Mülheim. . Journalist Hans Leyendecker wirbt in Mülheims Ladenkirche als Kirchentagspräsident um Vertrauen der Menschen in die Demokratie.

Wenn ein Journalist – der das Misstrauen gegenüber Macht und Politik zu seinem Beruf gemacht hat – für mehr Vertrauen wirbt, ist das schon ungewöhnlich. Und doch geht es dem renommierten Wahrheitssucher, Spiegel- und SZ-Journalisten Hans Leyendecker um eine Kehrtwende, gar von einer „Pflicht zur Zuversicht in schwierigen Zeiten“ spricht der 69-Jährige bei einem bemerkenswerten Vortrag am Mittwochabend in der evangelischen Ladenkirche.

Dabei stammt der Satz nicht etwa aus der Feder Leyendeckers, er hat ihn sich vom deutschen Philosophen Immanuel Kant geborgt. Weil er wieder in die Zeit passt, findet der Mann mit dem etwas zerknautschten Blick und schmaler Brille, der 1982 die Flick-Affäre aufdeckte, jede Information hinterfragte und spätestens seitdem korrupten Politikern das Fürchten lehrte. Nun ist er – und auch das scheint ungewöhnlich – als Präsident des Kirchentags im kommenden Jahr in Dortmund unterwegs. Ersetzt nun der Glaube den Drang zur Wahrheit, für den Leyendecker wie kaum ein anderer steht?

„Lüge!“, ruft jemand aus dem Publikum

„Was für ein Vertrauen“, stellt er in der bis auf den letzten Stuhl gefüllten Ladenkirche die durchaus doppeldeutige Frage, oder ist es ein Ausdruck von Bewunderung, Ehrfurcht? Grund zu Vertrauen scheint es heutzutage in Politik und Gesellschaft jedenfalls wenig zu geben angesichts von Skandalen, Falschinformationen und Filterblasen.

Und kaum hat der Journalist die ersten Sätze über die Auseinandersetzung der Kirche mit rechter Gesinnung im Allgemeinen und der AfD im Besonderen gesprochen, regt sich schon der Widerstand: „Lüge!“, ruft jemand aus dem Publikum. Das kratzt sichtbar an der journalistischen Ehre. Leyendecker ringt ein wenig mit sich, bleibt aber sachlich: „Was ist an dem, was ich gesagt habe, denn Lüge?“

Der Kirchentag werde Rechten keine Bühne bieten

Das Zwiegespräch führt nicht weiter, die Bitte, nach dem Vortrag zu diskutieren, zunächst auch nicht – er und seine Mahnungen zur Gefahr der Islamisierung und des Salafismus würden totgeschwiegen, wirft der Mann nicht nur der Versammlung, sondern auch dem evangelischen Kirchentag vor. So ausgrenzend sei der Kirchentag auch mit der AfD umgegangen, behauptet er. Leyendecker weist dies zurück: „Es ist schon 2012 kritisch über Islamisierung geredet worden.“

Und er stellt noch einmal klar: Der Kirchentag in Dortmund werde Rechten keine Bühne bieten. „Wir dürfen den öffentlichen Raum nicht den Hetzern und Nazis überlassen.“ Er bietet stattdessen an: „Wir müssen darüber reden, warum der Kirchentag dem einen zu grün, dem anderen zu links ist.“

Leyendecker will als Präsident ein Vermittler sein

Leyendecker wird als Präsident ein Vermittler sein, keiner, der ,von oben’ predigt, „der Kirchentag ist eine Plattform, nicht Verkündigung“. Auch wenn er beim Reden immer wieder bedächtig seine Handflächen wie zum Gebet zusammenlegt, sein Vortrag ein wenig schwankt zwischen Bergpredigt und manchen Allgemeinplätzen etwa bei der Frage aus dem Publikum, was die Vertrauenskrise in der Gesellschaft herbeigeführt hat: Emanzipation der Frau, Flüchtlinge, Digitale Revolution, Klimawandel, Heimatverlust.

Kein Wunder vielleicht – das Thema ist gewaltig und für jeden vielleicht anders zu beantworten. Und dennoch will Leyendecker dieser Abkehr von der demokratischen Gesellschaft, dem Grundgesetz, „der inneren Auswanderung“ begegnen, Mut machen, Vertrauen herstellen. „Unsere Gesellschaft braucht Visionen. Wir werden uns anstrengen müssen.“