mülheim. . Parteinachwuchs lädt den fast 95-jährigen Wilhelm Knabe zur Diskussion ein. Dieser sorgt sich um die Zukunft der Jugendlichen.

Wie soll die Welt ausschauen, wenn man einfach seinem Wunschdenken freien Lauf lässt? Dieser Frage stellte sich die Grüne Jugend Mülheim und hatte sich zur Diskussion das älteste Mitglied der Grünen in die Geschäftsstelle an der Bahnstraße eingeladen.

Wilhelm Knabe wird nächste Woche 95 Jahre alt, doch sein Interesse an Politik ist ungebrochen. Und ihm liegt daran, seine Anliegen weiterzugeben an die junge Generation. Deshalb suchte er das Gespräch mit ihnen. „Für die paar Jahre, die ich lebe, werden die Ressourcen noch reichen, aber es geht um eure Zukunft“, sprach er seine jugendlichen Zuhörer direkt an.

Das grüne Urgestein benutzt gern den Begriff „Raumschiff Erde“ als Metapher für seine Vorstellung eines gemeinschaftlich zu bewerkstelligenden vernünftigen Umgangs mit der Natur: „Auf dem Raumschiff hängt einer vom anderen ab. Wenn einer vergisst, das Ventil aufzumachen, müssen alle qualvoll sterben.“ Gegenwärtig fehle ein globales Bewusstsein: „Die Menschen müssen sich als Erdbewohner fühlen und nicht als Deutsche, Grüne oder Migrant.“

Kritik an der eigenen Partei

Der Ehrenvorsitzende der Mülheimer Grünen möchte die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit bewahrt sehen: „Mein ‚Raumschiff Erde‘ ist ein Weckruf, ein Notruf, ein Notschrei“ sagt er, und unterstreicht diese Aussage mit lauter, leidenschaftlicher Intonation, die ihm auch im hohen Alter nicht abhanden gekommen ist.

Aktuell ist ihm das Vorgehen im Hambacher Forst ein Dorn im Auge: „Was dort passiert, ist eine Kriegserklärung an Mutter Erde.“ Dabei spart er nicht mit Kritik an der eigenen Partei, von der er mehr Widerstand erwartet: „Vielleicht sind die noch zu frustriert vom Scheitern der Jamaika-Koalition.“

Knabe möchte an diesem Samstagnachmittag keinen Monolog führen, sondern er will wissen, was die Jugend bewegt. „Ich bin neugierig zu erfahren, wie ihr euch die Welt vorstellt.“ Und gibt im nächsten Satz ein Geheimnis preis: „Neugierde ist ein Lebenselixier, das mich auch im hohen Alter noch fit hält.“

Traumschiff statt Raumschiff

Björn Maue, Sprecher der Grünen Jugend Mülheim, stellt kurz die Ergebnisse vor, die die Teilnehmer des Treffens zuvor in einem Workshop erarbeitet haben. Ausgangspunkt war die Erde im Rohzustand – statt eines Raumschiffs baut man ein Traumschiff, eine ideale Neugestaltung. Zum besseren Verständnis der Menschen untereinander wäre es zum Beispiel wünschenswert, eine „Weltsprache“ zu entwickeln. „Chancengerechtigkeit in der Bildung ist ein weiterer wichtiger Punkt. In der Welt, in der wir leben wollen, werden die Ressourcen gerecht verteilt“, referiert Maue, und verweist auf „unsere Überflussgesellschaft, der es noch gut geht.“

Wilhelm Knabe hört den Ausführungen interessiert zu und führt hier und da seine eigenen Standpunkte aus. Die Beseitigung der Sprachbarrieren liegt ihm auch am Herzen: „Allerdings unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit betrachtet ist die englische Sprache die falsche Wahl“, da sie für manche die Muttersprache, für andere Zweitsprache ist. Lieber wäre ihm eine Kunstsprache wie Esperanto.

Eine richtige Debatte kommt nicht auf

Eine richtige Debatte will an diesem Tag irgendwie nicht aufkommen. Vielleicht ist der Respekt vor dem Alter zu groß. Obwohl der Alt-Grüne Angriffsflächen bot, wenn er das von einer grünen Schulministerin initiierte Inklusionsvorhaben als schlecht ausgeführt tadelt.

Lieber hörte man gespannt den vielen Geschichten zu, die der noch 94-Jährige aus seinem Leben zu erzählen hatte: Einen breiten Bogen spannend von Erlebnissen aus seiner Kindheit bis zu den Widerständen in Beruf und Partei, denen er auch in der Gegenwart nicht aus dem Weg geht.

>>> Zur Person
Wilhelm Knabe wurde am 8. Oktober 1923 in der Nähe von Dresden geboren. Sein Vater war Pfarrer. Nach dem Krieg, in dem er bei der Luftwaffe diente, studierte er in der DDR Forstwirtschaft. Unzufrieden mit den politischen Verhältnissen, flüchtete er 1959 in den Westen. Hier war er lange Zeit Beamter in der Landesanstalt für Ökologie, Landschafts- und Forstplanung.

1979 gehörte Knabe zu den Gründern der Grünen, für die er von 1987 bis 1990 auch im Bundestag saß. 1994 wurde er für fünf Jahre zweiter Bürgermeister in Mülheim.