Mülheim. . Wieder einmal soll die Kleingartenanlage an der Holzstraße zu Bauland werden. Pächter sprechen von einem Stich ins Herz. Stadt braucht Geld.
Die Stadt Mülheim braucht dringend Geld. 50 Millionen Euro betrug erneut das Defizit in 2017. Der gesamte Schuldenberg übersteigt zwei Milliarden. In geheimer Runde hat eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus Politik und Verwaltung städtische Grundstücke ausgemacht, die gewinnbringend verkauft werden sollen. Das Gelände der Kleingartenanlage an der Holzstraße in Broich steht mit auf der Liste. Wieder einmal.
Seit 20 Jahren gebe es immer wieder Anläufe, ihnen das kleine Gartenglück zu nehmen, beklagt Bettina Reimann vom Vorstand.
Es ist Sonntagmittag. Heute ist großes Treffen aller Generationen samt Hund bei Lothar Höhler. Er ist 73 und mit am längsten Pächter. Seit 1984 gräbt er an der Holzstraße um, pflanzt Tomaten und Möhren, hat für seine Enkel einen Kletterturm aufgebaut. „Es wäre für uns ein Stich ins Herz, wenn man uns die Anlage wegnähme“, sagt er etwas theatralisch, meint es aber so. Für viele sei der Garten Mittelpunkt des täglichen Lebens.
Es ist eine kleine Gemeinschaft, zwölf Pächter
Es ist eine kleine Gemeinschaft, zwölf Pächter sind es, die sich jetzt wehren. Sie haben alte Zeitungsartikel kopiert aus den 90er Jahren. Wir brauchen Bauland, hieß es auch damals. Politisch wurden die Pläne seinerzeit wieder gekippt.
Es sind Broicher Familien, die im Ortsteil eine Mietwohnung haben, nicht einmal jeder hat einen Balkon. „Wo sollen denn die Kinder hier hin?“, fragt Bettina Reimann. Es sind auch behinderte Kinder darunter, die in den Gärten ein Stück Zuhause haben und in der Gemeinschaft Integration erleben. Es sind Senioren mit kleiner Rente darunter. „Es geht hier auch um ein soziales Thema“, sagt Hermann Stollen, der sich mit Brigitte Erd (beide Grüne) am Sonntag in der Kleingartenanlage umhört.
Rund 5000 Quadratmeter umfasst das Kleingartenareal
Viele sind der Meinung: Es müsste nicht weniger, sondern mehr Kleingärten für Familien in Mülheim geben. Dabei ist derzeit selbst manchen Politikern nicht klar, wie der Stand bei den Verkaufsabsichten von Bau- und Gewerbeflächen ist. Einige sind auch sauer, wie diese Liste mit Bauflächen überhaupt zustande kam. Politisch ist noch nichts entschieden.
Die Kleingartenanlage an der Holzstraße liegt direkt hinter dem Gelände Steinbruch Rauen, auf dem auch gebaut werden soll, wenn die Flüchtlingsunterkünfte dort wieder aufgegeben werden. Rund 5000 Quadratmeter umfasst das Kleingartenareal. Es könnte ohnehin nur bebaut werden, wenn die Politik die Sicherung der Fläche als Kleingartenanlage im 2004 eingeleiteten Bebauungsplanverfahren wieder streicht.
2006 hat die Stadt die Kleingartenanlage dann in den Generalpachtvertrag für Kleingartenanlagen aufgenommen. „Da haben wir gedacht, jetzt wir endlich sicher“, sagt Bettina Reimann. Die Kleingärtner haben es gefeiert, und aus der Politik hat es sogar Glückwünsche gegeben.
Von Gartenluxus sind sie weit entfernt
Lothar Höhle hat für das WM-Spiel der Deutschen gegen Mexiko im Garten gedeckt und geschmückt. „Den Fernseher hole ich später raus“, sagt er. Strom haben die Kleingärtner sich erst 2016 in Eigenarbeit gelegt. Wasser gibt es immer noch nicht aus der Leitung, sondern nur vom Himmel.
Naturnähe betonen sie. Von Gartenluxus sind sie weit entfernt. Was sie investiert haben, ist vor allem viel körperliche Arbeit. „Wir werden alle Hebel in Bewegung setzen, um das Stück Land für uns zu erhalten“, sagen sie. An die Stadt haben sie einen Brief geschrieben, in dem sie unter anderem den ökologischen Wert ihrer Anlage mit altem Baumbestand betonen.
In Zeiten von Diesel-Fahrverboten, meinen sie, sollten Städte zumindest solche grünen Inseln zur Luftreinhaltung erhalten.