Mülheim. . „Sach wat!“: Ein Zivilcourage-Projekt des Bistums findet in Kneipen statt. Ins „Schräge Eck“ in Eppinghofen kamen über 50 Leute.
„Stammtischparolen“ können einen zur Weißglut bringen. Vor allem, wenn sie laut und heftig vorgetragen werden. Wie aber reagiert man richtig auf Pauschalierungen, Ressentiments, Schuldzuweisungen? Tim Ackermann, Soziologe und Bildungsreferent, wollte beim Caritas-Workshop am Donnerstagabend über 50 interessierten Zuhörern im „Schrägen Eck“ einige Tipps dazu geben.
Mitten in seine einführenden Worte platzt aber der Zwischenruf eines Zuhörers. Dieser redet sich in Rage, bringt lauthals ein Klischee nach dem anderen hervor, schreit eine Frau, die ihm widerspricht, einfach nieder. „Die Ausländer sind doch alle kriminell!“, „Die nehmen uns die Jobs weg!“, „Die leben auf unsere Kosten!“, „Das wird man doch noch sagen dürfen!“ – verallgemeinernde und vereinfachende Parolen werden in den Raum gestellt. Man beginnt, sich aufzuregen. Da wird klar: Hier stellen zwei Schauspieler ein Streitgespräch nach, um auf das Thema einzustimmen.
Zuschauer kommentieren das Schauspiel
Die Zuschauer fangen auch gleich an, das Gesagte zu kommentieren. „Der hat Angst!“, meint eine Frau. „Ja lauter, desto weniger wahr!“, sagt ein Mann. „Wir müssen bei Hetze unbedingt Stellung beziehen. Wehret den Anfängen!“, findet eine weitere Zuhörerin. Einig und besorgt sind die meisten hier darüber, dass das Land polarisiert ist. Aber auch darüber, dass die sozialen Medien viele Falschinformationen verbreiten, dass rechtspopulistisches Gedankengut vermehrt geäußert und dass die Debatte – beispielsweise über die Flüchtlingspolitik – hochemotional geführt wird.
„Ist es in solchen Momenten wichtig, Fakten zu bringen und Haltung zu zeigen?“, fragt ein Teilnehmer angesichts der gespielten Szene. „Wir müssen neue Strategien finden, wie man mit solchen Leuten umgehen kann“, meint ein anderer. Referent Tim Ackermann erklärt, dass es keine Patentrezepte gibt. „Was man machen kann, hängt davon ab, wie brenzlig die Situation ist. Man darf sich nicht in Gefahr bringen, muss sich ein Gespräch zutrauen. Und sich fragen, ob es sich lohnt, mit diesem Gegenüber zu diskutieren“, sagt er.
Nicht immer ist eine Unterredung möglich
Nicht immer sei eine Unterredung möglich, man solle auch nicht erwarten, dass man den anderen überzeugt. Wichtig sei es aber, zu sagen: „Stop, ich habe da eine andere Meinung!“ Wer so Haltung zeige, könne zumindest „die Leute drumherum“ zum Nachdenken bringen. Zuweilen stecke hinter diffamierenden Äußerungen auch ein reales sozialpolitisches Problem. Das müsse man genau betrachten und dann „nicht nach unten treten, sondern sich organisieren und politisch ‘was verändern.“
Im zweiten Teil des Abends geht es konkret um rhetorische Strategien, mit denen man Stammtischgeschwätz begegnen kann. Ackermann, selbst ein sehr guter Rhetoriker, hat Ratschläge parat. Erläutert, wie man ein kollegial-konstruktives Gespräch hinbekommt oder einen aggressiven verbalen Angriff kontert. Das Wichtigste für eine echte Diskussion: Die Situation checken, eine Idee davon bekommen, wie das Gegenüber wahrnimmt, denkt und fühlt.
Geschichten über Selbsterlebtes erzählen
Und: Geschichten erzählen über Selbsterlebtes, nach den Erfahrungen des Anderen fragen, nachhaken bei Verallgemeinerung. „Fragen stellen ist immer eine gute Maßnahme“, so der Referent. „Fragen Sie den Gesprächspartner, warum er sich unwohl fühlt. Um darüber zum eigentlichen Problem zu kommen.“ Effektvoll sei es auch, Argumente zu wiederholen, in Bildern zu sprechen, nicht zu belehren, nach den Quellen zu fragen. Das Gespräch auf Themen zu lenken, die man beherrscht, andere auf der Gefühlseben zu erreichen.
Anders sieht es laut Tim Ackermann bei Angriffen ideologischer Hardliner aus:. „Da will jemand Dominanz zeigen“. Dann heißt es: Sich beruhigen, einschätzen, ob man in der Verfassung zur Gegenwehr ist, sich groß machen, Angriffe nicht persönlich nehmen, sich trauen, was zu erwidern, Grenzen aufzeigen. „Man kann auch ,Schluss jetzt!’ sagen, um einen Bruch in die Kommunikation zu bringen“, so der Referent. Manchmal helfe alles nichts, dann müsse man gehen.
>>>Große Veranstaltungsreihe
„Sach wat! - Kneipentour gegen Stammtischparolen“ ist eine überarbeitete Veranstaltungsreihe des Caritasverbandes im Bistum Essen. Die Veranstaltung am Donnerstag in Mülheim, war praktisch die Premiere.
Der nächste Workshop findet am Donnerstag, 31. Januar, um 19 Uhr im Restaurant „Hayati“, Theaterplatz 1, Essen, statt. Das Projektteam hat auch einen großen Flyer erstellt, der erklärt, wie man Parolen erkennt und welche Gegenstrategien es gibt.