gegeben, die nicht realisiert worden sind?
Nein, kann ich eigentlich nicht sagen. Seinerzeit ist auch die Rennbahn im Gespräch gewesen, als man die Mülheimer Sportstätten für Olympia begutachtet hat. Da wäre damals die Möglichkeit gewesen, vielleicht Dressurreiten dort zu machen. Das ist ja aus politischen Gründen dann alles den Bach runtergegangen. Aber jetzt gibt es ja wieder eine neue Überlegung in Bezug auf Olympische Spiele 2032 in der Rhein-Ruhr-Region.
Eine Überlegung, die Sie unterstützen?
Wir können eigentlich nur hoffen. Wenn man an München 1972 denkt, was da an Infrastruktur alles errichtet worden ist, dann kann eine Region natürlich sehr stark davon profitieren. Das sollte man nicht aus dem Auge verlieren. Ich würde das schon begrüßen. Ich könnte mir das als Entwicklungspotenzial für die Rhein-Ruhr-Region sehr gut vorstellen.
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Könnte Mülheim eine Rolle spielen?
Mülheim würde wahrscheinlich keine Austragungsstätte werden. Aber die ganzen Trainingsmöglichkeiten, die man braucht, da käme Mülheim sicherlich in Frage. Da haben wir ja eine Menge zu bieten, wenn ich an Hockey oder die Innogy-Halle denke.
In Hamburg und München hat es ja schon negative Bürgerentscheide zu dem Thema gegeben. Wie erleben Sie hier die Stimmung?
Ich hatte das Gefühl, dass man dort nur die Gegner angesprochen hat. Die Mehrheit, die vielleicht dafür war, konnte sich dann nicht durchsetzen oder ist gar nicht erst zur Wahl gegangen. Ich glaube, bei vernünftiger Vorbereitung und sachlicher Aufklärung kann man die Bevölkerung gewinnen, hinter einem solchen Vorhaben zu stehen. Man hat den Vorteil, dass man auf einen sehr großen Bestand vorhandener und geeigneter Sportanlagen zurückgreifen kann. Es müssen nicht die bombastischen, gigantischen Spiele werden. Ich glaube, dass das Publikum in Nordrhein-Westfalen eine ganz andere Auffassung vertritt. Die Sportbegeisterung würde ich hervorheben wollen.
Welche sind die größten Herausforderungen, vor denen der Sport in den nächsten Jahren steht?
Die Finanzknappheit wird uns beeinträchtigen. Da muss man sehen, dass man die prioritären Maßnahmen betrachtet. Das Ehrenamt muss herausgestellt werden. Ohne die Vereine mit der ehrenamtlichen Arbeit wäre das Ganze nicht zu finanzieren. Da müssen wir unterstützen – auch bei knappen Mitteln.