Mülheim. . Der Missbrauchsskandal in der Kirche macht den Mülheimer Stadtdechanten tief betroffen. Er bedauert, dass Bischöfe die Opfer nicht angehört haben.

Ein Bild hätte sich Mülheims Stadtdechant Michael Janßen, der Pfarrer der Gemeinde Mariä Geburt, so sehr gewünscht: „Dass in Rom die Bischöfe mit den Opfernan einem Tisch zusammensitzen und ihnen zuhören.“ Das fehlte. Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche macht den Stadtdechanten, wie er sagt, „zutiefst betroffen und tieftraurig.“ Was Priester hier Menschen angetan haben, sei „himmelschreiendes Unrecht“ – und das von einer Institution, die „höchste moralische Ansprüche“ an sich und die Menschen stelle.

Janßen lobt, dass dieses Treffen der Bischöfe aus aller Welt überhaupt auf höchster Ebene in Rom erfolgt sei; für ihn ist das ein Verdienst des Papstes. Er bedauert jedoch, dass es bei der viertägigen Begegnung eben nicht dazu gekommen ist, dass die kirchliche Obrigkeit mal mit Opfern spricht. Damit die Kirchenspitze der Welt hört, was einzelne als Kinder erleiden mussten, wie ihnen nicht geglaubt wurde, wie Machtmissbrauch in der Kirche erfolgte, wie Straftaten vertuscht, Akten manipuliert wurden.

Ausmaß der Straftaten bestürzt Gemeinden

„Wir dürfen auf keinen Fall jetzt auf andere zeigen, dorthin, wo es auch Missbrauch gibt. Wir sind schuldig geworden, und wir haben die Verantwortung dafür zu tragen“, betont Janßen und weiß, dass dies viele Menschen seit Monaten in den Gemeinden umtreibt. Keiner hat sich dort vorstellen können, welches Ausmaß diese Straftaten von Priestern haben.

Die Kirche ist für viele ein Ort der Zuflucht, ein Ort des Trostes, des Schutzes, des Geborgenseins – auch das betont der Stadtdechant, der so etwas wie der verlängerte Arm des Bischofs in der Stadt ist. Gerade dieser Anspruch habe massiv gelitten. „Vertrauen wieder aufzubauen, ist nun eine unserer wichtigsten Aufgaben in nächster Zeit“, sagt Janßen und weiß, wie schwer dies sein wird. Einen derartigen Skandal hat es in der Katholischen Kirche noch nicht gegeben. Zugleich spricht auch Janßen sich dafür aus, dass Opfer nicht nur gehört, sondern auch entschädigt werden. „Vertrauen können wir nur durch konsequentes Handeln zurückgewinnen“, ist der Pfarrer überzeugt. Reden allein reiche nicht. Das Bistum Essen sieht er dabei auf einem guten Weg.

Präventionsschulung für alle Mitarbeitenden

So müssen nun alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter im Bistum eine Präventionsschulung durchlaufen, später auch wiederholen. Dabei geht es unter anderem darum: Wie kann man erkennen, dass einem Kind Leid zugefügt worden ist, dass es leidet.

„Mich hat ein Satz der Schulungsleiterin sehr schockiert: Dass ein Kind, das missbraucht worden ist, bis zu sieben Mal versteckte Signale aussendet, um zu sagen: Mir ist Schlimmes angetan worden“, berichtet Janßen. Über zwei Tage geht die Schulung. Auch neu im Bistum: Es kann von Mitarbeitern ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt werden.

Das Bistum Essen, zu dem Mülheim gehört, wird jeden Fall von Missbrauch zur Strafanzeige bringen. Überführte Priester, so sieht es auch Janßen, können dieses Amt nicht mehr ausüben. Auch das sei in der Vergangenheit ein fataler Fehler gewesen: Priester, die derart auffällig geworden waren, seien oft nur versetzt worden.

Der Stadtdechant wünschte sich, dass alle Bistümer in Deutschland diesen konsequenten Weg gingen, und er weiß, dass dies eben nicht so ist – noch nicht.

Gespräch: Rolf Völker, Vorsitzender des Katholikenrats


Wir erleben Sie als Vorsitzender des Katholikenrates in Mülheim an der kirchlichen Basis den Missbrauchsskandal?

Völker: Es ist für uns eine dramatische Krise. Es werden auch zahlreiche Austritte aus der Kirche auf diesen Skandal zurückzuführen sein. Für manchen, der sich innerlich vielleicht vorher schon von der Kirche verabschiedet hat, wird das ein Grund sein zu sagen: Jetzt reicht es!

Rolf Völker, Vorsitzender des Katholikenrats.
Rolf Völker, Vorsitzender des Katholikenrats. © Christoph Wojtyczka

Wie sehen Sie die Stimmung in den Gemeinden?

Da gibt es ganz unterschiedliche Strömungen. Eine ganz große Zahl sagt: Das darf es nie mehr geben. Andere, meist sehr alte Gemeindemitglieder, wollen es gar nicht wahrhaben, dass Priester so etwas getan haben.

Erleben Sie Anfeindungen?

Klar hört man: Ihr Katholiken! Wir sind jetzt die Bösen. Der Missbrauch ist eine Sauerei, das ist kriminell – dafür müssen wir die Verantwortung tragen. Wir haben zum Glück einen Bischof, der hier konsequent vorgeht: durch Präventionsschulungen, dadurch, dass jeder Fall zur Staatsanwaltschaft geht. Wer Täter war, kann ein Priesteramt aus meiner Sicht nicht mehr ausüben.

Sind Sie mit dem Ergebnis der Missbrauchskonferenz in Rom zufrieden?

Nein, ich hätte mir gewünscht, dass der Papst und die Bischöfe auf die Opfer zugehen.

Was erwarten Sie nun?

Konsequente Verfolgung der Straftaten. Null Toleranz gegenüber Tätern, Entschädigungen für die Opfer wie auch therapeutische Hilfen.

Sollte das Zölibat entfallen?

Ich könnte mir vorstellen, dass die Gefahr des Missbrauchs geringer ist, wenn man es aufhebt. Ich wäre auch dafür, dass man Frauen als Priesterinnen zulässt

>>> ZUR PERSON: MICHAEL JANßEN

Michael Janßen wurde 1960 in Oberhausen geboren und 1985 zum Priester geweiht. Nach mehreren Jahren als Kaplan in Oberhausen Sterkrade (St. Joseph) und Mülheim (St. Mariä Geburt) wurde er 1992 Pfarrer in Bochum-Altenbochum (Liebfrauen).

2004 kehrte er als Pfarrer nach St. Mariä Geburt in Mülheim zurück. Hier ist er seit 2008 auch Stadtdechant.