Mülheim. Das Winterhilfswerk in der NS-Zeit war ein Propagandafeuerwerk. Ein Vortrag der Reihe zur Mülheimer Geschichte zeigte das jetzt eindrücklich.

Das Winterhilfswerk und der Eintopfsonntag war keine uneingeschränkte Erfolgsgeschichte der nationalsozialistischen Sozialpolitik. Die zur Schau gestellte Solidarität der Volksgemeinschaft kam nur unter massivem Druck zustande und hatte ihre Risse. Das zeigte die Duisburger Historikerin Dr. Daniela Rüther jetzt mit ihrem Vortrag während der Reihe zur Mülheimer Geschichte.

Daniela Rüther hat sich in ihrer bisherigen Forschungsarbeit unter anderem mit der NS-Geschichte der Firma Tengelmann beschäftigt. Dabei ist sie in der gleichgeschalteten Mülheimer Lokalpresse auch auf das Winterhilfswerk und den Eintopfsonntag gestoßen. Vor 50 Zuhörern beleuchtete Rüther die Motivation für das Propagandafeuerwerk, mit dem die Nationalsozialisten und ihr Reichspropagandaminister Joseph Goebbels 1933 das Winterhilfswerk und die in den Herbst- und Wintermonaten verordneten Eintopfsonntage ins Leben riefen.

15.000 Mülheimer lebten 1933 von staatlichen Hilfsleistungen

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„Die Nationalsozialisten standen 1933 unter politischem Erfolgsdruck. Denn damals lebten infolge der Weltwirtschaftskrise immer noch mehr als 15.000 der damals insgesamt 130.000 Mülheimer von staatlichen Hilfsleistungen. In dieser Situation wollten die Nationalsozialisten ihre Macht konsolidieren und den Staat von Sozialausgaben entlasten“, erklärte Rüther.

Die Nationalsozialisten gründeten 1933 die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV), die in den Herbst- und Wintermonaten Geld „für bedürftige Volksgenossen und gegen Hunger und Kälte“ sammelte. Durch den eingesparten Sonntagsbraten sollte der Eintopfsonntag Geld in die Kassen der NSV bringen, das von Blockwarten und NSV-Mitarbeitern an der Haustür eingesammelt wurde.

Wer nicht spenden wollte, kam auf eine schwarze Liste und wurde geächtet

Abschiedsvortrag

Am Mittwoch, 20. November, hält der scheidende und nach Bochum wechselnde Leiter des Stadtarchivs, Dr. Kai Rawe, um 19 Uhr im Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße 37 seinen Abschiedsvortrag. Unter dem Titel „Wiedersehen macht Freude“ unternimmt Rawe einen Streifzug durch die Mülheimer Geschichte.

Am gleichen Ort und zur gleichen Uhrzeit, beleuchtet der Heidelberger Historiker Prof. Dr. Bernd Braun am Donnerstag, 28. November, das in der NS-Zeit erlittene Schicksal der Familie des sozialdemokratischen Reichskanzlers Hermann Müller.

Alle genannten Veranstaltungen sind eintrittsfrei.

Wer nicht spenden wollte und deshalb keine Spendenplakette erhielt, kam auf eine schwarze Liste und wurde gesellschaftlich geächtet. Nur so ist es für Rüther zu erklären, dass die Nothilfesammlungen nach 1933 ein Vielfaches von dem einbrachten, was Spendensammlungen der Wohlfahrtsverbände vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten eingebracht hatten.

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Kamen durch die Nothilfesammlungen im Winter 1932/33 rund 100 Millionen Reichsmark zusammen, waren es im Winter 1933/34 schon 350 Millionen Reichsmark. Später sorgten auch Zwangsabzüge bei der Lohnsteuerzahlung dafür, dass die zum Teil auch für die Wehrmacht zweckentfremdeten Spendeneinnahmen des Winterhilfswerkes rapide anstiegen und im Kriegswinter 1941/42 einen Rekordwert von 5 Milliarden Reichsmark erreichten.

Im Oktober 1937 kamen 30.000 Mülheimer zur Rennbahn Raffelberg

Welchen propagandistischen Aufwand die Nationalsozialisten betrieben, um für das Winterhilfswerk zu werben, zeigte Rüther an einer öffentlichen Eintopfsonntagsveranstaltung, zu der das damals in Mülheim stationierte 2. Infanterieregiment 39 am 10. Oktober 1937 eingeladen hatte. 30.000 Mülheimer kamen damals zur Rennbahn Raffelberg. Ihre Motivation war aber weniger die Teilnahme am öffentlichen Eintopfessen als viel mehr der Besuch des am Raffelberg ausgetragenen Fußballspiels einer Regimentsauswahl gegen die Mannschaft des damaligen Deutschen Meisters Schalke 04.

Dieser Werbeclou wurde möglich, weil einige Schalke-Spieler damals im Mülheimer Infanterieregiment ihren Wehrdienst ableisteten. Neben dem Schalke-Spiel wurden an der Rennbahn Raffelberg im Oktober 1937 auch „launige Alarmvorführungen“ und musikalisch untermalte „Gefechtsübungen“ präsentiert, die schon zwei Jahre später grausame Realität werden sollten.