Mülheim. . Zum Tag der Trinkhallen ist an den Buden in der Stadt mehr Betrieb als sonst. Neben Kunst, Musik und Nostalgie gibt’s Zeit für nette Pläuschen.
Von wegen gemischte Tüte: Kaum hat DJ Lukas Erdmann am Kiosk Springweg einen neuen Satz Beats auf den Plattenteller gelegt, stürmen die Silverstars Cheerleaders mit silbernen Pompoms zum auf Techno getrimmten „Girls just wanna have fun“ aus dem engen Eckbüdchen, als hätte ein Elektromarkt gerade den Millionsten Kunden zu feiern. Das geneigte Kiosk-Publikum reibt sich die Augen oder hebt das Flaschenbier ob der tänzerischen Einlage des furiosen Frauenquintetts. Ein Nachbar mit Boxer sucht das Weite.
Der Grund für solche Begegnungen der ungewohnten Art an diesem Samstagnachmittag ist jedoch ein einfacher: Zum Tag der Trinkhalle lässt das Ruhrgebiet seine Buden hochleben. An vielen Kiosken haben die Inhaber zusammen mit der Ruhr Tourismus GmbH und Sponsoren ein unterhaltsames und manchmal schön-schräges Programm zusammengestellt.
Die skurrile Streetart von Simon und Gerome gehört dazu – „das ist frühe Bourgeoisie “, korrigieren die Künstler, die sich „Kotburschis“ nennen, mit nachdenklicher Miene und Zeigefinger und Daumen am Kinn. Über ihre Kunst, die gerade von zwei Nachwuchsartisten mit Wachsmalkreide erweitert wird, lässt sich jedoch offenbar streiten. „Ich hatte zu viel ADHS, deshalb kann ich keinen Bürojob machen“, klagt Simon, der ansonsten als Illustrator arbeitet. Allzu ernst nimmt das kuriose Spektakel niemand, neben Bratwurst, Caipirinha, Cheerleading und Aktionskunst läuft eben vieles auch wie immer. Also: Bierchen, Zigaretten, Zeitschriften.
Kioske sind nach wie vor Kult
Denn die Kioske sind für die meisten „ein Stück Ruhrgebietskultur“, findet Kai Krebber. Der Ruhri aus der Fremde – Krebber hat in den vergangenen Jahren die USA und Irland bereist, bevor es ihn nach Ost-Westfalen verschlug – ist mit seiner Heimat noch stark verbunden. Gerade kehrte er zum „Vettern-Treff“ mit der Familie nach Mülheim zurück und hat kurzerhand einen Abstecher zum nahen Kiosk gemacht: „Ich finde den Tag der Trinkhallen eine tolle Sache. Das passt zum Ruhrgebiet, man trifft sich ‘anne Bude’. Das ist Kult. Ich kann mich noch erinnern, als ich als Junge immer weiße Mäuse am Kiosk gekauft habe, für einen Pfennig.“
Die gemischte Tüte auch mit besagten Mäusen gibt’s heute noch. Am Kiosk sind aber die Sammelkarten – das Kiosk-Quartett – echt gefragt. Ein paar Hausnummern weiter die Mühlenstraße rauf, geht es mindestens genauso künstlerisch wertvoll weiter. Die Jazz-Gruppe „Endgegner“ hat die Dudel-Melodien zu Daddelspielen wie Mario Kart, Tetris und anderen Videogames originell zu Jazz-Nummern vertont. Schlagzeuger und Telespielzocker Ramon Keck kam auf die kuriose aber überraschend hörenswerte Idee: „Wenn wir in Clubs damit auftreten, sind die Lager manchmal geteilt“, meint der Kölner Musiker. Sprich, die Spieler unter den Kulturbeflissenen jubeln, wenn sie die Stücke wiedererkennen. Die Puristen bestehen auf ihre Standards.
Routine an der Theke
„Der Tag ist eine tolle Sache, das sollte es jedes Jahr geben“ – so denken viele „Budisten“, mit denen man hier, am Platz unter Kastanien zwischen Mühlen- und Nordstraße, schnell und unkompliziert ins Gespräch kommt. Denn am Büdchen seien irgendwie alle gleich, glaubt ein Nachbar, der „’n Köpi und ‘n Päckchen“ abholt, und es in freundlicher Routine rüber geschoben bekommt. Wie immer.
>>Gut 50 Buden zwischen Duisburg und Dortmund warteten zum zweiten Tag der Trinkhallen mit offiziellem Programm auf. Drei Buden mischten vor Ort in Mülheim mit.
20 000 Besucher sollen laut Veranstalter am Samstag an den Kiosken der Büdchen-Inhaber vorbeigeschaut haben. Viele davon seien Stammkunden.