Mülheim. . Messingtafeln auf Gehwegen erinnern an die Opfer der Nazi-Diktatur. Schüler des Gymnasiums Broich recherchierten Geschichten hinter den Namen.
Wer über die Namen Rosa Busch, Otto Rosenbaum oder Johanna Richter stolpert, soll sich daran aufhalten, sich mit ihnen befassen. Ihr Leid soll uns daran erinnern, wie wichtig Freiheit und Demokratie sind. Um den Opfern eine Stimme zu geben, haben Larissa, Mika und neun ihrer Mitschüler sich durch Akten und Unterlagen gewühlt, im Stadtarchiv und im Internet recherchiert. Die Schüler des Gymnasiums Broich verlegten im Mai gemeinsam mit den Initiatoren der Aktion Stolpersteine sieben neue Gedenktafeln im Stadtgebiet.
Mehr als 13 Jahre ist es inzwischen her, als die Realschule Stadtmitte im Dezember 2004 als erste Mülheimer Schule damit begann, die ersten Stolpersteine in der Stadt zu verlegen. „Danach hat es elf weitere Verlegungen gegeben“, berichtet Friedrich-Wilhelm von Gehlen, der den Arbeitskreis Stolpersteine betreut und der sich aus Mitgliedern der Initiative für Toleranz, Geschichtslehrern, Schülern sowie interessierten Bürgern zusammensetzt. Mittlerweile gibt es 149 Steine an insgesamt 77 Stellen im Stadtgebiet.
Recherche im Stadtarchiv
Seit einigen Jahren macht nun auch das Gymnasium Broich mit bei diesem Projekt. Die Schüler des Geschichts-Leistungskurses setzen sich regelmäßig mit den Biografien der Menschen aus Mülheim auseinander, die Opfer der Nazi-Diktatur wurden. Schüler Mika Landers findet: „Diese Arbeit ist so wichtig, dass die Zeit nicht vergessen wird, damit sie sich nicht wiederholt.“ Um Informationen über die Opfer zu bekommen, recherchierten die Schüler im Stadtarchiv. Dort steht ihnen Mitarbeiterin Annett Fercho zur Seite, die den Schülern hilft, Geburtsurkunden, Zeitungsartikel oder andere Aufzeichnungen zu finden.
Schuleigene Ausstellung
Für die Geschichten der Rosenbaums oder Genkins tauchten die Schüler tief ein in die Zeit des Nationalsozialismus. „Wenn man sich die Schicksale der Menschen damals anschaut, ist man richtig dankbar, heute zu leben“, finden die Schüler, die nun ein Gefühl dafür entwickelt haben, wie wertvoll demokratische Werte wie freie Meinungsäußerung, Religionsfreiheit und vor allem die Grundrechte des Menschen sind. In einer schuleigenen Ausstellung haben sie die Biografien der Opfer ausgestellt, damit ihre Mitschüler sehen können, für welche Gräueltaten die Nazis verantwortlich sind. Die meisten Opfer haben nicht nur während der Kriegszeit unter Zwangsarbeit gelitten. Viele hatten auch Jahre nach Kriegsende noch mit gesundheitlichen Folgeschäden zu kämpfen.
Ein Leben in ständiger Angst
Etwa Dr. Arkady Genkin, der in Mülheim als Allgemeinmediziner praktizierte und von den Nationalsozialisten gezwungen wurde, seine Praxis zu schließen und ins holländische Exil zu flüchten. Er und seine Frau Maria waren plötzlich völlig mittellos und lebten in ständiger Angst, von der Gestapo geschnappt zu werden. Durch die vielen Entbehrungen auf der Flucht erlitt das Ehepaar gesundheitliche Schäden. Arkady litt etwa an einer Herz- und Nierenerkrankung, Maria hatte eine schwere Herzinsuffizienz mit Lungenödemen sowie Gelenk- und Muskelrheuma. Sie verstarben 1958, beziehungsweise 1964 an den Folgen.
