Mülheim. Rolli-Rockers-Sprösslinge treffen sich alle zwei Wochen, um gemeinsam Sport zu treiben und Spaß zu haben. Man kann Rollstuhlfahren ausprobieren.
„Mama, man darf erst mit 18 Auto fahren,“ sagt Jay . Er ist sieben Jahre alt. Trotzdem wartet er schon darauf, endlich seinen Führerschein machen zu können. Momentan fährt er Rollstuhl statt Auto. Die Räder seines Gefährts zieren rot-grün-gelbe Doppeldecker. Seine Mutter Gabi Gonschorek freut sich, dass es „hier endlich mal was gibt.“ Angebote für Rolli-Kinder seien in der Region sehr rar. „Das nächste Angebot gibt es in Dortmund“, sagt die 54-Jährige. „Und das ist zu weit“, beendet Jay ihren Satz.
Die beiden sind zum Auftakt des neuen Rollstuhlfreizeitsports in die innogy Sporthalle gekommen. Das Angebot wurde vom Verein Rolli-Rockers-Sprösslinge ins Leben gerufen. Kirsten Sattler, zweite Vorsitzende des Vereins, erklärt: „Es sind sowohl Behinderte als auch Nicht-Behinderte willkommen.“ Kinder ohne Einschränkungen könnten hier zum Beispiel ein Gefühl dafür bekommen, wie es ist, im Rollstuhl zu sitzen. Darum gebe es auch zwei Rollstühle zum Ausprobieren. „Die Kinder sollen verstehen, dass man auch mit Behinderung spielen kann“, sagt die 52-Jährige.
Eltern freuen sich über das neue Sportangebot
Im Moment sitzen Anna-Maria (10) und Ivan Naumann (9) in den beiden Rollstühlen. Ivan hat Epilepsie, Anna-Marie fällt Rechnen, Schreiben und Lesen schwer. Ihre Mutter Luyba freut sich über das neue Sportangebot. „Hier können die Kinder sich austoben“, sagt die 40-Jährige. Ihre Tochter fühlt sich sichtlich wohl im geliehenen Gefährt. Mit übereinander geschlagenen Beinen fährt sie vor und zurück, wippt mit ihren pinken Turnschuhen. „Die Kinder fahren gerne mit dem Rollstuhl“, so Luyba Naumann. Auch sie bedauert, dass viele Sportkurse behinderte Kinder nicht aufnehmen. „In unserer Gesellschaft werden behinderte Kinder oft ausgeschlossen“, sagt sie. „Ivan wollte Fußball spielen. Das ging nicht. Er wollte schwimmen. Das ging auch nicht. Keiner will die Verantwortung übernehmen.“
Ein ausgebildeter Retter passt auf
Anders ist das beim Freizeitsport von Rolli-Rockers-Sprösslingen. „Dafür haben wir den Daniel“, sagt Bernd Nierhaus (57), erster Vorsitzender des Vereins. Daniel Pörting ist ausgebildeter Rettungssanitäter. Etwa 40 Stunden pro Woche arbeitet er in diesem Beruf. Hinzu kommen etwa 500 Stunden im Jahr, die der 33-Jährige sich ehrenamtlich engagiert, unter anderem für das Rote Kreuz. Seit über zehn Jahren arbeitet er mit Kindern. „Das erfordert viel Aufmerksamkeit“, erklärt er. „Gerade bei behinderten Kindern muss man ein Auge darauf haben, dass man zum Beispiel Situationen vermeidet, die einen epileptischen Anfall auslösen können.“
Iris Kramonisch-Wolf (56) ist froh, dass ein Rettungssanitäter anwesend ist. Ihr Sohn Tobias (16) leidet wie Ivan an Epilepsie. „Das Epi-Kid da vorne ist mein Sohn.“ Sie deutet auf einen Jungen, der einen Helm trägt und Ball spielt. Tobias mache sonst nur Sport in der Schule, sagt die 56-Jährige. „Aber die Schule hat Angst, weil er ziemlich oft krampft.“ Darum erklärt sie den Lehrern im Vorhinein genau, was sie tun müssen, wenn Tobias einen Anfall hat. „Bestenfalls fängt man ihn ab, damit er nicht hinfällt, und legt ihn hin. Wenn er nach drei Minuten immer noch krampft, braucht er sein Notfallmedikament.“ Das weiß auch Daniel Pörting, der mit allen Anwesenden über die vorliegenden Krankheitsbilder gesprochen hat.
Der Spaß steht im Vordergrund
Für Bernd Nierhaus ist am wichtigsten, „dass die Fruchtzwerge Spaß haben.“ Von rechts nähert sich Jay. Er hat ein gebogenes Werkzeug in der Hand, mit dem man die Räder eines Rollstuhls abbauen kann. Er beugt sich zu Bernds Rollstuhl herunter und droht fröhlich: „Ich schraube dir jetzt dein Rad ab.“ Bernd Nierhaus stutzt. „Ich hab hier oben auch eine Schraube locker“, kontert er und deutet dabei auf seinen Kopf. Beide lachen.
„Wir sind alle vollwertige Menschen“
Die Kinder in der Halle werfen sich Bälle zu, springen auf einem Trampolin, spielen Tischtennis und Basketball. Auch Daniel Pörting sitzt mittlerweile in einem Rollstuhl und spielt mit einigen Kindern Ball. Bernd fährt mit erstaunlicher Geschwindigkeit durch den Raum und albert mit denen herum, die sich gerade eine kleine Pause gönnen. „Wir sind die ganz normalen Behinderten“, sagt er. „Wir sind alle vollwertige Menschen, die voneinander lernen können. Ob mit oder ohne Handicap.“
>>> ROLLSTUHLFREIZEITSPORT FÜR KINDER
Alle zwei Wochen, mittwochs von 16 bis 18 Uhr . Nächster Termin ist am 21. März in der innogy-Sporthalle.
Das Angebot ist kostenlos und richtet sich an behinderte und nicht-behinderte Kinder und Jugendliche .
Während der zwei Stunden ist ein ausgebildeter Rettungssanitäter anwesend .