Mülheim. In der AEG-Lehrwerkstatt in Saarn haben viele ihre Berufslaufbahn begonnen. Vorher schufteten dort Zwangsarbeiterinnen. Die Halle steht noch.
Manchmal bringen die alten Bilder in unserer Serie bei den Leserinnen und Lesern ganz persönliche Erinnerungen zurück. In einige erkennen sie sich sogar wieder, wie auf dem Foto oben von 1956. „Das ist ganz klar die Lehrwerkstatt der AEG in Saarn“, stimmten mehrere Anrufer überein. Andere, die in der Halle Tage lang Eisen feilten und andere mechanische Feinarbeiten erlernten, haben ein Mail geschickt.
Einer lag mit dem Standort falsch, mit der Metallbearbeitung aber richtig. Die Lehrwerkstatt ist längst Geschichte. Das Gebäude hat die Jahrzehnte überdauert. Inzwischen renoviert, beherbergt die Halle heute einen Verkaufsmarkt. Wann das Gebäude genau errichtet wurde? Diese Information fehlt noch im Puzzle dieser Gebäudegeschichte. Es muss jedoch vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden sein.
„Nur eine Lampe leuchtet. Eine Birne kann man essen.“
„Das historische Bild könnte die Lehrwerkstatt der ehemaligen Mannesmannröhren-Werke AG an der Sandstraße/ Ecke Wiesenstraße zeigen. Dort habe ich Anfang der 1970er Jahre ein Praktikum absolviert“, schreibt Heinz-Werner Moog. Nicht ganz korrekt, aber: „Es war eine schöne Zeit. Ich habe dort viele wertvolle Grundlagen der Metallbearbeitung und Elektrotechnik erfahren. Auch wenn mein beruflicher Werdegang letztendlich vollkommen anders ausgerichtet sein sollte, so waren die gewonnenen Erkenntnisse in meinem späteren ,Heimwerkeralltag’ von großem Nutzen“, sagt Moog.
„Ganz oft erinnere ich mich an folgende Anekdote: Wollte ich den Meister der Elektroabteilung veräppeln, dann habe ich eine Glühlampe als Glühbirne bezeichnet. Seine Reaktion darauf: Nur eine Lampe leuchtet. Eine Birne kann man essen. Das Grinsen in meinem Gesicht hat ihm schnell meine Absicht verraten“, erinnert sich der Leser.
Ihre Erinnerungen und alten Fotos sind gefragt
Wer Erinnerungen hat oder Hinweise zu den gezeigten Bildern geben kann, schickt diese bitte an die WAZ-Lokalredaktion, Eppinghofer Straße 1-3, 45468 Mülheim Ruhr. Ihre E-Mails sind ebenfalls erwünscht an: redaktion.muelheim@waz.de.
Ihre alten Fotoschätze schicken Sie per E-Mail im JPG-Format an die Redaktion oder bringen diese einfach bei uns vorbei. Ihre alten Bilder werden im Lauf der Serie in der WAZ veröffentlicht. Vielleicht können andere Leser bei der Einordnung helfen.
AEG kooperierte mit Siemens
Die AEG-Lehrwerkstatt hat Waldemar Schwarz sofort erkannt. „Ich habe 1956 dort meine Lehre begonnen. Wir waren dort mit 150 Lehrlingen in der Halle. Oft war es dort laut und im Sommer heiß. Die Lehrlinge für verschiedene Metallberufe kamen von der AEG und von Siemens. Die Firmen hatten damals eine sinnvolle Kooperation.“ Die Ausbildung habe dreieinhalb Jahre gedauert, erinnert sich der Leser. Gleich nebenan habe früher auch ein Bürogebäude gestanden. „Bei der AEG in Saarn gab es mit allen Kollegen eine gute Zusammenarbeit“, berichtet Schwarz.
„Das Foto zeigt Auszubildende der AEG in der Zentralen Ausbildungswerkstatt in Mülheim-Saarn, Alte Straße. Es entstand 1957. Ich erkenne mich darauf sowie auch einige Auszubildende vom Büro Essen“, schreibt Karl-Heinz Königs. „Heute befindet sich in der Halle die Firma Thomas Philipps.“
Zwei linke Hände schaffen nichts Feines
Mit Feinarbeit fing in der Lehrwerkstatt auch ein späterer Banker an. Der Saarner Junge Jörg Enaux fing 1961 an einer Werkbank an. Ganz bodenständig startete er als Feinmechanikerlehrling bei der AEG an der Alte Straße.
Aber, das erzählte Enaux selbst bei seiner Verabschiedung als Vorstandsvorsitzender der Sparkasse: „Nach nur 14 Tagen war das Thema AEG für mich erledigt.“ Sein Vater habe Recht behalten: Einer, der zwei linke Hände hat, wird nicht Feinmechaniker. Ein gutes Händchen hatte er dagegen bei der Entscheidung, 1962 eine Lehre als Bankkaufmann bei der Sparkasse zu beginnen.
Ostfrauen mussten Zwangsarbeit in Saarn leisten
Die Ausbildungshalle hat auch eine dunkle Seite: Ostarbeiterinnen mussten dort bei der AEG Zwangsarbeit leisten. Das dokumentieren mehrere Frauen-Porträts, die der VVN-BdA, Kreisvereinigung Mülheim an der Ruhr, zusammengetragen hat. „Für die Kriegswirtschaft wurden zunehmend Arbeitskräfte benötigt. Hinzu kam die erklärte Absicht der Vernichtung von politischen und rassischen Feinden durch Schwerstarbeit bei unzureichender Ernährung“, heißt es in einer Erläuterung.
Ihnen war „jeglicher persönlicher Kontakt mit Deutschen aus Angst vor sicherheitspolitischen Gefahren und ,rassischer Vermischung’ verboten. Schwangere wurden abgeschoben, unerwünschte Kinder von Zwangsarbeiterinnen ließ man isoliert als künftige Arbeiter aufziehen oder man ließ sie verhungern“, beleuchtet Silvia Rölle die damalige Vorgehensweise. Oft wurden die Frauen aus der Ukraine zwangsrekrutiert und „mussten bei der AEG-Niederlassung in Saarn arbeiten“. Mindestens eine der Frauen sei dabei umgekommen und heute auf dem alten Friedhof an der Dimbeck im Massengrab der Ostarbeiter begraben.
Übersetzerin setzte sich couragiert ein
Eleonore Helbach musste eine andere Rolle übernehmen. Ihre Eltern waren nach Russland ausgewandert und später nach Mülheim zurückkehrt, Helbach wurde 1903 in Rostow am Don geboren. Wegen ihrer Sprachkenntnisse wurde sie während des Zweiten Weltkrieges in Mülheim als Dolmetscherin für russische Zwangsarbeiter dienstverpflichtet.
„Dabei gelang es Eleonore Helbach immer wieder, sich erfolgreich für die Ostarbeiterinnen einzusetzen und Lagerleiter, Ärzte, die Sachbearbeiterin des Arbeitsamtes und sogar Parteileute mit ihrer mitfühlenden und couragierten Menschlichkeit zu beeindrucken“, schreibt Silvia Rölle. Ihre Erinnerung an diese Zeit hat sie in einem Buch festgehalten.