Mülheim. Gemeinsam mit Mülheims Stadtschreiber Lucas Vogelsang hat Schauspieler Joachim Król deutsche Grenzerfahrungen gemacht. Eine Schnapsidee.
Wer hätte es gedacht: Die ehemalige DDR, sie fängt ausgerechnet tief im Westen an. In Wattenscheid, wo Andreas Maluga ein „DDR-Kabinett“ aus 19.000 Erinnerungs-Requisiten pflegt. Fahnen, Uniformen, Mützen und Wimpel aus der Zeit vor dem Mauerfall. Am Donnerstagabend lassen Journalist Lucas Vogelsang und Schauspieler Joachim Król ihre Lesung aus ihrem gemeinsamen Buch „Was wollen die denn hier?“ für den Saarner Bücherfrühling in diesem Kabinett-Stückchen beginnen, quasi dem Mau-er-suleum des realen Sozialismus.
Wie dieser Rück-Blick wohl ausgesehen hätte, wenn anstelle der heute reale Kapitalismus das Zeitliche gesegnet hätte? Was wäre in so einem Museum des gescheiterten Westens wohl zu sehen? Wie würde der Osten umgekehrt über den Westen urteilen? Herausfinden wird man es nicht. Der Blick von Vogelsang und Król auf das DDR-Regime ist jedoch ein ebenso berechtigt kritischer wie ihre Betrachtungen der Menschen durchgängig liebevoll, geradezu poetisch sind.
Mit spitzem Stift und manchem Weichzeichner
Buch-Idee kam am Tresen
Lucas Vogelsang ist 1985 geboren und hat den Mauerfall als Kind erlebt. Als Reporter arbeitete er für den Tagesspiegel, Zeit und die Welt. Aktuell arbeitet er als Stadtschreiber Ruhr in Mülheim.
Die Idee zu ihrem Buch „Was wollen die denn hier?“ kam den beiden „Wessis“ vor neun Jahren in Bochum am Tresen. Der Film „Wir können auch anders“ und angeblich jede Menge Schnaps standen Pate: „Wir tranken auf Brüderschaft,bis wir uns in der Nacht, in der Menge aus Erzählern und Erzähltem, aus den Augen verloren. Eine Schnapsidee eben.“
Wenn auch stets mit Augenzwinkern: Die ehemalige „Winkermieze“ Ursula Thom aus Herne ist eine weitere Station in diesem DDR-Grusel-Gaudi-Roadmovie, den Król und Vogelsang mit dem spitzen Stift und manchem Weichzeichner in ihrem Buch aufgemalt haben. Winkermieze – so nannte man die Frauen bei der Verkehrspolizei auch in jenem Staat, der 1949 die rechtliche und politische Gleichberechtigung der Frau auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens in seiner Verfassung festschrieb. Doch Thom trägt diese chauvinistische Geste mit einem gewissen Stolz, den die nostalgische Verklärung bietet, und dem feinen ironischen Sprachspiel, das den Sprachgebrauch in der DDR auch ansonsten prägte. Wie den „Kannja-Beutel“, den man zum Einkaufen mitnahm und an den sich Król erinnert: „Der hieß so, weil: Es kann ja was da sein. Im Konsum.“
Die DDR ist dem Schauspieler, Herner, Jahrgang 1957, durchaus nah. In den 70er-Jahren trampte er oft nach West-Berlin: „Das war immer so ein merkwürdiger Grusel, diese Transitstrecke. Helmstedt, die Kontrollen. Ich war Kriegsdienstverweigerer, also Militarismus und alles Uniformierte war eh suspekt. Es war ein fremdes Land mit der gleichen Sprache“, sagt er. Jahre später persiflierte er als leicht debiler Wessi „Kipp“ im Film „Wir können auch anders“ den Osten nach dem Mauerfall.
Der Grusel kommt an der echten Grenze in Marienborn
Und der Grusel? Er kommt, an der damals echten Grenze in Marienborn, kurz hinter einer Tankstelle mit DDR-Herzen aus Plüsch und bestickten FDJ-Kissen. Und hinter einer Tür, „die so schwer in den Angeln hängt, als müsste sie ein altes Geheimnis bewahren“, erzählt Król. Die Überwachungsapparatur aus Monitoren, Telefonen erinnert ihn an eine „aus Plaste und Restmetall zusammengeklebte Kulisse, verirrte Science Fiction“. Doch hier stand auch die „Allmacht mit dem Feldstecher, den Zeigefinger drohend über einem der Knöpfe. Man konnte hier etwas auslösen, ein Land abschließen, die da unten tanzen lassen...“