Bei der Verlegung der Steine, die bereits vor einigen Wochen stattgefunden hat (wir berichteten), habe es eine Überraschung gegeben, sagt Friedrich-Wilhelm von Gehlen: „Eine Klassenkameradin der Rosenbaum-Enkelin Judith ist aus Kanada angereist, um ihre Mutter im Mülheimer Seniorenheim zu besuchen“, berichtet er. „Sie kam dann zu der Verlegung, um an ihre Freundin zu erinnern.“ Solche Gesten Hinterbliebener seien es, die der Aktion noch mehr Tiefe verliehen.
Das Stolperstein-Projekt soll weiter fortgesetzt werden, schon bald wird sich der nächste Jahrgang Schüler am Gymnasium Broich mit neuen Biografien beschäftigen.
Die ganze Familie litt unter den Folgen
Rosa Busch, geb. Meier, kam am 2. April 1885 in Mülheim als älteste Tochter des Ehepaares Isidor und Julie Meier zur Welt. Darauf folgten ihre Schwestern Helene, Johanna und ihre jüngste Schwester Paula. Ihre Eltern stammten aus alteingesessenen jüdischen Mülheimer Familien. Ihr Vater war ein Fabrikarbeiter und Mitglied der Mülheimer Synagogengemeinde. Zusammen lebten sie in der Köhle 10, später zog die Familie in die Hausnummer 16.
Am 14. April 1910 heiratete Rosa Meier Theodor Busch, einen katholischen Versicherungsbeamten. Noch im selben Jahr kam ihr ältester Sohn, Karl-Heinz, zur Welt. Danach zogen sie an die Kettwiger Straße 33. Die Eheleute bekamen noch fünf weitere Kinder: Herbert Johannes, die Zwillinge Theodore Pauline und Hilde Johanna, die als Babys verstarben, Theodor Hermann und einen weiteren Sohn. 1913 zogen sie zur Kalkstraße 1a, wo sie 20 Jahre wohnten. 1939 trat Rosa aus der jüdischen Gemeinde aus, vier Jahre später zog die Familie zum Dickswall 88, wo nun der Gedenkstein verlegt wurde.
Von der Gestapo inhaftiert
Im September 1944 wurde Rosa Busch dann zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Helene von der Gestapo inhaftiert und ins Polizeigefängnis in Mülheim verbracht. Tags darauf erfolgte die Deportation der Geschwister ins Lager der Organisation Todt in Minkwitz (Sachsen). Dazu wurden sie mit anderen Häftlingen in überfüllte Viehwagen verfrachtet, in denen sie die etwa fünfstündige Fahrt ohne Nahrung und Wasser verbrachten. In Minkwitz mussten sie ihren gesamten Besitz abgeben und die dort verfügbaren Häftlingskleider tragen.
Mit Holzschuhen ausgerüstet - meist in einer unpassenden Größe – wurden die Frauen gezwungen in das zehn Kilometer entfernte Zeitz zu laufen und dort die Bombenschäden zu beseitigen – jeden Tag zehn Kilometer hin und zurück. Das völlig ungeeignete Schuhwerk, die schlechte Ernährung im Lager und die schwere Arbeit führten bei den beiden Schwestern zu bleibenden gesundheitlichen Schäden.
Weiter Zwangsarbeit verrichten
Bereits am 15. Oktober 1944 wurden Rosa und Helene wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes in ein Internierungslager nach Berlin überführt. Obwohl es sich dabei um ein jüdisches Krankenhaus handelte, mussten sie dort weiter Zwangsarbeit verrichten, was ihre bereits angeschlagene Verfassung zusätzlich schädigte.
