Mülheim. Bis zu 80 Prozent Einbußen verzeichnet Petra Kandelhardt aus Mülheims Rauchfang. Anderen Kneipen geht es ähnlich. Ein Grund sei das Rauchverbot.

„An manchen Tagen betragen die Umsatzeinbußen im Vergleich zu früher 60, 70 oder sogar 80 Prozent“, sagt Petra Kandelhardt aus der Gaststätte Rauchfang am Löhberg. So wie es einmal war, ist es schon lange nicht mehr. Das Nichtraucherschutzgesetz sei der Grund, die Menschen kommen nicht mehr so wie damals. Das tägliche Geschäft ist hart, aber: Die 54-Jährige und ihr Mann, Inhaber Claus Kandelhardt, machen weiter. Weil sie den Alltag in ihrer Kneipe lieben.

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So viel Durchhaltevermögen wie das Paar haben in den vergangenen Jahren nicht alle Gastwirte in Mülheim bewiesen. „Jede vierte Kneipe und Gaststätte hat seit 2007 geschlossen“, warnt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und nennt Zahlen des statistischen Landesamtes. Demnach gab es in der Stadt im Jahr 2017 221 gastronomische Betriebe, darunter Gaststätten, Kneipen und Eisdielen. Das seien 64 weniger als im Jahr 2007.

„Schließungen bedeuten Verlust der Alltagskultur“

Die NGG warnt vor einem Kneipensterben. „Vom Fußballabend in der Bar bis zum Grünkohlessen mit dem Sportverein – die Gastronomie steht für ein Stück Lebensqualität“, so Gewerkschaftssekretär Adnan Kandemir. Mit den Schließungen stehe nicht nur ein wichtiger Teil der Alltagskultur auf dem Spiel. Es seien auch etliche Arbeitsplätze in der Region in Gefahr.

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Petra Kandelhardt erinnert sich noch an Zeiten, in denen sie und ihr Mann die Kneipe um 10 Uhr morgens zum Frühschoppen öffneten. Früher. Heute ist das nicht mehr so: „Viele der Leute sind mittlerweile zu alt, sie leben im Altenheim oder haben keine Kraft mehr, zu kommen. Andere sind leider schon verstorben.“ Die Menschen, die früher mindestens einmal pro Woche in den Rauchfang kamen, wurden weniger. Das Frühschoppen gibt es nicht mehr.

Gäste nennen Kneipe ihr zweites Wohnzimmer

Trotzdem kämen die Leute noch immer gerne in ihr – wie es viele nennen – zweites Wohnzimmer. Ob Jung oder Alt, zwischen 18 und 80 ist alles dabei. „Gerade am Wochenende kommen die jüngeren Leute, das finde ich wunderbar.“ Aber es werden weniger, seit 2013 das Nichtraucherschutzgesetz in NRW in Kraft trat. „Das war ein schleichender Prozess. Am Anfang fiel es gar nicht so auf, mittlerweile merken wir den Einschnitt aber ganz deutlich“, bedauert Kandelhardt.

Michael Brockmann ist Wirt im Mülheimer Bummelbär in der Stadtmitte. Auch wenn es manchmal schwierig ist, bleibt er positiv: „Wir kämpfen uns hier wacker durch.“
Michael Brockmann ist Wirt im Mülheimer Bummelbär in der Stadtmitte. Auch wenn es manchmal schwierig ist, bleibt er positiv: „Wir kämpfen uns hier wacker durch.“ © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Die Problematik kennt auch Michael Brockmann, Wirt im Bummelbär in der Stadtmitte. Es kommen weniger Leute, wegen des Rauchverbots, aber auch, weil gerade die jungen Leute lieber im Internet unterwegs sind – meint er. „Man muss schon gucken, wie man rumkommt“, sagt Brockmann. Aber den Betrieb deswegen aufgeben? Das käme für ihn nicht in Frage.

