Mülheim. . Christa van Berend hat eine der größten und ältesten Gesamtschulen des Landes geleitet. Wertschätzung und Respekt waren für sie entscheidend.

1800 Schüler arbeiten an der Gustav-Heinemann-Schule, 150 Lehrer, Sozialarbeiter, Hausmeister, Sekretärinnen, es gibt einen Schulhund – und eine Chefin. Das ist Christa van Berend (65). Nach 42 Jahren endet für sie am Freitag das Lehrerinnen-Dasein an einer der größten und ältesten Gesamtschulen im ganzen Land. Ein Gespräch zum Abschied.

Als Sie Abitur gemacht haben, stand da die Lehrerausbildung oben auf Ihrer Wunschliste?

van Berend: Nein. Mein Wunsch war, Medizin zu studieren. Doch damals gab es darauf schon einen so hohen Numerus Clausus, dass es für mich nicht mehr infrage kam. So studierte ich Geisteswissenschaften, Germanistik und Romanistik für das Lehramt.

Für den Lehrerberuf gab es damals aber auch ein Nadelöhr. Das Land machte irgendwann dicht und stellte nicht mehr ein. Eine Hürde für Sie?

Ich musste mich mit dem Studium beeilen, um noch rechtzeitig reinzukommen. Hatte aber auch sehr gute Examina, das war eine Hilfe.

Haben Sie dem Beruf als Ärztin nachgetrauert?

Ich habe eine Affinität zur Medizin behalten. Ich habe etwa eine Art Sanitätsstation an der Gustav-Heinemann-Schule eingerichtet. Wenn es etwas zu verbinden und zu versorgen gibt, bin ich da.

Jede Schülergeneration hat etwas Besonderes

Viele Lehrer, die in den Ruhestand gehen, sind froh. Den Beruf empfinden immer mehr als sehr belastend. Atmen Sie auf?

Schule ist anders geworden. Sie ist anstrengend, fordert viel von jedem. Aber ich scheue mich davor zu sagen, dass früher alles besser war. Jede Schülergeneration ist anders, hat etwas Besonderes. Die jetzige Generation etwa schätze ich wegen ihrer Vielseitigkeit bei den Interessen. Sie hat den Drang zur frühen Selbstständigkeit. Viele müssen sich heute auch früher im Leben behaupten. Wer hat denn heute noch ein Elternhaus mit Vater und Mutter von der Wiege an?

Die Schule ist für viele Familienersatz?

Sie ist für viele eine zweite Familie, und ich bewundere viele meiner Kollegen, die weit über ihre Dienstzeit hinaus, sich um die Kinder und Jugendlichen und deren Anliegen kümmern. Das Pädagoge-Sein hat immer mehr zugenommen.

Was war Ihnen in 42 Jahren als Lehrer besonders wichtig? Gibt es für Sie eine Richtschnur?

Ich halte ein Wort von Gustav Heinemann, dem Namenspatron unserer Schulen, für sehr wichtig und entscheidend: ,Friede ist kein Naturprodukt, er wächst aus menschlichem Handeln.’ Dazu kann und sollte Schule viel beitragen. Das hat viel mit Werteerziehung zu tun, damit, wie wir miteinander umgehen. Wir grüßen, sind freundlich zueinander. Ich halte zum Beispiel auch einem Schüler die Tür auf. Die Welt draußen ist mittlerweile so zerstritten und bedrohlich geworden, die Schule sollte immer ein Ort bleiben, an dem wir alle respektvoll miteinander umgehen. Wir brauchen ein soziales Klima in der Schulgemeinde.

Eine Schule für alle

Schule in NRW bedeutet auch die Wahl zwischen: Hauptschule, Realschule, Förderschule, Gesamtschule, Gymnasium und jetzt auch noch Sekundarschule. Halten Sie so eine große Auswahl noch für sinnvoll?