Nach der Befreiung durch die Alliierten und nach der Rückkehr Rosas wohnte die Familie am Löhberg. Doch in Folge der bleibenden gesundheitlichen Schäden musste Rosa dauerhaft in ärztlicher Behandlung bleiben. Sie litt unter einem krankhaft deformierten Fuß, Bluthochdruck und anderen durch die Haft verursachten Erkrankungen. Ihr Mann, der auch als politischer Verfolgter anerkannt war, stand ihr in all der Zeit zur Seite, auch ihm ging es gesundheitlich nicht gut.
Bleibende gesundheitliche Schäden
Rosa Busch starb am 3. November 1951 im Alter von 66 Jahren. In seinem Antrag als Verfolgter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft schildert Theodor Busch im Juli 1952 ausführlich, wie auch die vier Söhne verfolgt und gedemütigt wurden und darunter leiden mussten, weil sie von den Nazis als „Halbjuden“ eingestuft wurden: „Meine vier Söhne waren von 1933 bis 1945 ledig und in meiner Familie ansässig. Sie wurden gezwungen, ihre Berufe, Kaufmann, Handelsvertreter und Techniker aufzugeben, wodurch die wirtschaftliche Grundlage meiner Familie aufs Schwerste geschädigt wurde. Im Jahr 1936 musste mein Sohn Theodor, um sich dem Zugriff der Gestapo zu entziehen, er war Leiter einer Jugendgruppe der katholischen Jugendverbände, ins Ausland fliehen. Er befindet sich heute noch in Rio de Janeiro.
Mein Sohn Herbert verbarg sich bis 1945 bei einem Bauern im Schwarzwald. Mein Sohn Karl Heinz konnte seinen Beruf als Handelsvertreter nicht mehr ausüben. Mein jüngster Sohn wurde auf Befehl der Gestapo in einem Lager zu Zwangsarbeit verpflichtet. Er entzog sich durch Flucht weiteren Gefahren und lebte bis Kriegsende illegal an mehreren Orten. Ich selbst wurde des Öfteren von der Gestapo vorgeladen und nach dem Verbleib meiner Söhne befragt unter Androhung von Strafmaßnahmen. Nur meine langjährige Tätigkeit bei der Ruhrtaler Maschinenfabrik Mülheim hat mich vor Inhaftierung bewahrt, zumal ich durch drei schwere Unfälle es besonders schwer hatte, meine Familie durchs Leben zu bringen. Der Tod meiner Frau hat meine Lage im Alter besonders bitter gemacht. Ich stehe im 69. Lebensjahr und bedarf infolge meiner Unfälle dauernder Hilfe.“
Theodor Busch starb zehn Jahre nach seiner Frau im Alter von 78 Jahren.
Arzt wurde als Halbjude verfolgt
Dr. med. Arkady Genkin wurde am 10. Januar 1892 in Jekaterinoslaw (in der heutigen Ukraine) geboren. Er war deutscher Staatsbürger, galt nach den Rassegesetzen der Nazis als „jüdischer Mischling“ ersten Grades, weil er als Kind eines nicht-jüdischen und eines jüdischen Elternteils aufwuchs. 1924 konvertierte er in Jena zum katholischen Glauben, wo er zuvor am 1923 die verwitwete deutsche Katholikin Maria Berenz geheiratet hatte. Gemeinsam mit den drei, zwischen 1909 und 1912 geborenen Kindern, die Maria mit in die Ehe gebracht hat und die von Arkady Genkin adoptiert wurden, wohnten sie ab Dezember 1924 in Mülheim an der Goethestraße 20.
Arkady Genkin bestritt von 1925 bis 1933 den Unterhalt seiner Familie mit der Ausübung seines Berufes als Allgemeinmediziner, zunächst an der Eppinghofer Straße 85. Ab 1928 war seine Praxis an der Ecke Kaiser- und Adolfstraße. 1931 verlegte er die Praxis zum Muhrenkamp 26. An der Eppinghofer Straße 85 blieb die Familie aber wohnen.
