Mülheim. Übergriffe auf Bedienstete in kommunalen Betrieben in Hagen und Münster machen die Schlagzeilen. In Mülheim will man solche Fälle verhindern.
Auf dem Arbeitspult von Jana Eickhoff findet man weder Locher noch Blumentöpfe, auch keine Scheren, Gläser oder Bilderrahmen mit Fotos der Familie oder Haustieren. Denn jemand könnte sie werfen oder den Liebsten auflauern. Absurder Gedanke? Nein: Prävention. Eickhoff arbeitet in der Leistungsbewilligung des Mülheimer Sozialamts.
Alarmierende Schlagzeilen aus Hattingen und Hagen
Eigentlich scheint es dort gar nicht so gefährlich zu sein: Ein einziges Mal hat Eickhoff – seit 2017 im Amt – die Polizei rufen müssen, weil eine Familie aggressiv wurde. Oft hilft es schon, die Bürotür zum Gang aufzumachen. Vor möglichen Zuhörern werden die Kunden oft ruhiger. „In der Regel gibt es aber keine Konflikte, viele bedanken sich sogar, weil man ihnen geholfen hat“, erzählt die junge Frau aus ihrem Arbeitsalltag.
Und doch: Ein stuhlwerfender Kunde in einer Netphener Amtsstube, eine Messer-Attacke in Hattingen, 16 Überfälle auf Mitarbeiter des Jobcenters in Hagen, 60 „ernstzunehmende Vorfälle“ in Münster sind die Schlagzeilen nur in den vergangenen zwei Jahren – Tenor: Die verbalen wie körperlichen Angriffe auf Bedienstete im öffentlichen Dienst häufen sich.
Studie: Fast tägliche Beleidigungen
Die Gewerkschaft Komba hat unlängst eine deutschlandweite Studie zu Übergriffen gegen Beschäftigte in Kommunalverwaltungen aufgegeben. Ein Ergebnis: Die Palette der Bedrohungen reichen von persönlichen Vorwürfen bis hin zu Gewaltandrohung und sogar zu Übergriffen ohne und mit Waffe. Zwar ist vielen Befragten der Studie nicht klar, ob auch im eigenen Haus die Gewalttaten zunehmen, weil oft nur solche Übergriffe bekannt werden, die zu einer Anzeige führen. Dennoch: Vielerorts gehen Führungskräfte davon aus, dass ihre Mitarbeiter beinahe täglich mit Beleidigungen und Gewalt konfrontiert werden.
Kaum Konflikte mit Geflüchteten
Klare Kante zeigen Mitarbeiter der Sozialagentur bei extremistischen Aussagen wie „Ausländer bekommen alles, Deutsche nichts“. „Wir verteilen keine Extrawürste“, unterstreicht Leiterin Anke Schürmann-Rupp. Umgekehrt, bestätigen Mitarbeiter, seien Konflikte mit Ausländern durch die Flüchtlingsbewegung 2015 nicht gestiegen.
Sie sieht die Gründe auch in einer frühen Integration: „Wir haben kein eigenes Flüchtlingsteam aufgebaut, sondern alle gleich behandelt.“ Und man habe schon früh in der Mülheimer Erstaufnahme über die Rechte und Pflichten informiert.
„Wir haben uns 2015 so aufgestellt, dass wir Fehler von früher nicht mehr machen“, erläutert Heike Gnilka, man habe aus früheren Flüchtlingsbewegungen etwa aus dem Kosovo gelernt.
„Alte Hasen“ wie Uwe Breit, seit 40 Jahren im städtischen Dienst, bestätigen den zwiespältigen Eindruck: Während seiner 15 Jahre als Bereichsleiter in der Sozialagentur gab es zwei „Handgreiflichkeiten“. Verbale Gewalt – laut werden, bedrohliches Auftreten, Beleidigungen – erleben die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst jedoch häufiger, etwa sechs Mal im Jahr, schätzt er.
Mitarbeiter in Deeskalation geschult
„Seit anderthalb Jahren ist Sicherheit ein Thema. Unsere Mitarbeiter sind sensibilisiert und geschult“, will die Leiterin der Sozialagentur, Anke Schürmann-Rupp, Vorfällen wie in Hattingen zuvorkommen. Das Mülheimer Sicherheitskonzept für das Sozialamt – schon aus dem Jahr 2014 – werde just überarbeitet. Schon damals aber empfahl die 20-seitige Broschüre etwa respektvolle Ansprache, Abstand halten und Büromöbel nicht in Fluchtwege zu stellen. Die Büros sind zudem mit versteckten Alarmschaltern ausgestattet. „Wenn ich weiß, dass die Alarmkette läuft, habe ich ein besseres Gefühl“, räumt Heike Gnilka ein, Bereichsleiterin im Casemanagement seit 2005.
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Warum kommen Übergriffe in Mülheim offenbar seltener vor? Gnilka: „Wir gehen mit Beleidigungen deeskalierend um, sprechen das sofort an“, in den meisten Fällen wiederhole es sich nicht. Polizei und Strafanzeige bleiben das letzte Mittel, zuvor gebe es ein Schreiben mit Anhörung, dann ein Hausverbot. Dass die Ansprache nicht half, hat sie selbst erst einmal erlebt, oft seien es Menschen mit starker psychischer Belastung. Hilft Deeskalation bei renitenten Zeitgenossen? „Wenn mir einer sagt, ich gehe erst weg, wenn sie mir das bewilligen, sage ich: Gut, wir haben ja bis 16 Uhr geöffnet.“