Mülheim. . Mülheimer Essensretter finden sich über Facebook und verteilen Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können. Nichts mit der Tafel zu tun.

An diesem Morgen ist es bitterkalt, ausgerechnet. Der Wind pfeift über den großen Parkplatz und in einer Einfahrt, da stehen Auberginen, Salat, Paprika, rote, gelbe, grüne, und dann gibt es auch noch Brot – „das läuft erst in zwei Tagen ab, aber unser Betrieb würde es nicht mehr verkauft bekommen“, weiß Anja Schellberg. Kurz nach 10 Uhr – alles ist vorbereitet, für eine weitere Verteilaktion der Essensretter.

Ortstermin in Speldorf, da, wo sich ein Discounter niedergelassen und das Eiscafé Kröömel ein Stück seiner Einfahrt für die Essensretter zur Verfügung gestellt hat. Die Mülheimer Foodsaver haben hier eines ihrer Quartiere, verteilen – oder wie sie es nennen „fairteilen“ – die von einem Supermarkt gespendeten Lebensmittel.

Auf die Bereitschaft des Betriebes angewiesen

Anja Schellberg, Food­sharing-Botschafterin für Mülheim, und ihre Mitstreiterin Elena Nsimba waren an diesem kalten Morgen ja eigentlich schon viel früher unterwegs, um die Lebensmittel vorzusortieren. So wie jeden Montag und jeden Samstag. An den restlichen Werktagen der Woche nehmen andere Saver die Waren ab, um dessen Entsorgung sich der Supermarkt dann eben nicht mehr kümmern muss. „Wir gehen mit den Betrieben Hand in Hand“, erklärt Anja Schellberg. Und sie fügt hinzu, denn das ist wichtig: „Wir sind auf die Bereitschaft und die Großzügigkeit unseres Betriebes angewiesen“.

Hinter all der Mühe steckt ein einfacher Ansatz in diesen Zeiten: „Wir sagen aus Prinzip: Verschwendung ist nicht notwendig“, so Anja Schellberg. Mit Idealismus hat es nicht viel zu tun, zu aufgeladen ist ihnen der Begriff. Anja Schellberg und Elena Nsimba machen einfach. Das bedeutet: Die Lebensmittel, die der Supermarkt nicht mehr in den Verkauf bringen möchte, werden von den Foodsavern verteilt. An die so genannten Foodsharer. Facebook ist dabei Plattform, das Medium, das die Essensretter zusammenführt.

Zeiten, Orte, Lebensmittel auf Facebook gepostet

In der Gruppe „Gemeinsam für alle/Foodsharing Mülheim an der Ruhr“ werden die Zeiten, Orte oder auch die einzelnen Lebensmittel zur Verteilung gepostet. Über 700 Mitglieder zählt die Gruppe. Die Sharer und Saver selbst, sie kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Sie wollen nicht, dass so viel von noch Genießbarem weggeworfen wird, sie fordern mehr Wertschätzung für all die Produkte, die Tag für Tag von Menschen für Menschen gemacht werden. Essen für die Tonne – das ist keine Option.

Ein schöner Nebeneffekt des Fair-Teilens: „Man lernt noch eine ganze Menge dazu, etwa über die Zubereitung, über das Einkochen, die Weiterverwendung“. Elena Nsimba stimmt ihr zu. Wie oft haben sie mittlerweile schon aus Obst, das für die Tonne gedacht und doch noch so genießbar war, Marmelade gemacht. „Was ist das denn?“, fragt da auch plötzlich jemand und greift nach gelben Früchten in rotem Korb. Ach so, das sind Quitten. „Da kann man sehr gut Marmelade draus machen“, erklärt Anja Schellberg. Lecker!

Foodsharing ist nicht gleich Verteilung bei der Tafel

Ein Unterschied, auf den es ankommt: Foodsharing ist nicht gleich Verteilung bei der Tafel. „Wir werden sehr oft mit der Tafel verwechselt. Es ist etwas ganz anderes, die Armen zu speisen. Wir schauen nicht darauf, wie viel jemand hat“ betont Anja Schellberg.

Die 50-Jährige sammelt mit Unterbrechungen seit sechs Jahren und hat so schon eine ganze große Menge Lebensmittel vor der Tonne gerettet. Sie sei so aufgewachsen, aber überhaupt es ist wohl eine Herzensangelegenheit, eine Lebenseinstellung regelmäßig zu fairteilen.

Festes Quartier wird noch gesucht

In diesem Jahr übrigens auch an Heiligabend – ist ja ein Montag. Die Verteilung an diesem besonderen Tag wird dann nicht mehr in der Einfahrt des Café Kröömel stattfinden können. „Ab dem 16. Dezember suchen wir ein festes Quartier. Derzeit haben wir noch eine große Portion Nomandentum an uns“, erklärt Anja Schellberg.

Lebensmittel, die verteilt werden.
Lebensmittel, die verteilt werden.

Heißt konkret: Gesucht wird ein Raum, bis zu 30 Quadratmeter groß, der gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen und barrierefrei ist. Dort könnten sie auch einen Kühlschrank aufstellen, um Molkereiprodukte zu teilen. Das dürfen sie nämlich bislang noch nicht. Und noch weitere Möglichkeiten gibt es ja mit einem neuen Raum: „Wir könnten dann auch Workshops oder Abendkurse anbieten, zum Beispiel zum Thema Einkochen“, erklärt Anja Schellberg.

Viel ist nicht mehr übrig, an diesem Montagmorgen. Der Rest wandert ins Regal, in das auf Anja Schellbergs Grundstück. Späte Foodsharer können dann noch kommen, holen, retten. Denn es gilt: Essen für die Tonne ist eben keine Option.

<<< EINE INTERNATIONALE BEWEGUNG

Entstanden 2012 als Initiative gegen Lebensmittelverschwendung, retten die Foodsharer- und -Saver all die Lebensmittel, die man sonst wegwerfen würde.

Mittlerweile ist Foodsharing zur internationalen Bewegung geworden: Laut eigener Homepage hat Foodsharing über 200.000 registrierte Nutzer in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Auf der Internetseite foodsharing.de können die Essensretter erfahren, wo in ihrer Nähe Essen geteilt wird.