15 000 Reichsmark zum Leben im Jahr
Er war Kassenarzt und verdiente jährlich rund 30 000 Reichsmark, wovon gut die Hälfte Betriebskosten waren. So blieben ihm und seiner Familie rund 15 000 Reichsmark zum Leben im Jahr.
Ab April 1933 erschwerten Boykottmaßnahmen, u.a. durch Aufstellen von SA-Posten, die Ausübung seiner ärztlichen Praxis. Wenige Monate später, im Juni 1933, wurde ihm die Krankenkassenzulassung entzogen und die Ausübung der Kassenarztpraxis untersagt. Trotzdem kamen noch einzelne jüdische Privatpatienten zu ihm und ließen sich von ihm behandeln. Später entzog man ihm noch die Praxisräume und seine Privatwohnung. In der Pogromnacht (9/10. November 1938) zerstörten SA-Leute seine gesamte Praxis samt Inventar. Die Ausübung seines Berufes als Arzt wurde ihm untersagt. Übrig gebliebene Praxisgegenstände musste er verkaufen, genauso wie sein Auto.
Er wurde aus rassischen Gründen wegen seiner halbjüdischen Abstammung verfolgt. Aus diesem Grund wanderte er mit seiner Ehefrau im Sommer 1938 nach Holland aus. Da er dort nicht erwerbsfähig war, wurden sie von Freunden nicht nur finanziell unterstützt. Nur durch diese Hilfe mehrerer befreundeter Niederländer konnten sie bis 1945 unentdeckt bleiben. Sie lebten in ständiger Angst, von der Gestapo entdeckt und inhaftiert zu werden. Der Pastor Vullinghs, aus der Gemeinde St. Agatha, half mehrmals den Genkins – und bezahlte dafür mit seinem Leben. Er wurde verhaftet, von der Gestapo nach Bergen-Belsen verschleppt und dort ermordet.
Gesundheitlich angeschlagen
Als Dr. Arkady Genkin mit seiner Frau aus dem Exil nach Mülheim zurückkehrte, war er bereits gesundheitlich schwer angeschlagen. Durch die vielen Entbehrungen litt er an Herz- und Nieren- sowie an einem chronischen Ischiasleiden. Seine Frau war ebenfalls erkrankt. Sie hatte eine schwere Herzinsuffizienz mit Lungenödem sowie Gelenk-und Muskelrheuma.
Arkady Genkin machte die Erkrankung seiner Frau schwer zu schaffen. Sein ihn im Exil behandelnder Arzt bescheinigte ihm, dass seine psychischen und physischen Kräfte stark gelitten hatten. Er war dauerhaft nervös, schlief sehr schlecht und hatte dazu sehr mit seinen Krankheiten zu kämpfen. Dazu kamen plötzliche Anfälle von Synkope (plötzlicher Herzstillstand), die ihn immer wieder zurückwarfen.
Sieben Jahre auf einer Dringlichkeitsliste
Als Genkin im April 1946 mit seiner Frau nach Deutschland zurückkehrte, hatte er keine wirtschaftliche Existenz mehr und war kaum in der Lage zu arbeiten. Er erhielt seine Kassenzulassung zurück und konnte wieder - wenn auch nur eingeschränkt - als praktischer Arzt arbeiten. Seine Praxis war am Kohlenkamp 37, wo das Ehepaar zunächst kurz wohnte, bevor es im Sommer 1946 Im Lohscheidt 31 eine Wohnung zugewiesen bekam, die aber nass und laut war, weil sich eine Lederwerkstatt im Hause befand. Sieben Jahre stand das Ehepaar auf einer Dringlichkeitsliste des Wohnungsamtes. Da sich der Gesundheitszustand seiner Ehefrau verschlechterte, sie hatte nur noch eine Niere, nahm Arkady Genkin ein Darlehn und eine Hypothek auf und baute ein Haus. 1953 zogen sie an die Sauerbruchstraße 3b, dort betrieb er seine Praxis. Zu diesem Zeitpunkt schildert er seine familiäre Situation wie folgt: “…, denn ich habe auch große Verpflichtungen meinen Kindern gegenüber. Die Hinterbliebenen meines gefallenen Sohnes haben öfter meine Hilfe notwendig, und meine Adoptivtochter, die auch ihren Mann verloren hat, ist mit ihren beiden Kindern ausschließlich auf meine Hilfe angewiesen.“
Arkadi Genkin verstarb am 3. August 1958 im Alter von 66 Jahren an einem Schädelbasisbruch mit Hirnblutung in Folge eines Verkehrsunfalls in Oberhausen. Seine Frau Maria erlag am 25. November 1964 ihren Krankheiten.