Nein. Eine Schule, eine Gesamtschule, die alle Abschlüsse anbietet und gut mit Personal ausgestattet ist, hielte ich für optimal. Heute sprechen wir von Restschulen und Eliteschule, das halte ich für nicht gut und sehe eine Gefahr darin. Die Heterogenität der Gesellschaft sollte sich in einer Schule abbilden. Ich glaube, dass man an so einer Schule auch jeden Einzelnen gut nach seinen Möglichkeiten fördern kann.

Was müsste sich im Alltag ändern, damit Lehrer und Schüler gut arbeiten können?

Die Bedingungen sind immer schwieriger geworden. Die Klassen sind viel zu groß, auch wir haben über 30 Kinder in einer Klasse. Es gibt nicht genug Förderlehrer, es gibt in bestimmten Fächern großen Lehrermangel, es wird immer schwieriger, überhaupt Lehrer zu bekommen. Die Verwaltungsarbeit für Lehrer ist immer mehr geworden, dafür bräuchten wir Unterstützung. Grundsätzlich sollte der Staat mehr in die Bildung und damit in Schulen investieren.

Schulleiterin Christa van Berend in der Eingangshalle der Schule.
Schulleiterin Christa van Berend in der Eingangshalle der Schule. © DANIEL ELKE

42 Jahre Lehrerin bedeutet auch 42 Jahre lang zu beurteilen und zu bewerten. Ist Schule gerecht?

Früher habe ich mir mehr Sorgen gemacht: Bin ich dem Schüler gerecht geworden? Heute ist es einfacher. Es gibt einen klaren Kriterienkatalog für die Bewertung, es gibt zentrale Prüfungen, die Vergleichbarkeit von Leistung ist größer geworden. Und wenn heute ein Kind kommt und sagt, dass es sich ungerecht behandelt fühlt, dann ist das nicht nur sein gutes Recht, sondern es zeigt auch Selbstständigkeit – und das ist gut.

„Ich gehe zwar mit Wehmut, aber ohne Sorgen“

Sie haben im Lehrerzimmer Kollegen, die sind verbeamtet, andere angestellt, wieder andere sind Quereinsteiger – alle werden unterschiedlich bezahlt. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit bietet hier gerade der Staat nicht. Für Sie ein Ärgernis?

Ich halte es nicht für gut, kann aber daran nichts ändern. Das müssen andere tun. Ich habe immer versucht, gegenüber Kollegen meine Wertschätzung auszudrücken, zu loben. Ich weiß, vieles, was in Schule geleistet wird, ist keine Selbstverständlichkeit.

Inzwischen ist es für den Staat alles andere als leicht, einen Schulleiter zu finden. Im Grunde haben Sie ein mittelständisches Unternehmen geleitet, aber auch für viele Jahre eine Dauerbaustelle. Geht es an der Gustav-Heinemann-Schule nahtlos weiter?

Ja, und darüber bin ich auch froh. Wie es aussieht, wird mein Stellvertreter der künftige Schulleiter werden. Deshalb gehe ich zwar mit Wehmut, aber nicht mit Schmerzen oder Sorgen.

Wie wird der Ruhestand aussehen?

Ich habe an der Fernuniversität Hagen bereits ein neues Studium begonnen: Internet-Journalismus für Kultur. Zwei Jahre dauert die Ausbildung, danach werde ich schreiben.

>> Zur Person

- Christa van Berend stammt aus Duisburg, wo sie das Hildegardis-Gymnasium, eine Schule des Bistums besuchte und eine humanistische Ausbildung erhielt. Sie unterrichtete nicht nur Französisch, sondern schwärmt auch für das Land und besucht dort oft Freunde.

- Über viele Jahre hat sie nicht nur den Schulalltag in Dümpten, sondern auch die fast 20 Jahre lang dauernden Bauarbeiten an dem Schulgebäude mit organisiert.

- Sie ist Frühaufsteherin, auch wegen ihrer Hunde, die ihren Alltag mit strukturieren. Privat engagiert sich Christa van Berend für den Tierschutz