Mülheim. . Die Redaktion war im Rathaus angesiedelt. Die Redakteure schrieben im Stehen. Erst am Schloßberg gab es ein Telefon.

Heute vor 70 Jahren erschien die erste Ausgabe der WAZ (die Westdeutsche Allgemeine Zeitung) mit der neuen Lokalausgabe für Mülheim. Viele Menschen warteten darauf, mehr aus ihrer Umgebung zu erfahren. Die Radionachrichten waren damals spärlich und Volksempfänger rar. Fernseher gab es nur in Gemeinschaftssälen. Erich Brost und Jakob Funke hatten von den Engländern die Lizenz zur Herausgabe einer Tageszeitung erhalten. Das Blatt erobert sich schnell eine breite Leserschaft. Einige Mülheimer im hohen Alter gehören heute zu den ersten Abonnenten. Sie zahlten zu Beginn in Reichsmark. Ein Exemplar des „unabhängigen Organs für Nordrhein-Westfalen“ kostete 20 Reichspfennige.

Erich Brost und Jakob Funke erhielten die Lizenz

An einem Samstag erschien die erste WAZ in Mülheim pünktlich zum Wochenende. „Die Leute sollen Zeit haben für ihre erste Zeitung“, lautete damals der Grundsatz der Herausgeber. Ihr Konzept war die Mischung aus Welt- und Landesnachrichten sowie Neuigkeiten aus der Stadt. Darum gab es in der WAZ von Beginn an Lokalteile für jeden ihrer Erscheinungsorte. Die alteingesessene Mülheimer Zeitung und die Neue Ruhr-Zeitung waren Konkurrenten in der Ruhrstadt.

Vor allem war „die Zeitung in ihren Startjahren für Einnahmen aus Anzeigenwerbung bestimmt“. Nachrichtenverbreitung und Redakteure, die Geld kosteten, waren zweitrangig. Das hat sich im Lauf der vergangenen 70 Jahre aus Sicht der Redaktion zum Glück geändert.

Das erste WAZ-Büro im Frühjahr 1948 war eher eine Klitsche – ein Raum mit einem Stuhl und einem Tisch. Deren Besitzer war der Zeitschriften- und Anzeigen-Agent Kirschsieper. Er hatte sich 1948 in einigen geschäftlich genutzten Räumen des Rathauses eingemietet, steht in der Chronik. Nah dran und ein zentraler Standort.

Dr. Theo Schröter baute die WAZ-Redaktion auf

Im kleinen Redaktionsbüro gab es nur den einen Stuhl. „Den müssen Sie freimachen, wenn Anzeigenkunden kommen“, erklärte damals Dr. Theo Schröter den Besuchern. Er hatte ein Stehpult oder nutzte den Stuhl zum Schreiben seiner Manuskripte. Die eigene Schreibmaschine aus der Vorkriegszeit balancierte er dabei auf den Knien. Schröter baute ab März 1948 die Mülheimer WAZ-Redaktion auf.

Historisches Bild vom Zeitungshaus an der Eppinghofer Straße.
Historisches Bild vom Zeitungshaus an der Eppinghofer Straße. © WAZ-Archivbild

An das Frühjahr 1948 erinnert sich auch Leser Herbert Leibold: „Meine Mutter hat mich zum Einkaufen mit zum Rathausmarkt genommen. Das Warenangebot dort ist sehr dürftig. Die Versorgungslage ist drei Jahre nach Kriegsende katastrophal. Der Schwarzmarkt blüht. ,Sieh dort’, sagte Mutter, ,es ist eine neue Zeitung erschienen, selbst die wird schwarz gelesen.’ Ich sehe die Männer, die in gebückter Haltung, die Brille weit vorgeschoben auf der Nase, versuchen, die neuesten Nachrichten durch die Scheibe hindurch zu lesen“, schildert Herbert Leibold.