Die Gedenksteine für Dr. Arkady Genkin und seine Frau Maria liegen an ihrem letzten Wohnsitz vor dem Exil, Eppinghofer Straße 85, und vor der Arztpraxis, Muhrenkamp 26.
Als politische Gegner ermordet
Otto Rosenbaum wurde am 2. Juni 1894 in Mülheim geboren. Seine Eltern waren jüdischen Glaubens. Er hatte neun Geschwister. Sein ältester Bruder Gustav fiel als Soldat im Ersten Weltkrieg, sein jüngster Bruder starb schon als Säugling und ist auf dem jüdischen Friedhof in Mülheim beigesetzt. Der eineinhalb Jahre ältere Bruder Arthur war Bäcker, der von 1938 bis 1939 im KZ Dachau inhaftiert war, dann nach Belgien emigrierte und von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde.
Sein Vater war Kohlenhändler. Wann er genau verstorben ist, ist nicht bekannt. Er wurde im Oktober 1912 das letzte Mal lebend gesehen. Seine Mutter starb 1937.
In das Polizeigefängnis eingeliefert
Otto trat beruflich in die Fußstapfen seines Vaters. Am 17. Januar 1916 heiratete er die evangelische Luise Pallasch in Duisburg. Bis zur Inhaftierung Ottos lebte das Ehepaar gemeinsam mit ihren drei Kindern in Mülheim unter verschiedenen Adressen. Zum Zeitpunkt der Inhaftierung wohnte die Familie an der Hindenburgstraße (heute Friedrich-Ebert-Straße) 132.
Otto Rosenbaum wurde erstmals am 1. März 1933 als Mitglied der KPD im Polizeigefängnis Mülheim in „Schutzhaft“ genommen. Einige Wochen später, am 28. März 1933, wurde er nach Anrath am Niederrhein gebracht. Im Oktober des gleichen Jahres wurde er entlassen und im Februar 1937 erneut festgenommen und in das Polizeigefängnis in Bochum eingeliefert. Bereits am 22. Juni 1938 überstellte man ihn ins KZ Sachsenhausen. Nach einer Verlegung am 20. September 1941 in das KZ – Lager Gross-Rosen – er hatte die Häftlings-Nr. 1208 – stand sein Name auf einer Liste der Häftlinge, die in die „Euthanasie“-Anstalt Bernburg gebracht werden sollten. Er verstarb aber in der Nacht auf den 25. März 1942 im KZ Gross Rosen. Otto Rosenbaum wurde vom nationalsozialistischen Regime als Jude und durch seine KPD-Mitgliedschaft als politischer Gegner verfolgt und ermordet.
Der älteste Sohn, Helmut Rosenbaum, geboren am 20. Mai 1914, in Duisburg, war gemeinsam mit seinem Vater im Juni 1938 in das KZ Sachsenhausen-Oranienburg eingewiesen worden, wurde dann aber dank des Einsatzes eines Propstes aus Berlin im November 1939 entlassen und zur Zwangsarbeit verpflichtet. In den Jahren 1944 bis 1945 war er im Lager der Organisation Todt im Briloner Wald. Aus diesen Gründen wurde er 1946 als rassisch Verfolgter anerkannt und erhielt dabei den grünen Sonderausweis. 1979 verzog er nach Recklinghausen und verstarb dort am 21.Oktober 1990.
