Mülheim. . Bundesweite Kampagne ehrt die einstigen Problem-Häuser als „große schöne Bauten“ und als beispielhaften Versuch städtebaulicher Neuordnung.
Sie sind zweifellos prägend für unsere Ruhrstadt, wie unrasierte Stoppeln trotzen sie der ansonsten irritationslosen Mülheimer Skyline – aber sind die vier Hochhäuser am Hans-Böckler-Platz im Herzen der City auch „schön“?
Ja, wenn es nach der Ansicht der Akteure der bundesweiten Kampagne „Big Beautiful Buildings“, also „große schöne Gebäude“, geht. Die Macher wollen die bislang unentdeckte Architektur der 1950er bis 1970er Jahre würdigen. Für sie stehen die „Türme“ für den Versuch der städtebaulichen Neuordnung: Sie sollten einmal die Innenstadt neu beleben.
Morbide Ästhetik aus grauem Beton
Doch Jahrzehnte lang waren sie ein Symbol für etwas anderes, für die Enge und Anonymität einer Trabantenstadt mit allen sozialen Folgeproblemen, für eine morbide Ästhetik aus grauem Beton. Vom stolzen Vorzeigeprojekt ästhetisch wie stadtgesellschaftlich weit entfernt, tauchten die vier Gebäude als Ensemble neben Camera Obscura, Stadthalle, Wasser- und Rathausturm auf den Ansichtskarten der Stadt eher selten auf. Das könnte sich dank der Kampagne ändern.
Am vergangenen Donnerstag weihten Tim Rieniets, Mitarbeiter der Kampagne, SWB-Geschäftsführer Andreas Timmerkamp und Ringlokschuppenchef Matthias Frense gemeinsam die Tafel „Beispielhafte Bauten“ an der Hauswand eines der Hochhäuser ein.
Das alljährliche und sehr gut besuchte Sommerfest des Mülheimer Sozialen Wohnungsbaus (SWB), Eigentümer zumindest der Nummer 7/9, auf dem nahen Bolzplatz bildete den Rahmen dieser Ehrung.
Luxuriöse Ausstattung mit Schwimmbad und Sauna
Doch wie kommt es zu dem Sinneswandel? Tim Rieniets führt vor allem das einst innovative Konzept der Hochhausarchitektur an, die verdichtete Wohnbebauung mit Anschluss an ein Einkaufszentrum, Trennung des Autoverkehrs durch ein Parkdeck, luxuriöse Ausstattung wie Schwimmbad und Sauna sowie Beton als „neuer Baustoff“ an. „Es ist gar nicht so verrückt. Damals wurde massiv gebaut, Beton machte das möglich – und wo hat man sonst schon so einen Ausblick?“
Auf dem Sommerfest stimmen viele Hausbewohner zu, wenn man sie fragt, ob sie schön wohnen. Die Aussicht wird immer wieder betont, aber auch die Gemeinschaft. „Es ist längst nicht mehr so anonym, wie noch vor einigen Jahren“, erläutert Sylvia Timmerkamp, die seit fünf Jahren die mehr als 200 Wohnungen auf über 20 Etagen im SWB-Haus betreut. Mit einem Ansprechpartner im Haus, Videoüberwachung, täglichen Qualitätschecks, regelmäßigen Gemeinschaftstreffs habe der SWB das Steuer vor vielen Jahren herumgerissen.
Zeitreise in die Geschichte der Gebäude
Ringlokschuppenchef Frense ist von der Geschichte und Entwicklung der Hochhäuser beeindruckt: Um diese sichtbar und erfahrbar zu machen, haben der Ringlokschuppen und das Medien- und Performancekollektiv Ligna ein interaktives Spiel entwickelt und es „Mission Impossible“ genannt. „Es ist eine Art Agentengeschichte. Die Menschen werden mit Kopfhörern auf eine Zeitreise geschickt, in der sie Geschichtliches und anderes über die Gebäude erfahren. Sie sind zum Beispiel der Frage auf der Spur, warum das fünfte Hochhaus niemals gebaut wurde“, erläutert Frense. Im September soll diese Erlebnistour beginnen.
<<< INTERAKTIVE TOUR
Die Medienkünstler von Ligna haben bereits einige solcher interaktiven Touren in der Stadt entwickelt. 2013 ließen sie zu „Walking the City“ Menschen mit Kopfhörern durch die Mülheimer Fußgängerzone gehen und auf Kommando mal schreiten, mal rennen – scheinbar merkwürdige Dinge tun.
Ähnlich soll es auch diesmal bei dem interaktives Spiel sein. Die Touren dauern etwa 45 Minuten. Termine: Samstag, 1. September sowie 8. September, jeweils von 12.30 bis 17.30.
Um Anmeldung wird gebeten unter : tickets@ringlokschuppen.de.