Mülheim. . Polizei verteilt immer mehr Knöllchen für dreistes Parken, Rasen, Telefonieren am Steuer. Bei allen Verkehrsteilnehmern nehme der Egoismus zu.

Die Straßenverkehrsordnung fordert gleich in ihrem Paragraf 1 „ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht“. Doch davon sei, so die Polizei, auch auf Mülheims Straßen nicht mehr viel zu merken. Egoismus, Aggressivität und Rücksichtslosigkeit bestimmten den Alltag auf der Straße, klagt Polizeidirektor Wolfgang Packmohr. „Zunehmend fehlt die Moral im Straßenverkehr.“ Der Leiter der Direktion Verkehr erfährt das nicht nur von den Einsatzkräften auf der Straße. Er sieht das auch an den deutlich steigenden „Sanktionszahlen“, an der Anzahl der Knöllchen, der Verwarnungen und Bußgelder, die in Mülheim etwa für rücksichtsloses Parken oder Rasen, Telefonieren am Steuer oder Fahren bei „Rot“ verteilt werden.

Waren es im Jahr 2016 noch 23 000 Vorgänge im Jahr, so stieg die Zahl im vergangenen Jahr bereits auf 27.000. Im ersten Halbjahr 2018 ist die Polizei schon bei rund 15 000 Verkehrsverstößen und Ordnungswidrigkeiten angelangt. „Ich denke, dass wir in 2018 von 30 000 Vorgängen für Mülheim ausgehen müssen“, sieht Packmohr die weitere Entwicklung eher pessimistisch.

Verkehrszeichen werden versetzt

Ob Autofahrer, Radler oder Fußgänger: Rücksichtnahme ist Fehlanzeige. Stattdessen poche jeder auf sein Recht. Dabei, erinnert Packmohr, werde von Verkehrsteilnehmern erwartet, sich auch auf die Fehler anderer einzustellen, und etwa das Tempo so zu wählen, dass „es nicht zu einem Unfall kommt“. Stattdessen beobachtet die Polizei: Autofahrer halten „einfach drauf“, Fußgängern sind rote Ampeln egal, Radler rasen auf geteilten Fuß-/Radwegen mit hohem Tempo an Passanten vorbei. Und das Telefonieren am Lenker sei ebenso übliche Unsitte wie am Steuer.

Mehr Gelassenheit

Heute Morgen auf dem Weg in die Redaktion: Im Parkhaus wurde ich beim Einparken noch schnell geschnitten und böse angehupt, weil da jemand keine 30 Sekunden warten mochte. An der Ampel über die Eppinghofer fuhren gleich zwei Autos bei Rot. Und als ich auf den Eingang zulaufe, muss ich vor einem Radler zurückspringen, der eine Schussfahrt vom Kurt-Schumacher-Platz in Richtung Leineweber macht. Wenn man nur darauf achtet, fällt’s schon auf, dass das Klima auf der Straße ziemlich rau geworden ist.

Schlimm nur, dass man sich schon daran gewöhnt hat. Selbst ertappt man sich aber auch dabei, dass im Auto die Reizbarkeit besonders hoch ist, wenn andere sich gerade am Steuer austoben. Mehr Gelassenheit könnte helfen. Gleich morgen fange ich damit an.

Weil alle so schnell wie möglich von A nach B und am liebsten stets vor der eigenen Tür (oder vor dem Bäcker parken) wollten, werde sich auch nicht gescheut, Verkehrszeichen zu versetzen, oder, bei einer Baustelle, das „Durchfahrt verboten“ oder die Einbahnstraßenregelungen zu ignorieren. „Wir haben das Phänomen auch bei Baustellenabsperrungen“, klagt Packmohr. Autofahrer stellten die Warnbaken an die Seite und führen dann einfach über den Gehweg. „Und dann werden auch noch die Fußgänger angehupt.“

Stadtverwaltung bestätigt das Verhalten

Die Stadtverwaltung bestätigt dieses Verhalten, etwa an der Schollenstraße. Zu Beginn der Bauarbeiten auf dem alten Kaufhof-Gelände habe man oft Autofahrer dabei beobachten können, den Umweg über den Bürgersteig zu nehmen. „Insgesamt ist die Hemmschwelle gesunken“, sagt auch Stadtsprecher Volker Wiebels. „Die Leute sind dreister geworden.“ Bauarbeiter müssten morgens vor der Arbeit erst die Verkehrszeichen wieder aufstellen und die Baustellenabsperrung aufbauen, beklagt Packmohr.

Das sei kein Phänomen der vergangenen fünf Jahre, heißt es bei der Stadt Mülheim, doch „vor 20 Jahren hätte sich das niemand getraut“. Das ist aber nun kein Kavaliersdelikt, sondern ein Eingriff in den Straßenverkehr, betont Polizeidirektor Wolfgang Packmohr. „Niemand ist befugt, Verkehrsschilder zu verstellen.“

Packmohr sieht diese Entwicklung als ein gesellschaftliches Problem: „Der Egoismus greift immer mehr um sich. Man bekommt den Eindruck, dass der Gemeinsinn verloren gegangen ist. Viele sehen nur noch ihre eigenen Belange und nicht mehr das Gemeinwohl.“ Polizeiliche Maßnahmen seien da nur eine Möglichkeit: „Hier muss eine gesellschaftliche Diskussion angestoßen werden“, fordert Polizeidirektor Wolfgang Packmohr.

>> BLICK IN DIE STRASSENVERKEHRSORDNUNG

Straßenverkehrsordnung (StVO), §1, Grundregeln: (1) „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“

(2) „Wer am Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“