Mülheim. . IHK-Präsidentin Jutta Kruft-Lohrengel nimmt die Unternehmen der MEO-Region in die Pflicht. Die Betriebe sollen mehr um Auszubildende werben.
Frau Kruft-Lohrengel, Sie wurden erneut zur Präsidentin der Industrie- und Handelskammer gewählt. Welche Themen möchten Sie in Ihrer zweiten Amtszeit in den Fokus stellen?
Jutta Kruft-Lohrengel: Ich möchte drei Themen exemplarisch nennen: Ausbildung, Digitalisierung, Mobilität. Das Thema Ausbildung gehört zu unserer DNA. Wir müssen uns weiter um den Markt kümmern. Denn es reicht nicht mehr, junge Menschen in eine Ausbildung zu vermitteln. Die jungen Menschen können sich den Ausbildungsbetrieb mittlerweile aussuchen.
Was bedeutet das für die Betriebe?
Kruft-Lohrengel: Dass sie aktiv um neue Auszubildende werben müssen. Sie müssen die Stärken ihres Unternehmens gut präsentieren.
Betriebe beklagen immer wieder eine schlechte Qualität der Azubi-Bewerber.
Kruft-Lohrengel: Ja, diese Rückmeldung bekommen wir auch. Trotzdem gilt: Wenn man ausbilden will, wird sich auch ein Weg finden. Es ist teilweise mühselig, da will ich gar nichts beschönigen. Aber Möglichkeiten sind da, wie etwa externe Weiterbildungen. Wir müssen ausbilden, denn nur durch eine gute Ausbildung können wir dem Fachkräftemangel vorbeugen.
Der trifft viele Betriebe hart, oder?
Kruft-Lohrengel: Ja, daher müssen wir uns durch eine gute Ausbildung unsere Fachkräfte von morgen großziehen. Wir appellieren immer wieder an die Unternehmen, nicht nur zu klagen, sondern auch etwas zu tun. Es reicht nicht mehr, ein Schild an die Tür zu hängen: „Suche Fachkraft“. Junge Arbeitskräfte haben Ansprüche. Sie wollen ihre Work-Life-Balance wahren. Sie möchten die Möglichkeit der Teilzeitarbeit, um sich um den Nachwuchs zu kümmern. Sie wollen ein gutes Betriebsklima und die Möglichkeit zur Weiterbildung. Die Arbeitgeber müssen ihre Attraktivität steigern, ihre Vorzüge herausarbeiten, sich in den sozialen Medien präsentieren, Bewerbungen schnell beantworten. Auf lange Sicht wird dies zum Erfolg führen.
Sie haben auch das Thema Digitalisierung genannt.
Kruft-Lohrengel: Die Digitalisierung begleitet uns seit Jahren und wird uns auch in Zukunft noch beschäftigen. Daher müssen wir unsere Betriebe weiter beraten und von der Wichtigkeit des Themas überzeugen.
Wie sind die Betriebe aus Ihrer Sicht bislang digital aufgestellt?
Kruft-Lohrengel: Das hängt von der Größe der Unternehmen ab. Die kleinen und mittelständischen Betriebe haben Probleme. Da müssen die Unternehmer ja auch viele Aufgaben bewältigen: Steuer, Marketing, Personalsuche, Vertrieb, Beschaffung. Und dann sollen sie sich auch noch um das übergreifende Thema der Digitalisierung kümmern. Es ist eine Frage der Zeit. Und des Geldes, denn große Unternehmen haben eigene Digitalisierungs-Abteilungen und können Experten einkaufen.
Das dritte Thema, das Ihnen für die zweite Amtszeit am Herzen liegt, ist die Mobilität.
Kruft-Lohrengel: Ja. Auch wenn die Diesel-Fahrverbote möglicherweise an uns vorbeigehen, dürfen wir uns nicht zurücklehnen. Wir müssen uns um eine effiziente und umweltgerechte Mobilität kümmern. Wir müssen ein Signal senden: Wir als Wirtschaft wollen von uns aus einen Beitrag zur Umwelt leisten.
Der Mehrheit Ihrer Mitgliedsbetriebe geht es laut Konjunkturumfrage gut. Das Gefühl vieler Menschen ist ein anderes, sie empfinden die Lage als schlecht, kritisieren steigende Armut und prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Woran kann das liegen?
Kruft-Lohrengel: Wir ertappen uns alle mitunter dabei, an die gute alte Zeit zu denken. Doch wenn wir uns an alles erinnerten, wüssten wir: So gut war die gute alte Zeit gar nicht. Wir verdrängen das Negative und halten positive Dinge in Erinnerung. Aber die Entwicklung im Hier und Jetzt ist auch positiv. In den vergangenen zehn Jahren haben wir in Mülheim, Essen und Oberhausen 50.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte gewonnen. Die Kaufkraft ist um drei Milliarden Euro gestiegen. Auf der anderen Seite leben wir in einer Zeit großer Umbrüche und damit verbundener großer Verunsicherung. Ich kann nachvollziehen, dass der Eine oder die Andere das Gefühl hat, den Anschluss zu verlieren.
Was erhoffen Sie sich von der kürzlich gestarteten Ruhrkonferenz?
