Mülheim. . Schützenbrüder feiern eine rauschende „Musik-Night“ in Selbeck. Pop-Legende Harpo, die extra eingeflogen wurde, bringt das Festzelt zum Kochen.

Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Schützenverein und einer Schützenbruderschaft? Ganz einfach: Die einen kommen zusammen, um beim Schießen ihre Freunde zu sehen; die anderen verteidigen „Glaube, Sitte, Heimat“. Das Motto hält man bei der „St. Sebastianus Schützenbruderschaft Selbeck-Breitscheid 1901“ hoch. Inzwischen ist es kompatibel mit der aufmüpfigen Halbstarken-Attitüde des Rock’n’Roll. Wie am Freitag in entspannter Atmosphäre bei der „Selbecker Musik-Night“ im gefüllten Festzelt am Stockweg.

„Oh Danny Boy“, dachte da wohl so manche Dame beim Anblick des smarten Frontman von „Danny & The Chicks“, der mit großer Stimme über dem satten Half-Playback einer Rock’n’Roll-Combo die Fifties zurück aufs Dorf brachte. Wirkungsvoll unterstützt von vier nicht mehr ganz taufrischen Chicks, die vergnügt tanzend packende A-capella-Fundamente präsentierten, funkelten da die großen Hits aus der Jugend der Schützenbrüder. Eine schmissige Show mit Songs von Bill Healey und Konsorten, garniert mit eigenem Material und gar einem wundersam in die Wirtschaftswunderjahre zurückgebeamten „Ich bau Dir ein Schloß“ des Königs von Mallorca, dessen Text prompt alle lautstark mitsangen.

Aus Göteborg eingeflogen

Die deutsche Rock'n'Roll-Combo
Die deutsche Rock'n'Roll-Combo "Danny & The Chicks" trat in Mülheim auf. © Sven Thielmann, Essen

Nur das stilechte Abhotten wollte nicht so recht klappen – offenbar hatten nur wenige das alte Tanzlehrer-Kommando „Rück Platz Wechselschritt“ noch im Ohr. Dennoch herrschte Party-Stimmung. Schützen können bekanntlich heftig feiern. Und dann brachte Schützenbruder Dieter Grimberg, auch bekannt als DJ „Dr. Beat“, mit amerikanischer Grandezza einen alten Freund auf die putzige Bühne hinterm Jägerzaun. Erstes Kreischen quer durch alle Generationen, denn schließlich ist Jan Svensson als Harpo ein echte Pop-Legende. Er wurde noch am Freitagnachmittag vom Flughafen Köln-Bonn abgeholt, angereist aus Göteborg.

Vitaler und begnadete Entertainer

Mit seinen mittlerweile 68 Jahren ist Harpo immer noch eine Stimmungskanone par excellence, wie sich innerhalb von Sekunden zeigte. Saukomisch, wie er in putzigem Deutsch sein gewandeltes Aussehen erklärte: „Wie heißt das?“ deutete Harpo auf seine Oberlippe. „Schnauzer? Ich hab doch keinen Hund...“ Tosendes Gelächter im Festzelt und dann schnurrte der begnadete Entertainer hinreißend vital einmal quer durch seine großen Erfolge. Voll professionell natürlich über eingespielte Basics – eine Band wäre ja auch viel zu teuer im Unterhalt. Da reckten sich die Hände zum Himmel, groovte das Zelt, als Harpo wie stets barfuß den Rock’n’Roll-Clown gab, das „Horoscope“ auslegte und als jung gebliebener Alt-Biker die „Motorcycle Mama“ besang.

Harpo weiß noch immer, wie er sein Publikum mitreißen kann.
Harpo weiß noch immer, wie er sein Publikum mitreißen kann. © Sven Thielmann

Sein begeistertes Publikum war ihm der textsichere Chor, nur nicht bei seiner fabelhaften Version von Charlie Chaplin’s berühmten „Smile“, das alle zu eben jenem anrührte. Alter Schwede, was für eine Show!

Und dass, obwohl seine Vergangenheit nach dem Ausstieg aus dem Musikgeschäft mit einem tragischen Erlebnis verbunden ist. Harpo, dessen Künstlername eine Hommage an den US-amerikanischen Komiker Harpo Max ist, begann nach seiner Musikkarriere 1977 mit der Pferdezucht. 1980 verletzte ihn ein Pferd lebensgefährlich im Gesicht, wodurch er den größten Teil seines Sehvermögens verlor. Nach langer Genesungsphase feierte Harpo in den 1990er-Jahren sein Comeback.

Superhit „Moviestar“ als Höhepunkt

Den Superhit „Moviestar“, den er 1975 herausbrachte, präsentierte er in Selbeck als Höhepunkt. Den Song nahm er damals mit Anni-Frid von ABBA als Background-Sängerin aufnahm. In Deutschland hielt sich der Ohrwurm 32 Wochen in den Charts. Im Festzelt waren es zwar nur einige Minuten, aber die hatten es in sich.

Danach waren alle schweißgebadet, die „Selbecker Musik-Night“ aber dank Dr. Beat noch lange nicht zu Ende. Der sorgte bis in die Morgenstunden dafür, dass die Schützen in ihrer Heimat ihrer Sitte treu bleiben.

>> SELBECK HAT EINE SCHÜTZENKÖNIGIN

Die St. Sebastianus Schützenbruderschaft Selbeck-Breitscheid 1901 feierte ihr Schützen- und Volksfest Foto: Franz Naskrent Selbecker Schützen haben im Rahmen ihres Festwochenendes wieder den Vogel abgeschossen. Dieses Mal allerdings nur in zwei Altersklassen, weil bei den Schülern schlicht der Nachwuchs fehlte – wie in vielen Vereinen. Nur ein Schüler wäre angetreten. Dafür gab’s bei den Kronprinzen und dem Königsvogelschießen zwei neue Gewinner, die nun ein Jahr lang ihre Schützenbruderschaft nach außen repräsentieren werden.

Bei den Kronprinzen hat sich am Ende der Jugendliche Till Klimczak gegen die Konkurrenz durchgesetzt. Beim Königsvogelschießen hat eine Frau gewonnen – erst zum zweiten Mal überhaupt. Seit 2012 schießen in Selbeck auch Frauen um den Vogel. Nun ist Ingrid Öffing neue Schützenkönigin ihres Vereins und zeigt sich neben den eigenen Veranstaltungen auch bei Einladungen anderer Schützenbruderschaften.

Die St. Sebastianus Schützenbruderschaft Selbeck-Breitscheid 1901 beim Festumzug.
Die St. Sebastianus Schützenbruderschaft Selbeck-Breitscheid 1901 beim Festumzug. © Franz Naskrent