„Wir haben auch geöffnet, wenn nicht viel Betrieb ist. Wenn nur eine Person in der Kneipe sitzt, machen wir trotzdem nicht zu“, so der Wirt. Weil ihm der Laden und seine Leute wichtig sind. Das Publikum im Bummelbär sei gemischt – es kämen junge Leute und alte, Stundenten, Hochkarätige und die, die nicht so viel Geld hätten. Gerade die Mischung gefällt Brockmann. Deswegen macht er weiter: „Wir kämpfen uns hier wacker durch.“

Kneipenverhalten der Menschen hat sich verändert

Gaby Heßmann war sieben Jahre lang Wirtin in der Kneipe „Zum Depot“ – im April hat sie aufgehört. „Aus gesundheitlichen Gründen“, sagt die 54-Jährige. Auch sie hat bemerkt, dass sich das Kneipenverhalten der Menschen verändert hat, unter anderem durch das Nichtraucherschutzgesetz. Heßmann: „Es ist viel härter als früher. Unser Glück war, dass wir nicht davon leben mussten, weil mein Mann noch einen anderen Beruf hat.“ Von den Älteren seien mittlerweile einige verstorben, die Jugendlichen kommen nicht unbedingt in Kneipen. Doch so hart die Arbeit auch ist: „Sie fehlt mir, aber die Gesundheit geht vor“, sagt die ehemalige Wirtin.

64 Gaststätten schlossen in zehn Jahren

Zwischen 2007 und 2017 haben laut Zahlen des Statistischen Landesamtes 64 Gaststätten in Mülheim geschlossen. Das gefährde Arbeitsplätze und die Kultur in der Region, so die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG)

Auch in NRW gehen die Zahlen der Gastrobetriebe demnach zurück. Waren es 2007 noch 28.000 sind es 2017 24.900. Ein Rückgang um rund elf Prozent.

Sie hat einen neuen Betreiber für ihren Laden gefunden – was nicht selbstverständlich ist. „Vielen Wirten fehlt ein Nachfolger“, gibt die NGG zu bedenken. Weil es für Gastronomen in der heutigen Zeit schwierig sei. Sie müssten sich gegen Pleiten absichern, brauchen betriebswirtschaftliche Kenntnisse und gleichzeitig originelle Ideen, um junge Leute in die Gaststätten zu kriegen.

Ein weiterer Grund für das „Kneipensterben“ seien die harten Arbeitsbedingungen in der Gastro-Branche – meint die NGG. „Nachts und am Wochenende hinterm Tresen zu stehen, das wollen viele nicht mehr. Deshalb hat die Branche schon heute mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen“, so Gewerkschafter Kandemir.

„Personal bekommt man kaum noch“

Das merkt auch die Betreiberin einer Mülheimer Gaststätte mit Hotel, die ihren Namen nicht nennen möchte. Seit 36 Jahren arbeiten sie und ihr Mann in der Branche – und Probleme gebe es viele. Das Rauchverbot, junge Leute, die nicht mehr in Kneipen gehen und ein Mittelstand, der deutlich seltener Essen gehe. „Es ist ein schwieriger Umbruch. Und Personal bekommt man heute auch kaum noch. Es ist ein harter Job“, sagt die 61-Jährige.

Petra Kandelhardt hofft, dass trotz der ganzen Schwierigkeiten die Kneipen und Restaurants in Mülheim erhalten bleiben. Und das vielleicht auch einige neue Wirte den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. „Das wäre keine Konkurrenz für mich. Es würde mich freuen, weil es die Innenstadt beleben würde und mehr Leute kommen würden.“ Sie blickt positiv in die Zukunft, trotz schwieriger Zeiten. Denn: „Es ist, wie es ist“, sagt sie und hofft, dass die Menschen, ob jung oder alt, noch viele weitere Jahre kommen – um in ihrem zweiten Wohnzimmer ein Bierchen zu trinken.