Kruft-Lohrengel: Ich habe mir zunächst eine Frage gestellt: Warum muss ein Ministerpräsident eine solche Veranstaltung anschieben? Warum haben wir das im Ruhrgebiet nicht selbst hinbekommen? Ich glaube, das liegt daran, dass das Ruhrgebiet zwar in der Außenwirkung homogen ist. Aber intern sind wir ganz unterschiedlich. Daher erhoffe ich mir von der Ruhrkonferenz, dass wir mit vielen Beteiligten strategisch an den Problemen arbeiten, um das Ruhrgebiet in Gänze zu stärken. Was wir loswerden müssen, ist das Kirchturmdenken.
Dann haben Sie keine speziellen Wünsche für die Städte Mülheim, Essen und Oberhausen?
Kruft-Lohrengel: Alle Themenforen der Ruhrkonferenz haben ihre Berechtigung, die Arbeitsplatzsicherheit, die Bildung der Kinder, die Bekämpfung der Clankriminalität etwa in Essen und vor allem das Forum Vielfalt. Denn gerade wir hier im Ruhrgebiet waren von jeher prädestiniert dafür, Vielfalt zu leben und Vielfalt auch aufzunehmen. Ein Wunsch für die MEO-Region wäre aber ein weiterer Innovations- und Wissenschafts-Standort.
Wie zum Beispiel eine Hochschule für Oberhausen?
Kruft-Lohrengel: Nicht, wenn es nur um den Selbstzweck geht. Aber alle Maßnahmen, die sich gegenseitig befeuern und einen Mehrwert bringen, begrüßen und unterstützen wir. Und wenn dies eine Hochschule für Oberhausen ist, mit einem Themenschwerpunkt, der hier bis jetzt in der Region nicht vertreten ist, warum nicht?
Als Sie 2013 zur Präsidentin Ihrer Kammer gewählt wurden, waren Sie die erste Frau in der damals 173-jährigen Geschichte der Essener IHK. Es wurde Zeit, oder?
Kruft-Lohrengel: Ja (lacht)! Die Zeit war einfach reif. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt schon länger eine Bundeskanzlerin. Warum soll es dann nicht auch eine IHK-Präsidentin in Essen geben? Ich sage aber immer: Es kommt nicht auf das Geschlecht, sondern auf den Menschen an. Auf das Engagement und den Spaß, mit dem man bei der Sache ist.
Würden Sie dennoch sagen, dass Frauen es schwerer haben, sich beruflich durchzusetzen?
Kruft-Lohrengel: Das kommt darauf an. In großen Konzernen gibt es für Frauen tatsächlich oft die Gläserne Decke. Sie bekleiden viel seltener Führungspositionen als ihre männlichen Kollegen.
Ist Ihnen das auch schon passiert?
Kruft-Lohrengel: Hier in der Kammer habe ich das Gefühl nie gehabt. Da gab es plötzlich eine Präsidentin – und das war gut. Wir haben es zudem geschafft, den Anteil der Frauen in der Vollversammlung auf 31 Prozent zu steigern. Das ist sehr erfreulich. Generell möchte ich sagen: Das, was hier in der IHK passiert, ist eine Teamleistung. Es gibt einen guten Teamgeist. Ich kann mir noch so viel vornehmen, wenn das Team nicht mitzieht, stehe ich auf verlorenem Posten. Das gilt auch für unsere Mitgliedsbetriebe. Vielen ist es nicht bewusst, aber das Rückgrat der IHK sind die ehrenamtlichen Unternehmer.
Sie sind nicht nur IHK-Präsidentin. Sie führen ein eigenes Unternehmen, sind ehrenamtliche Handelsrichterin, Vorsitzende des Freundeskreises der Ludwiggalerie und vieles mehr. Wie schaffen Sie das?
Kruft-Lohrengel: Ich bin in der glücklichen Situation, in meinem Unternehmen einen zweiten Geschäftsführer zu haben. Ich habe immer das Gefühl, in Ruhe gehen zu können. Ich kann mich darauf verlassen, dass die Arbeit kontinuierlich weitergeht. Und ehrenamtlich engagieren kann man sich eh nur da, wo man Neigungen hat und wo es einem Spaß hat. Ich bin sehr dankbar, dass mein Leben so bunt ist.
>>> Zweifache Mutter liebt Reisen und schnelle Autos
Jutta Kruft-Lohrengel wurde am 9. November 1956 im türkischen Zonguldak geboren. Ihre Eltern hatten beruflich dort zu tun. Die Grundschule und das Gymnasium hat Kruft-Lohrengel in Oberhausen besucht. 1975 hat sie das Abitur abgelegt. Nachdem sie in den elterlichen Betrieb, das Autohaus Kruft, geschnuppert hatte, zog es sie 1978 zum Studium der Betriebswirtschaftslehre nach Göttingen, das sie 1983 mit Diplom abschloss. 1984 hat sie ihren Mann Karsten Lohrengel geheiratet, 1986 und 1991 kamen ihre Söhne auf die Welt. 1990 hat sie gemeinsam mit ihrem Mann die Leitung des Unternehmens Kruft übernommen. Ihre Hobbys: Garten, Reisen und schnelle Autos.
Das Interview mit IHK-Präsidentin Jutta Kruft-Lohrengel führte Nadine Gewehr.