Mülheim. . Angst vor Diebstahl, Wärmen mit Drogen: So erleben Obdachlose die Minustemperaturen. Hilfe gibt es vor allem an der Auerstraße
Koks, um die Kälte zu ertragen. Gegenseitiges Beklauen in den Notschlafstellen. Und die letzten Euromünzen für andere Drogen, um in den überfüllten Unterkünften einschlafen zu können – oder um sich als Entgiftungspatient ins warme Krankenhaus einzuliefern: So schildern Obdachlose ihre Erlebnisse bei den aktuellen Minusgeraden. Die Namen bleiben meist ungenannt – aus Angst, von Behörden und Bürgern weiter gebrandmarkt zu werden.
Die, die zumindest ihren Vornamen nennen, scheinen ihre Lage dagegen mit Fassung zu nehmen: Während Passanten vor den peitschenden Windböen das Gesichter zusammenkneifen, wirkt Rainer (46) geradezu gelassen. „Ich bin abgehärtet“, sagt der Wohnungslose, der fast täglich vor dem Forum kampiert. „Hier draußen bekomme ich menschliche Wärme“, sagt der ausgebildete Kraftwagenfahrer und chronisch Kranke, während er von einem Vorbeiziehenden begrüßt wird. „Ansonsten ist das Wichtigste eine winddichte Hose.“
Doch auch mit einer gewissen Resistenz vor Minusgeraden sind die Wohnungslosen am Ende des Tages auf die Notschlafstelle an der Kanalstraße angewiesen, die aktuell ganztägig geöffnet hat. „Mit einem Schlafsack geht es momentan nicht“, sagt ein Kumpane von Rainer. „Dabei hat man in der Notschlafstelle immer Angst, dass man beklaut wird.“ Auch Rainer beklagt die Situation vor Ort. „Es gibt dort häufig Ärger, aber ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, dass keine Gewalt ausbricht.“
Das Leben als Obdachloser – es scheint heute härter als früher: „Wenn ich jetzt nochmal wohnungslos wäre, würde ich ruckzuck kaputt gehen“, sagt ein weißbärtiger Mützenträger in der Teestube an der Auerstraße, den alle nur „Boomer“ nennen – sein Spitzname aus der Zeit auf der Straße. „Als ich obdachlos gewesen bin, war es nicht so gefährlich wie heute, wo Obdachlose getreten oder sogar verbrannt werden.“
Hilfe zum selbstständigen Wohnen
Sechs Jahre hat Boomer in Mülheim ohne Obdach verbracht, Ende der Achtziger. „Wir hingen immer auf dem Viktoriaplatz herum“, erinnert sich der 59-Jährige. „Von den Bauarbeitern haben wir Paletten bekommen, auf denen wir liegen konnten – mit Schlafsack, auch im Winter.“ Zwar gab es auch Notschlafstellen, aber die seien noch unbeliebter als heute gewesen. „Wir sind lieber unter uns geblieben.“
Heute nimmt Boomberg bei der Diakonie Hilfe zum selbstständigen Wohnen in Anspruch. Bei der Teestube an der Auerstraße, bei der es von 8 bis 16 Uhr preisgünstige Verpflegung gibt, ist er Dauergast. „Heute gibt es mehr Hilfsangebote als früher“, sagt er. Neben der Teeküche erhalten Bedürftige auch im Bauwagen der christlichen Drogensuchthilfe „Aufwind“ vor der afrikanischen Lighthouse-Gemeinde warmes Essen – normalerweise.
„Bei der Kälte ist alles im Wagen eingefroren, selbst die Toiletten haben nicht mehr funktioniert“, erzählt Projektmitarbeiter Karlheinz Gutzler. Deswegen haben die Ehrenamtlichen ihre Suppenküche am Freitagnachmittag, 15 Uhr, nun kurzerhand ins Gemeindezentrum Auerstraße verlegt, wo sie ebenfalls regelmäßig zu Aktionen für Drogenaussteiger und Obdachlose einladen.
>>„In Mülheim muss niemand obdachlos sein“, sagt Stadtsprecher Volker Wiebels. „Wenn jemand durch eine Räumungsklage obdachlos wird, kann er sich bei der Wohnungsfachstelle melden.“
Notunterkünfte seien vor allem für durchreisende Wohnungslose gedacht, die nicht hier leben, so Wiebels.