Mülheim. . Der 8. Februar 1988 geht als „schwarzer Montag“ in die Geschichte Mülheims und in die der deutschen Luftfahrt ein. 21 Menschen sterben in Menden.

Der 8. Februar 1988 ist ein verregneter und gewittriger Tag. Er wird als schwarzer Montag in die Mülheimer Geschichte und in die der deutschen Luftfahrt eingehen. Kurz nach 8 Uhr stürzt ein Metroliner des Nürnberger Flugdienstes über Menden ab und schlägt etwa 250 Meter vor der Ruhrtalbrücke auf. Schon im Sturzflug ist die Maschine auseinandergebrochen, wie Untersuchungen des Luftfahrtbundesamtes später ergeben werden.

Keiner der 21 Insassen überlebt den Flugzeugabsturz. Wenige Sekunden vor dem Aufprall der Maschine hat sich die 29-jährige Co-Pilotin mit dem Funkspruch: „Tschüss!“ an den Düsseldorf Tower verabschiedet. Mit ihr sterben der 36-jährige Pilot und 19 Fluggäste aus Hannover, Langenhagen, Braunschweig, Wolfsburg und Peine. Es sind Geschäftsreisende, unter ihnen fünf Mitarbeiter des Gebäck-Herstellers Bahlsen.

Augenzeugen des Absturzes alarmieren Polizei und Feuerwehr. Weil an der Absturzstelle niemand mehr zu retten ist, beginnt eine grausige Arbeit. 50 Polizeibeamte, einige von ihnen kommen aus dem Bundeskriminalamt, müssen Leichenteile bergen und anhand von Geldbörsen, Ausweisen, Kleidungsfetzen oder anderen Überresten versuchen, die Identität der Absturzopfer zu klären. Helfer des Deutschen Roten Kreuzes, des Technischen Hilfswerkes und der Feuerwehr unterstützen die Bergungsarbeiten.

Im Laufe des Tages treffen Lastwagen der Bundeswehr neben dem Absturzfeld ein. Nach dem Vermessen ihrer Lage transportieren sie die Wrackteile zum Luftfahrtbundesamt nach Braunschweig.

Wrackteil für den Partykeller

Mit den wieder zusammengefügten Wrackteilen und dem Flugschreiber kommen die Experten des Luftfahrtbundesamtes zu dem Ergebnis: Ein Blitzeinschlag hat die gesamte Elektrik und damit auch die Navigationselektronik des Metroliners außer Gefecht gesetzt und den Absturz verursacht.

Leider müssen die Lokalzeitungen nach dem Unglück auch über schaulustige Katastrophen-Touristen berichten, von denen sich einige Wrackteile als „Souvenir“ mit nach Hause nehmen. Ein Wrackteil kann die Polizei wenig später in einem Partykeller sicherstellen.

Vier Tage nach dem Absturz kommen Angehörige der Opfer an der Unglücksstelle zu einem Gedenk-Gottesdienst zusammen. Daran nehmen auch Oberbürgermeisterin Eleonore Güllenstern, ihr Hannoveraner Amtskollege Herbert Schmalstieg, Mülheims Oberstadtdirektor Heinz Hager, NRW-Ministerpräsident Johannes Rau, sein niedersächsischer Amtskollege Ernst Albrecht und der Unternehmer Hermann Bahlsen teil.

Am Tag nach dem Flugzeugabsturz ist das Leben in der Stadt gelähmt. Sofort werden alle öffentlichen Karnevalsveranstaltungen in Mülheim und Essen abgesagt. Anteilnahme und Trauer sind groß.

>> Redakteur Hesselmann war vor Ort: Reportage zum Flugzeugabsturz ist bleibende Erinnerung

„Das war kein Arbeitstag. Das war ein beschissener Tag. Das wusste ich jedoch erst am Ende der langen Schicht. Dieser Flugzeugabsturz verfolgt mich (leider) immer noch.

Ein lauter Knall riss mich an diesem Montagmorgen aus dem Bett. Da ist was passiert, dachte ich. Als gegen 8.30 Uhr die Feuerwehr bei mir anrief und ein böses Ereignis ansagte, gab es kein Halten mehr. Mit dem Fotografen sofort nach Menden. Wir hatten damals keine Handys und Facebook. Notdienste und Telefonketten waren unsere Arbeitsmittel. Aus heutiger Sicht mehr als beruhigend.

Polizisten und Kollegen suchten auch auf der Mintarder Ruhrseite. Als wir nahe der Ruhrtalbrücke die Blaulichter der roten Feuerwehrautos sahen, war uns klar, dass was Schreckliches passiert ist. Es stank verbrannt, aber Rauch war nicht zu sehen. Wir stapften durch die matschige Wiese. „Vorsicht! Aufpassen!“ schrie ein Feuerwehrmann. Direkt neben mir im nassen Gras lag ein abgerissener dunkelgrauer Jackenärmel. An einer Seite schaute eine Hand heraus.

72 Negative waren mit harten Ansichten belichtet

Ich musste durchatmen, schlich mit wackeligen Beinen weiter, während hinter uns Einsatzkräfte das Gelände absperrten. Der Fotograf spannte bereits den vierten Film in die Kamera. 72 Negative waren mit harten Ansichten belichtet.

„Hier ist vor knapp einer Stunde ein Flugzeug abgestürzt, keine Überlebenden. Die Unglücksursache kennen wir nicht. Alles andere sehen Sie selbst. Bitte beeilen Sie sich mit den Aufnahmen. Am Eingang wird ein Pressestand eingerichtet.“ So ähnlich waren die knappen Befehle des Einsatzleiters. Er hatte Wichtigeres zu tun, als für Reporter stramm zu stehen.

Wir waren fast die ersten vor Ort. Der Schock traf mich erneut, als ich weitere Tote auf der Wiese sah – sie lagen verstreut wie die Wrackteile des Flugzeuges. Ich notierte über Stunden, was ich sah. Ein schmerzliches Aufschreiben.

Das Aussuchen der Bilder war hart

An einer Ecke des Absturzfeldes sammelten sich Kollegen, fragten und suchten Antworten. „Ist es wirklich so schlimm?“ fragte mich einer hinter dem Zaun. Ich konnte ihm nicht antworten, Gefühle nicht abschalten. Was ich da gerade verarbeiten musste, überstieg alles, was ich bis dahin als Journalist bis dahin erlebt hatte. Bis heute bin ich nicht abgestumpft.

Beim Tippen der Artikel spulte ich ab, was Kopf und Notizblock hergaben. Das Aussuchen der Bilder war hart. Kollegen erledigten den Rest. Am Abend um 23.30 Uhr war ich zu Hause – mit einem Flugzeugabsturz, der mir geblieben ist. Wirklich keine gute Erinnerung.“

>> ERMITTLUNGEN: Ein Blitz traf die Maschine

Mehr als eine Woche haben Aufräumarbeiten und Spurensicherung des Flugzeugabsturzes auf der Wiese nahe der Ruhr gedauert. Vor allem die Identifizierung der Opfer war kompliziert.

Nach einem Jahr fanden Experten des Luftfahrtbundesamtes ihre Vermutung bestätigen. Ein Blitz traf den Flugzeugrumpf, zerstörte die Elektrik. Ein kleines Brandloch bewies das.