Mülheimer besinnen sich auf alte Werte und lassen sich kirchlich trauen. Die katholische Kirche verzeichnet einen deutlichen Anstieg und auch das Mülheimer Standesamt entwickelt einen Trend.
Wie schätzen Sie die Tendenz der kirchlichen und standesamtlichen Trauungen im Verlauf der letzten 20 Jahre? Stark fallend? Nö, eigentlich nicht. Die katholische Kirche verzeichnet einen deutlichen Anstieg und auch das Mülheimer Standesamt entwickelt einen Trend. Überraschend, oder?
Doch wie war das nochmal vor 20 Jahren: Ein junges Paar geht gemeinsam in die Kirche: Wir möchten heiraten! Der Pastor fragt nach Wünschen und Anregungen: „Kümmern Sie sich bitte darum, Sie wissen besser Bescheid.” Mit diesem Satz musste sich Pastor Janßen zu Beginn seines Amtantritts, vor 25 Jahren, häufig auseinander setzen. „Zwar wurde die kirchliche Trauung schon immer aus voller Überzeugung gewählt, jedoch diente sie oftmals mehr dem Anlass an sich.” Heiraten – aber nicht kirchlich? Früher undenkbar. Die ganze Hochzeitsgesellschaft, ob gläubig oder nicht, begab sich ins Gotteshaus und erwartete das Brautpaar.
Heutzutage hat sich weniger die Überzeugung als die Art und Weise verändert. „Jede Trauung hat ihren ganz persönlichen Charakter”, weiß Pastor Janßen. Individuelle Liedauswahl, persönliche Bibelsätze und selbst formulierte Schrifttexte sind nur einige Besonderheiten um die kirchliche Trauung persönlich und intim zu gestalten. Bei den Anzahl zeigen jedoch die katholischen Pfarreien ein etwas anderes Bild zu dem, der evangelischen. Sie verzeichneten im Jahr 19 88, 80 kirchliche Trauungen und im Jahr 2008, knapp 100. Die evangelische Pfarrerei muss hingegen einen Abfall von 280 Trauungen 1988 zu 88 im Jahr 2008 vermerken. Wie sich der Abfall entgegen den Katholiken erklärt, kann auch Annika Lante, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des ev. Kirchenkreises nur vermuten: „Unsere Gläubigen werden immer älter und leider haben wir viele verloren.” Anders schätzt die kath. Kirche ihre Entwicklung ein: „Die Kirche hat immer noch einen starken Einfluss auf junge Menschen.”
Szenenwechsel Standesamt: Toupierte Frisur, Schulterpolster, grelle Farben. Glänzender Anzug und weiße Socken. Das typische Bild eines Hochzeitspaares vor dem Standesamt in den 80er Jahren. Klaus Weinfurtner, Standesbeamter, schließt seit 17 Jahren Ehen in Mülheim. „Damals kamen die meisten Paare ins Standesamt. Mittlerweile haben wir 50% Außentermine.” Sei es Schloss Broich, Aquarius, Residenz Uhlenhorst oder Camera Obscura. Die Veranstaltungsorte gewinnen zunehmend an Beliebtheit und Auslastung.
Auch wenn die Zahlen der Eheschließungen eine leicht fallende Tendenz aufweisen, ist wohl „das Einzige was sich stark verändert hat, das Alter der Eheleute”, resümiert der 55-jährige Standesbeamte. Der Grund für die Alterszunahme läge am heutigen Arbeitsmarkt. „Die Berufsausbildung ist vielen einfach wichtiger als das heiraten.”
Trotz weitläufiger Einschätzung, dass die meisten Paare nur noch standesamtlich Heiraten, zeigen die Zahlen ein etwas anderes Bild. Zwar wird der Bund der Ehe an immer skurilleren Orten geschlossen, jedoch ist für viele Paare der Weg in die Kirche Grundstein ihrer glücklichen Zukunft.