Mülheim. . Interview mit Choreografin Rafaële Giovanola von Cocoondance. Sie feiert Deutschlandpremiere im Mülheimer Ringlokschuppen.

Wenn es um das Niveau des Bonner Ensembles Cocoondance geht, überschlagen sich die Kritiker vor Lob. Gerade ist die Company, die weltweit unterwegs ist, von der Aufführung von „Ghost Trio B“ in der Schweiz zurückgekehrt. Deutschlandpremiere hat das Tanztheater als Koproduktion am kommenden Freitag im Ringlokschuppen. Gegründet wurde Cocoondance 2000 von der Choreografin Rafaële Giovanola und dem Dramaturgen Rainald Endraß.

Wie hat das Schweizer Publikum das Stück aufgenommen?

Giovanola: Es war überraschend gut. Monthey ist zwar nur eine kleine Stadt, aber das Publikum ist inzwischen an unsere Arbeit gewöhnt, weil wir dort in Residenz sind und seit mehreren Jahren unsere Produktionen zeigen dürfen. Für das Stück haben wir wieder einmal ein besonderes Raumkonzept entwickelt, bei dem sich das Publikum in der Mitte des Geschehens befindet.

In Mülheim schöne Diskussionen mit Publikum erlebt

Apropos Residenz: Der Ringlokschuppen ist an einer längerfristigen Zusammenarbeit interessiert.

Die ersten Stücke, die wir in Mülheim zeigen durften, waren „No Body but me“ und dann zeitnah „Momentum“. Jedes Mal mit sehr schönen Publikumsdiskussionen nach jeder Aufführung. Es gibt ein sehr offenes Publikum mit spannenden Fragen.

Daraus erfolgte die Annäherung zum Ringlokschuppen?

Der Ringlokschuppen ist immer daran interessiert, langfristig mit Gruppen zu arbeiten, was für uns ziemlich toll ist. Es gibt Vertrauen und man weiß, dass ein Haus dazu steht und das Risiko eingeht, eine Company zu programmieren, ohne zu wissen, was daraus wird. Und das ist jetzt mit Mülheim so. Wir haben morgen ein Gespräch, um zu besprechen, wie wir diese Zusammenarbeit gestalten wollen.

„Freies Theater immer eine unsichere Sache“

Sie bespielen seit 2004 die Sparte Tanz im Bonner Ballsaal. Das Haus wird von der Stadt unterstützt. Wie schwierig ist es für freie Gruppen in Zeiten knapper Kassen, sich ohne institutionelle Förderung zwischen Kunst und Kommerz zu bewegen?

Wir haben wirklich sehr viel Glück gehabt, dass wir den Ballsaal bekommen haben. Das Schauspiel-Ensemble war ja schon länger da. Es war damals so, dass wir gerade an der Oper waren, wo ich Tänzerin und mein Mann Rainald Endraß Dramaturg von der Company war. Parallel zu unserer Arbeit an den Städtischen Bühnen hatten wir gerade mit Cocoondance angefangen, da hat uns die Stadt angeboten, einen Teil des Hauses zu gestalten. Das war natürlich toll: Man hat einen Ort, wo man produzieren kann, man ist nicht abhängig von den Häusern, man kann gut planen. Auch wenn es damals ganz wenig Geld war. Wir waren noch nicht wie jetzt vom Land gefördert. Klar ist freies Theater immer eine unsichere Sache. Aber man sucht sich nicht solch einen Beruf, um eine sichere Arbeit zu haben. Ich lebe damit, seit ich tanze. Ich habe immer an städtischen Bühnen gearbeitet. Aber selbst da wurden die Verträge immer jährlich verlängert.

Acht Jahre lang waren Sie am Ballett Frankfurt bei dem bedeutenden zeitgenössischen Choreografen William Forsythe engagiert, der Sie ans Haus holte. Was haben Sie von ihm mitgenommen?

Man nimmt von so jemandem wie William Forsythe wahnsinnig viel mit. Das ist eine unheimliche Inspirationsquelle. Er ist jemand, der sich jeden Tag neu erfindet. Man weiß nie, was kommt – diese Risikofreude, sich immer in einem unsicheren Terrain zu befinden, diese unglaubliche Kreativität genießt man. Ob positiv oder negativ – das war wirklich eine goldene Zeit, alles war möglich.

„Als das Licht ausging, haben die Leute nur so gebrüllt“

Mit Cocoondance sind Sie auf allen Kontinenten unterwegs. Sind die Publikumsreaktionen in den Ländern unterschiedlich?

Es ist so gut wie unmöglich, vorher zu wissen, was passiert. Wir waren jetzt gerade in Südamerika mit Momentum. Wir dachten, die Leute tanzen von Anfang an mit. Aber das war überhaupt nicht so. Sie haben völlig konzentriert zugeguckt, irgendwann mitgemacht. In Valparaíso zum Beispiel war das Publikum total still und als das Licht ausging, haben die Leute nur so gebrüllt. Man muss sich jedes Mal überraschen lassen, was kommt.

Was erwartet die Besucher vom neuen Stück „Ghost Trio B“?

Eine Reise. Sie kommen an einen Ort, wo nichts fassbar ist, man ist desorientiert in diesem Raum. Man weiß nicht, wo die Aufführung stattfindet, muss es für sich entdecken. Peu à peu fängt man an, das komplette Verlorensein und die Orientierungslosigkeit zu genießen. Konfrontiert mit seinem eigenen Körper durch ein Spiel mit Spiegelungen. Der Besucher nimmt seinen eigenen Körper wahr, er nimmt den Raum wahr. Die Vorstellung geht weiter, denn der Körper ist nicht nur ein Körper, sondern ein emotionaler Zustand – immer im Dialog mit den Tänzern.

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Das Tanztheater „Ghost Trio B“ ist inspiriert von Beethovens Klaviertrio D-Dur, dem sogenannten Geistertrio, und Samuel Becketts Fernsehspiel Ghost Trio.

Premiere: Freitag und Samstag, 19. und 20. Januar, jeweils um 20 Uhr, im Ringlokschuppen. Karten Vvk 12/6 Euro, Ak 15/8 Euro, 99 31 60.

Als einzige Company aus NRW ist Cocoondance bei der Tanzplattform Deutschland im März auf Pact Zollverein eingeladen.