Immer mehr Menschen können sich die Tierarztkosten nicht mehr leisten. Darum werden jetzt auch in Mülheim kostenlose Sprechstunden angeboten. Ein Ortstermin.
Bella war von Wohnungslosigkeit bedroht: Eine mitleidige Seele, die dieses Schicksal mehr als gut nachempfinden konnte, nahm sich des Hundes an. Und so landete Bella bei „Boomer”. Das ist nicht der richtige Name von Bellas Herrchen, sondern ein Spitzname „wie in der Serie ,Boomer der Streuner'” sagt der Mann, der sich so nennt. Er sitzt mit seinem Hund im „Wartezimmer”, hat Bellas Impfpass in der Hand und wartet geduldig, dass die Tierärztin ihn aufruft. Es ist Tiersprechstunde im „Cafe´ Light”.
Der Mülheimer Tierschutzverein weiß von vielen oft verzweifelten Anrufen, dass Menschen, die von Sozialleistungen abhängig sind, sich das Futter für ihre Tiere zwar gerade noch vom Mund absparen können. Aber unverhoffte Tierarztkosten vermögen ein mageres Budget schnell zu sprengen. Heidrun Schultchen, Vorsitzende vom Tierschutzverein, fand bei der AWO daher schnell ein offenes Ohr für die Idee, Menschen mit sehr geringem Einkommen den Tierarztbesuch zu sponsern. An jedem ersten Mittwochnachmittag im Monat verwandelt sich das Cafe´ von 14 bis 15 Uhr in eine Tierarztpraxis: Durch einen Vorhang getrennt warten die vierbeinigen Patienten, drei Damen vom Tierschutzverein lassen sich die Bedürftigkeit nachweisen, legen eine Akte über Hund und Herrchen an und kassieren zehn Euro „Praxisgebühr”. Das ist für manche schon viel, auch für Boomer, doch er sagt: „Hauptsache, der Hund ist versorgt.”
„Auch, wer wenig Geld hat, sollte sein Liebstes behalten dürfen”, sagt Awo-Geschäftsführerin Adelheid Zwilling. Mit Blick auf die Stammklientel im Cafe´ Light weiß sie, dass viele, die hier verkehren, nur noch einen einzigen Freund im Leben haben – den Hund. Tiere gucken eben nicht auf eine gescheiterte Existenz.
„Wir wollen hier aber keine Sozialleistungen für Tiere anbieten, sondern die Tierhalter dazu anleiten, Verantwortung zu übernehmen,” betont Schultchen. Der Tierschutzverein stemmt die Kosten für das Angebot aus seinen Mitgliedsbeiträgen und Spenden, will damit den Tieren letztlich Schmerzen, das Tierheim oder eine Einschläferung ersparen. Die Kosten sind vorerst für ein Jahr gesichert.
14 Tierhalter hat der Verein inzwischen registriert, viele davon, nicht alle, verkehren im Cafe´ Light. Das Angebot spricht sich erst langsam herum. Dr. Petra Scheuer hat gerade eine große schwarze Katze auf dem Tisch: „Miss Puff” lässt die Spritze ohne Zicken über sich ergehen. Besitzer Pedro ist froh über das Angebot: „Die Kastration hat schon über 90 Euro gekostet. Aber das musste ja sein.”
„Die Tiere sind in einem guten Zustand,” lobt Dr. Scheuer. „Die Leute kümmern sich, die Hunde sind gut sozialisiert”. Auch heute ist kein gestresster Kläffer dabei, Hunde wedeln mit den Schwänzen, Frauchen und Herrchen sind entspannt. Dr. Scheuer nimmt sich Zeit für die Grunduntersuchung, impft, chipt, hat ein Lob für jedes Tier, was manchem Halter ein stolzes kleines Lächeln aufs Gesicht zaubert. Oftmals, so schätzt die Tierärztin, werde für die geliebten Tiere mehr Geld ausgegeben, als für sich selbst.
Bella wurde heute geimpft und wurde mit einem Chip versehen. Die Registrierung übernimmt der Tierschutzverein: Wenn Bella mal verloren geht, weiß man, wo sie zu Hause ist. Sie soll schließlich kein Streuner werden.