Mülheim. . Die SPD-Landtagsfraktion schaffte es nicht, viele Bürger zu ihrer Veranstaltung „Europa vor Ort“ in Mülheim zu locken. Die EU-Wahl macht Sorge.

Noch eineinhalb Monate bis zur Wahl des Europäischen Parlaments. Zeit, um sich zu fragen: „Europa, schön und gut. Aber was habe ich davon?“ Genau das taten am Freitagabend 50 interessierte Mülheimer mit und ohne Parteibuch, in einer von Hannelore Kraft moderierten Diskussion im Haus der Mülheimer Wirtschaft. Eingeladen hatte die SPD-Landtagsfraktion im Rahmen ihrer Reihe Europa vor Ort.

Die Mülheimer Landtagsabgeordnete nannte eine Zahl, die in einer mit zwei Milliarden Euro verschuldeten Stadt wie Mülheim aufhorchen lässt. Seit 2007 sind EU-Fördermittel in Höhe von 23 Millionen Euro nach Mülheim geflossen. Mit dem Geld aus Brüssel wurden zum Beispiel die Ruhrpromenade und der Radschnellweg gebaut, wurde Forschung am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung unterstützt, wurden Eingliederungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose finanziert oder zum Beispiel die Arbeit der regionalen Beratungsstelle Frau & Beruf und des Wasserforschungsinstitutes IWW unterstützt.

„Wir müssen Europa endlich als Chance begreifen“

Der mit kurzen Impulsreferaten und Diskussionen im Plenum gut ausbalancierten und informativen Veranstaltung hätten mehr Teilnehmer sicher gutgetan. So aber wurde es ein klassischer Informationsabend für proeuropäisch eingestellte Multiplikatoren, die reichlich Argumentationshilfen an die Hand bekamen.

„Wir müssen Europa endlich als Chance und nicht als Hindernis begreifen“, sagte der europapolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Rüdiger Weiß. Reisefreiheit, EU-Fördermittel, eine gemeinsame Trinkwasserschutzverordnung und die Einführung stromsparender LED-Leuchten nannte Weiß nur als einige Pluspunkte der EU. Grundsätzlich steht für ihn aber fest, „dass wir nur als 508 Millionen EU-Bürger weltpolitisch genug Gewicht haben, um gegenüber den 300 Millionen US-Amerikanern, den 1,3 Milliarden Indern und den 1,4 Milliarden Chinesen wirtschaftlich und politisch bestehen zu können.“

Die Mülheimer Europa-Kandidatin Sina Breitenbruch-Tiedtke (li.), Thomas Müller ( stellvertretender Landesvorsitzender der Wirtschaftsjunioren NRW) und Hannelore Kraft (MdL) im Haus der Wirtschaft.
Die Mülheimer Europa-Kandidatin Sina Breitenbruch-Tiedtke (li.), Thomas Müller ( stellvertretender Landesvorsitzender der Wirtschaftsjunioren NRW) und Hannelore Kraft (MdL) im Haus der Wirtschaft. © Vladimir Wegener

Angst vor der Dominanz von Nationalisten im EU-Parlament

Für Vize-Vorsitzenden der NRW-Wirtschaftsjunioren, Thomas Müller, wäre es ein Alptraum, „wenn Nationalisten die Arbeit des Europäischen Parlaments blockieren könnten“. Angesichts der Tatsache, dass 66 Prozent der deutschen Exporte in Länder der EU gehen, ist für Müller klar, dass der 1993 eröffnete EU-Binnenmarkt und der 2002 eingeführte Euro aus deutscher Sicht eine Erfolgsgeschichte sind.

Für die Sozialwissenschaftlerin Sina Breitenbruch-Tiedtke, die sich als Referatsleiterin in der NRW-Staatskanzlei um EU-Grundsatzfragen kümmert und als Sozialdemokratin für das Europaparlament kandidiert, sieht die 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete EUvor allem als Friedensprojekt, das aus ihrer Sicht auch beim Klimaschutz und bei der Verankerung eines europäischen Mindestlohns und EU-einheitlicher Steuersätze gefordert ist. Viel gewonnen wäre aus ihrer Sicht, wenn Städte auf ihren Internetseiten die EU-Fördermittel veröffentlichen würden, die in lokale Projekte fließen.

In diesem Zusammenhang wies der Geschäftsführer der SPD-Ratsfraktion, Claus Schindler, darauf hin, dass der Rat auf Antrag der Sozialdemokraten eine plakativere Dokumentation der Brüssler Fördermittel für Mülheim diskutieren werde.

>> VERBRAUCHERSCHÜTZER SIEHT POSITIVE AKZENTE

Kontrovers diskutiert wurde bei der Europa-Vor-Ort-Veranstaltung die von Mirko Fels, Vorstandsstabsleiter der Verbraucherzentrale NRW, gemachte Aussage, der EU-Binnenmarkt und der Euro hätten nicht nur für mehr Warenvielfalt, sondern auch für niedrigere Preise gesorgt. Letzteres bezog er vor allem auf Gas und Telekommunikation.

Ausdrücklich würdigte Fels das von der EU durchgesetzte 14-tägige Widerrufsrecht und die Pläne der EU-Kommission für eine Musterfeststellungsklage. Sie würde es Institutionen wie der Verbraucherzentrale ermöglichen, Musterprozesse zu führen und so Muster-Urteile zu erstreiten, auf deren Basis geschädigte Verbraucher dann ihre Ansprüche geltend machen könnten, ohne selbst vor Gericht gehen zu müssen.