Verhaftet und deportiert
Das zweite Kind der Rosenbaums war ihre Tochter Edith, die im Juni 1920 in Mülheim zur Welt kam. Im Alter von 21 Jahren bekam sie mit ihrem Mann, dem Viehhändler Gustav Altgenug, der auch jüdischen Glaubens war, eine Tochter. Edith hatte zu dieser Zeit in einem Lager bei Bielefeld gewohnt, weil sie auswandern wollte. Dort lernte sie ihren Mann kennen, heiratete ihn und ging mit ihm nach Berlin. Nach der Wannseekonferenz sind sie und ihr Mann verhaftet und deportiert worden. Da auch ihr jüdisches Kindermädchen verhaftet und deportiert worden war, fuhr Luise Rosenbaum sofort nach Berlin und holte ihre Enkelin Judith nach Mülheim.
Gustav Altgenug war zuvor bereits vier Monate im Konzentrationslager Dachau inhaftiert gewesen. Das Ehepaar wurde im Februar 1943 von der Gestapo in Berlin festgenommen. Gustav wurde am 28. Juni 1943 nach Auschwitz deportiert. Eine letzte Postkarte von ihm erreichte die Schwiegermutter in Mülheim, Luise Rosenbaum, aus dem Arbeitslager Monowitz in Oberschlesien über die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland Ende 1943.
Sie sind beide für tot erklärt worden
Edith ist, von Berlin aus, bereits am 4. März 1943 nach Auschwitz deportiert worden. Sie sind beide für tot erklärt worden. Das Kind der beiden verblieb nach der Deportation der Eltern als Vollwaise bei seiner Großmutter, Luise Rosenbaum, Düsseldorfer Straße 6, in Mülheim. Sie übernahm ab 1946 die Vormundschaft über ihre Enkelin. Als sie 1953 verstarb, übernahm ihr jüngster Sohn, der ebenfalls in ihrem Haushalt lebte, die Vormundschaft für Judith bis zu ihrer Volljährigkeit. Sie heiratete 1963 und war zu diesem Zeitpunkt Beamten-Anwärterin bei der Stadt Mülheim. Sie verstarb 2015.
Hans Joachim (Judiths Onkel) lebte zum Zeitpunkt der Verlegung der Stolpersteine für seine Familienangehörigen noch in Mülheim und gab zuvor in Interviews wichtige Informationen, die in die Biografie mit einflossen.
Die Stolpersteine für Otto und Helmut Rosenbaum liegen an ihrem letzten Wohnsitz vor der Deportation, Friedrich-Ebert-Straße 132.
Grausame Zwangsarbeit in Theresienstadt
Johanna Richter wurde am 19. Juni 1887 in Mülheim als Johanne Meier geboren. Ihre Eltern stammten aus alteingesessenen jüdischen Mülheimer Familien. Ihr Vater Isidor Meier, ein Fabrikarbeiter bzw. Tagelöhner, war Mitglied der Mülheimer Synagogengemeinde und ihrer Mutter Julie Meier, geborene Rosenbaum, hatten vier Töchter. Johanna hatte zwei ältere Schwestern, Rosa, verheiratete Busch, Helene und eine jüngere Schwester Paula.
Nach der Volksschule lernte Johanna den Beruf der Verkäuferin und war bis zu ihrer Eheschließung, im November 1915 bei der Firma Gebr. Alsberg, in Duisburg-Ruhrort, als Verkäuferin tätig.
Johanna Richter konvertierte zum katholischen Glauben. Es ist anzunehmen, dass sie wegen ihrer Hochzeit konvertiert ist, denn ihr Ehemann war katholisch und auf der Heiratskarte findet sich der Vermerk „kath. vorher mosaisch“.
