Mülheim. . Jedes Jahr büßt das Bistum Essen rund zwei Millionen Euro an Kirchensteuer ein. Eine Studie hat untersucht, wie die Kirche gegensteuern könnte.

Allenthalben stehen die Zeichen auf Wandel – Klimawandel, Migrationsbewegung und zunehmender Nationalismus verändern vertraute Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten. In der Bevölkerung nehmen Unsicherheitsgefühle und Ängste zu. Die katholische Kirche könnte mit ihrer frohen Botschaft ein Fels in der Brandung sein. Hätte sie nicht selbst mit ihren speziellen Reizthemen wie goldener Badewanne und Missbrauchsskandalen zu kämpfen.

„Wir sind in der Kirche in einer riesigen Umbruchsituation. Und sie wird noch größer werden in den nächsten Jahren“, konstatiert Markus Etscheid-Stams. Der Theologe und persönliche Referent des Generalvikars im Bistum Essen ist einer von drei Co-Autoren, die am Freitagabend in der katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ eine Studie zu Kirchenaustritten präsentierten.

Mitgliederzahl ist rapide auf 800 000 gesunken

Seit seiner Gründung im Jahr 1958 hat sich die Mitgliederzahl im Bistum Essen von ursprünglich 1,4 Millionen auf rund 800 000 reduziert. Im Schnitt traten in den vergangenen Jahren 4000 Menschen pro anno aus. Etwa 100 Kirchengebäude wurden aufgegeben und der gleichen Anzahl an Kindertagesstätten droht die Schließung. Im pastoralen Bereich fehlt der Nachwuchs: Ein Drittel der Priesterstellen fiel in den vergangenen 15 Jahren dem Abbau zum Opfer. Bis 2030 sei eine Halbierung zu erwarten.

Mit den Austritten einhergehend kommen noch immense finanzielle Einbußen hinzu: „Wir rechnen im Schnitt mit 500 Euro pro Mitglied. Das macht circa 2 Millionen Verlust im Jahr, damit könnten wir 20 Kindergärten finanzieren“, so Etscheid-Stams. Und diese Summe rechnet sich hoch: „Im folgenden Jahr fehlen dann schon vier Millionen, wenn die nächsten Austritte erfolgt sind.“

Nicht nur die Reizthemen sind Anlass zum Austritt

Um dem Mitgliederschwund Einhalt zu gebieten, hat sich das Ruhrbistum auf neue Wege begeben und Ausgetretene nach ihren Beweggründen befragt. Zudem wurde eine Meta-Studie beim Zentrum für angewandte Pastoralforschung (ZAP) an der Ruhr-Uni Bochum in Auftrag gegeben mit dem Ziel bereits vorliegende Untersuchungsergebnisse zu Kirchenbindung und -lösung zusammenzufassen. Das Berliner philosophisch-theologische Forschungszentrum Chenu hatte die Aufgabe, die Resultate systematisch zu reflektieren und mögliche Konsequenzen für die Kirche aufzuzeigen.

Herausgefunden haben die Forscher, dass es nicht die genannten Reizthemen sind, die zum Verlassen der Kirche führen. Sie seien nur Auslöser, die das Fass zum Überlaufen bringen. „Wir müssen lernen zu differenzieren zwischen Auslöser und Ursachen“, stellt Björn Szymanowski (ZAP) fest. „Die Ursachen beginnen weitaus früher mit einer zunehmenden Distanzierung von der Kirche.“ Thomas Rünker, Leiter der Projektgruppe „Initiative für den Verbleib in der Kirche“ vom Bistum Essen, fügt hinzu, es gebe zu wenige positive Erlebnisse in und mit der Kirche bei den Ausgetretenen: „Spätestens mit dem ersten Gehaltsbescheid fangen dann Kosten-Nutzen-Überlegungen an.“ Denn gerade im Alter von Mitte zwanzig bis Mitte dreißig ist die Zahl der Austritte am höchsten.

Wie gegensteuern? Autoren sehen drei Ansätze

Bei der Vorstellung der Studie zu Kirchenaustritten in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg.
Bei der Vorstellung der Studie zu Kirchenaustritten in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg. © Herbert Höltgen

Wie kann die Kirche den Verlust an Mitgliedern nun stoppen? Die Autoren der Studie sehen hier drei Ansätze: Zum einen müsse die Qualität der Seelsorge verbessert werden. Markus Etscheid-Stams kann dazu mit einer Geschichte aus dem privaten Umfeld dienen: „Ein Freund von mir ist Bestatter und der klagt mir oft, wie schlecht das Pfarrbüro zu erreichen ist.“ Zum anderen bedarf es eines besseren Mitglieder-Managements: „Wir müssen die 90 Prozent, die nicht in den Gottesdienst gehen, erreichen“, fordert Rünker.

Als drittes komme das Image und die Identität der Kirche hinzu. Dabei geht es um sensible Themen wie Zölibat, Umgang mit Homosexuellen und Frauen. Etscheid-Stams: „Die Menschen möchten sehen, dass sich die Kirche in diesen Themen bewegt.“

>> WISSENSWERTES ZUR STUDIE

Die Studie ist im Buchformat erhältlich unter dem Titel „Kirchenaustritt – oder nicht: Wie Kirche sich verändern muss“, erschienen beim Herder-Verlag, 312 Seiten, Preis: 25 Euro.

Für die Meta-Studie wurden vom ZAP 30 Studien analysiert und miteinander verglichen. Zusätzlich erstellte ein Team aus Forschern der Uni Siegen und der CVJM-Hochschule Kassel einen Online-Fragebogen, den 2700 Menschen beantworteten, darunter 420 Ausgetretene. Im Buch werden acht Ausgetretene im Porträt vorgestellt.