Man erfährt etwas über das lokale Geschehen

„Wir bekommen die Zeitung durch Boten ins Haus gebracht – mittwochs und samstags, für 1,50 Reichsmark. ,Das ist viel Geld’, sagt Mutter. ,Aber so ist man wenigstens über das lokale Geschehen informiert, über das Radio erfährt man nichts aus der Stadt.’ Ich bin mit meinen fünf Jahren also gut informiert. Mutter liest mir das Wichtigste aus der Zeitung vor. ,Nächstes Jahr im April kommst Du in die Schule. Dann wirst auch Du bald die Zeitung selbst lesen können’“, erzählt Leibold aus seine Kindheit.

Im Herbst zog die Redaktion um in ein Zimmer am Schloßberg. Die Wittwe des verstorbenen Kollegen Honke von der Mülheimer Zeitung vermietete gern, um ihre karge Rente aufzubessern. Der Raum hatte einen Telefonanschluss. Den Apparat organisierten die Kollegen über Beziehungen. Der Verlag spendierte zwei Tische und zwei Stühle sowie eine Sekretärin. Lore Miro verdiente sich so ihre ersten Sporen, wurde später Redakteurin.

1949 Zeitungshaus an Eppinghofer Straße bezogen

Zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit der Straßenbahn waren die Kollegen vor 70 Jahren zu ihre Interviews oder Reprotagen unterwegs. Die Redaktion wuchs. Im August kam Heribert Vollmer als Jungredakteur nach einem Kurzvolontariat in die Mülheimer Redaktion. Am 1. April 1949 bezogen die Kollegen zwei Räume im Haus des Rechtsanwaltes Dr. Niehoff an der Wallstraße. Bereits vorher „hatte sich Friedrich Brinkmann, Redakteur der Mülheimer Zeitung mit der WAZ verbunden“, heißt es in der Chronik. Er arbeitete als Pauschalist für Sport, Gericht und Bilder. Sein Negativarchiv hatte viele Bilderschätze, die bei der Digitalisierung der journalistischen Fotoarbeit leider zum Großteil „aus Platzgründen“ in den Sondermüll wanderten.

Fusion mit der Mülheimer Zeitung

Als der Volontär (Auszubildender) Heribert Hesse zur Mülheimer Redaktion stieß, war am 1. Oktober 1949 gerade die Tinte unter dem Fusionsvertrag von Mülheimer Zeitung und WAZ trocken. Seither steht „Mülheimer Zeitung“ im Kopf der Mülheimer Ausgabe. Die Redaktion wechselte in das Zeitungshaus an der Eppinghofer Straße, wo auch Anzeigeannahme, Setzerei und Druckerei zu Hause waren. In den „Kampf um das einzige Telefon“ schaltete sich vor Weihnachten auch der Freie Mitarbeiter Günter Schmidt ein, der vornehmlich auf der Fensterbank arbeitete – mit Blick auf das Löwenhof-Kino. Als Pauschalist verdiente er 80 Mark im Monat bei ausdehnbarer Arbeitszeit. 1950 wuchs die Redaktion mit dem Sportpauschalisten Theo Münten und dem zweiten Volontär Hans Lewald. Dagmar Altena übernahm das Sekretariat.

„Damit war eine Redaktionsmannschaft vorhanden, die auf Biegen oder Brechen zusammenarbeitete und weder vor Überstunden noch vor so genannten ,heißen Eisen’ zurückschreckte“, steht in der Chronik – aus heutiger Sicht zu schön formuliert. Es waren harte Arbeitsbedingungen, Zwölf-Stunden-Tage und mehr die Regel. Viele Kollegen lebten damals für und mit ihrer Berufung und vernachlässigten die Familie – wenn sie eine hatten. Volontäre oder freie Mitarbeiter schickte der Chef häufig zu sich nach Hause, um dort das Mittagessen abzuholen: „Nicht klüngeln, sonst ist die Suppe kalt.“

Harte Arbeitsbedingungen für das Team

Heribert Vollmer übernahm 1951 die Leitung der Lokalredaktion. Er wechselte 1954 zur neu gegründeten Ruhr-Redaktion der Bildzeitung. Alexander Kranki wurde Mülheimer Lokal-Chef und blieb es 31 Jahre. Er sowie der in die Essener Zentralredaktion der WAZ zurückgekehrte Heribert Vollmer (zuletzt stellvertretender Chefredakteur) haben den Schreiber dieser Zeilen im Juli1980 eingestellt.