Fahrkosten musste sie selbst bezahlen
Johanna Richter heiratete mit 28 Jahren, am 9. November 1915, den Postassistenten Max Kilian Richter aus Zell am Main. Max Kilian Richter wohnte in Oberhausen, Johanna zog nach der Hochzeit zu ihm, kehrte aber 1919 zum Dickswall 12 nach Mülheim zurück. Die beiden bekamen eine Tochter, Edith, die am 13. Juni 1915 in Mülheim geboren wurde. Max Kilian diente im Ersten Weltkrieg als Leutnant im Infanterie-Regiment 257. Er fiel am 22. März 1918.
Am 20. Juli 1942 wurde Johanna Richter wegen ihrer jüdischen Herkunft von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Die Fahrkosten für die Deportation in Höhe von 50 Reichsmark musste sie selbst bezahlen. Aus dem Gestapoleitstellenbereich Düsseldorf wurden in acht Transporten – darunter drei Einzeltransporte – insgesamt 2007 Juden nach Theresienstadt deportiert, von denen 114 Menschen überlebten, so auch Johanna Richter. Die Zuggarnitur am 21. Juli 1942 bestand aus 20 Personenwagen der 3. Klasse, die vermutlich am 20. Juli 1942 als Leerzug (Da 1069) aus Auschwitz nach Düsseldorf-Derendorf gelangt waren. Der Düsseldorfer Transport trug bei der Reichsbahn die Zugnummer (Da 70) und erhielt in Theresienstadt die Bezeichnung „Vll/1“. Darin befanden sich mindestens 51 Personen aus Mülheim, sehr wahrscheinlich darunter auch Johanna Richter.
Habseligkeiten abgenommen
Johanna trug einen Koffer mit sich, der Wäsche, Schuhe, Kleider und Strümpfe enthielt. Die Gestapo erlaubte ihr, 200 Reichsmark mit sich zu führen. In Düsseldorf angekommen, wurden ihr die Wertsachen und persönlichen Halbseligkeiten abgenommen, wie bei ihren anderen Leidensgenossen. Sie erhielten nichts davon zurück.
In Theresienstadt musste sie schwere körperliche Arbeit verrichten – bei völlig unzureichender Versorgung mit Lebensmitteln. Als Folgen der fast dreijährigen Haft blieben schwere gesundheitliche Schäden zurück. Sie litt seitdem unter einer schweren Neurose mit Schlaflosigkeit, einem chronischen Gallenleiden und unter Rheuma.
Durch die Alliierten befreit, kehrte Johanna Richter am 31. Mai 1945 nach Mülheim zurück. Ihre frühere Wohnung am Dickswall 12 war durch den Bombenangriff im Juni 1943 unbewohnbar. Sie lebte nach ihrer Rückkehr an der Hittfeldstraße 41 in Speldorf, in einer eineinhalb Zimmerwohnung. Im selben Haus wohnte auch ihre Tochter.
Das Gesundheitsamt bescheinigte ihr 1948 eine Minderung der Arbeitsfähigkeit von 80%, von denen 50% auf ihre Inhaftierung zurückgeführt wurden. 1953 wurde ihre Erwerbsminderung auf 35 % zurückgestuft und sie wurde aufgefordert, die bis dahin geleisteten Zahlungen zurück zu erstatten, wozu sie sich aber nicht in der Lage sah. Zwischen 1964 und 1967 zog Johanna Richter aus Speldorf in die Innenstadt an die Gracht 103a zusammen mit ihrer Tochter und dem Schwiegersohn. Unter dieser Anschrift verstarb sie im Alter von 89 Jahren am 15. Juni 1976. Edith, ihre Tochter, wurde als „Mischling“ ebenfalls verfolgt und geschädigt.
Der Stolperstein liegt an ihrem letzten Wohnsitz vor der Deportation, Dickswall 12.