Mülheim. Gespräch mit dem Chefarzt der Onkologie, Dr. Jan Schröder, über große Fortschritte in der Therapie. Jeder kann zur Vermeidung etwas beitragen.
Sonntag ist Welt-Krebstag. Ein Tag, der Hoffnung machen soll. Geht das überhaupt bei den Zahlen? Weltweit sterben jedes Jahr etwa acht Millionen Menschen an dieser Krankheit, die so viele Facetten hat wie kaum ein anderes Leiden. In Deutschland leben nach Angaben des Westdeutschen Tumorzentrums in Essen 1,6 Millionen Menschen, bei denen die Krankheit in den vergangenen fünf Jahren neu festgestellt worden ist. „Krebserkrankungen nehmen zu, aber auch die Lebenserwartungen mit der Krankheit“, sagt Privatdozent Dr. Jan Schröder, Chefarzt der Medizinischen Klinik für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin am Evangelischen Krankenhaus.
Schröder arbeitet als Mediziner seit nahezu 30 Jahren auf dem Gebiet der Krebsbekämpfung. „Wir leben heute in einer guten Zeit“, sagt er. Viele Krebsleiden seien heute gut behandelbar, und das sogar ohne Chemotherapie. Als Beispiel für den Fortschritt nennt er unter anderem den Nierenkrebs: „Bis 2005 galt dieser noch als unbehandelbar.“ Heute werde er als gut therapierbar eingestuft. Die Überlebensraten nach fünf Jahren seien inzwischen beeindruckend.
Suche nach genetischen Defekten
Immer besser verstehen die Wissenschaftler und Mediziner heute die Zellbiologie, die Kommunikationswege. „Viele Tumore sind inzwischen auch genetisch untersucht. Die Therapie kann in Abhängigkeit vom genetischen Profil erfolgen.“ Heißt: Eine sehr zielgenaue Therapie ist möglich. Inzwischen, so Schröder, seien Analysen der Zellmutationen möglich: Welcher genetische Defekt liegt vor, der zu dem Unheil im Körper führt? Das Evangelische Krankenhaus arbeitet dazu mit Uni-Kliniken eng zusammen.
Die Fortschritte seien gewaltig, sagt der Chefarzt. Vor zwei Jahren kehrte er von einem Onkologie-Kongress aus den USA zurück, wo die Immuntherapie als zukunftsweisend neu vorgestellt worden war. Heute, sagt Schröder, sei dieses Verfahren Standard bei vielen Krebserkrankungen: Das Evangelische Krankenhaus in Mülheim wendet die neue Krebstherapie seitdem an. Immer mehr Patienten werden mit PD1 und PDL1/2 Antikörpern behandelt, inzwischen bei 18 verschiedenen Krebserkrankungen.
Der Körper besiegt den Krebs dabei mit den eigenen Waffen. „Die Abwehr des Krebses war nie das Problem. Nur gelang es dem Krebs quasi mit einer Art Generalschlüssel diese Abwehr zu blockieren.“ Die nun über Infusionen verabreichten Antikörper setzen sich auf die Abwehrzellen und verhindern die Störung durch die Tumorzelle.
500.000 neue Erkrankungen im Jahr
Die Chemotherapie spielt nach wie vor eine Rolle, doch längst nicht mehr in dem Umfang wie in der Vergangenheit. Sehr punktuell werden einzelne Tumore bestrahlt. Zur Therapie gehört am Evangelischen Krankenhaus aber auch ein spezielles Coaching: Durch geschultes Personal wird versucht, eine positive Stimmung zu erzeugen: „Wir können es schaffen. Ich kann es schaffen!“ Das ist auch das Motto des Weltkrebstages.
Trotz aller Therapie-Erfolge nehmen Krebsleiden zu, auch weil es eine Alterserkrankung ist und die Menschen älter werden. In Deutschland erkranken jedes Jahr rund 500 000 Menschen an Krebs. Laut Deutscher Krebshilfe wird die Zahl der Krebsneuerkrankungen bis zum Jahr 2030 voraussichtlich um 20 Prozent auf 600 000 steigen. Es trifft längst nicht nur Ältere. Darmkrebs, Lungenkrebs, Brustkrebs und Prostatakrebs gehören zu den häufigsten Arten.
Beitrag zur Vermeidung
Die Früherkennung bleibt ein entscheidender Faktor und ist aus Sicht der Ärzte noch längst nicht beim Optimum. Schröder betont zudem immer wieder eine gesunde Lebensweise als Vorbeugung: Ernährung mit frischen saisonalen Lebensmitteln, viel Bewegung, die Vermeidung von Übergewicht und Giften spielten dabei eine entscheidende Rolle. Sorgen bereitet den Mediziner der Alkoholgenuss. Ab zehn Gramm Alkohol am Tag erhöhe sich das Risiko. Die Botschaft der Mediziner zum Weltkrebstag lautet daher auch: Jeder kann zur Vermeidung eine Menge beitragen.
Die Fortschritte in der Therapie werden weitergehen: Schröder spricht die „flüssige Biopsie“. In einem Tropfen Blut werde man Krebserbgut feststellen können. Hochrisiko-Patienten könnten davon profitieren. Auch das ist für Betroffene eine gute Nachricht – und macht Hoffnung.
>> EKM STELLTE 1782 KREBSDIAGNOSEN
- Im vergangenen Jahr wurden im Evangelischen Krankenhaus (EKM) in Mülheim 1782 Krebsdiagnosen gestellt und behandelt. Das Krankenhaus erwartet in diesem Jahr für die Onkologie erneut eine Zertifizierung. „Wir erfüllen alle Voraussetzungen dazu“, sagt der Chefarzt der Klinik Privatdozent Dr. Jan Schröder.
- Zertifizierung bedeutet, dass sich eine Klinik an festgelegten Qualitätsstandards orientiert und messen lässt. Die Onkologie des EKM kooperiert mit mehreren anderen Spezialkliniken und nimmt an zahlreichen Studien teil.
- Im EKM sind zur Zeit folgende Zentren zertifiziert: Brustzentrum Mülheim/Oberhausen, das Darmzentrum und das Pankreaskarzinomzentrum.