Mülheim. Jürgen Wester schlüpfte mit Rauschebart in die Rolle seines Vorbild. Ob Marx wohl auch gegen Hartz IV rebelliert hätte?

„Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ – mit „Karl Marx“ im Schlepptau rief die Montagsdemo auf dem Kurt-Schumacher-Platz zur Revolution auf: Ungerechte Vermögensverteilung, Ausbeutung und Hartz IV prangerten die Sprecher am offenen Mikrofon an. Jürgen Wester schlüpfte mit eigenem Rauschebart in die Rolle des in diesem Jahr 150-jährigen Jubilaren. Aber: Macht Marx heute noch mobil für den „Klassenkampf“?

Selfie mit Marx gegen eine kleine Spende?

Es kommt darauf an. MLPD-Mann Hannes Stockert rührt die Trommel am Mikro. Doch entweder scheint die beschworene Arbeiterklasse gerade zu beschäftigt zu sein oder die Revoluzzerlaune steckt just im Konjunkturtief. Bei Begriffen wie Klassenkampf und Proletariat zucken viele Passanten mit den Schultern. „Selfie mit Marx gegen kleine Spende?“, schlägt Sabine Schweizerhof vor. Die witzige Idee verhallt leider. Marx wer?

Vielleicht ist es auch das angestaubte Schwarzweiß-Denken der selbsternannten „Urenkel von Marx“, das ihren „Urgroßvater“ bisweilen nur wie einen Denker mit Bart erscheinen lässt. Wie Marx – der die Arbeit als privilegierten Zugang zur Welt betrachtet hat – den Widerspruch des modernen Finanzkapitalismus beantwortet hätte, der gänzlich ohne Arbeit oder Produktionsmittel auskommt? Hätte sich Marx für ein bedingungsloses Grundeinkommen eingesetzt oder die Hartz-IV-Gesetze abgelehnt?

Überproduktion schadet auch dem Klima

Ein bisschen Mitleid mag man für den Jubilaren empfinden, dessen differenzierte Kritik am Kapitalismus derzeit nicht selten in der Formel „die da oben“ vulgarisiert wird. Das gilt freilich nicht für alle, die hier am Bürgermikrofon sprechen. Sabine Schweizerhof etwa will nicht predigen, sondern die Menschen ins Gespräch bringen: „Welche Fragen haben Sie an Karl Marx?“ reicht sie das Mikro an das kleine Publikum weiter. „Wir sind offen für alle, die sich nicht sexistisch oder rassistisch äußern.“

Auch der Miturheber des „Kommunistischen Manifests“ zeigt sich als moderner Grübler und Ökologe: „Wir brauchen keine Planwirtschaft wie im damaligen Ostblock, sondern eine planvolle Wirtschaft“, kritisiert „Karl Marx“ die Folgen der Überproduktion auch für das Klima: „Denn nicht nur die Arbeit, die Natur ist ebenfalls ein Quell des Reichtums.“ Man dürfe Marx allerdings nicht immer eins zu eins lesen, sondern ins Heute übertragen, meint Jürgen Wester – „das sage ich als Marxist“.