mülheim. . Sozialamtsleiter Klaus Konietzka geht in den Ruhestand. Mehrere Sozialreformen fielen in seine Zeit.
Noch deutet in diesem Büro im fünften Stock der Sozialagentur nichts darauf hin, dass sein Nutzer in den Ruhestand geht. Das Filmplakat des Wenders-Films „Das Salz der Erde“ hängt noch an der Wand neben der Tür, die Fensterbänke, Schränke und der Schreibtisch sind mit Akten, Unterlagen und Informationsbroschüren bedeckt, und auch die kleine Kaffemaschine hinter der Eingangstür hat ihren Dienst noch nicht versagt. Aber wie sollte man auch so einfach abschließen können, 40 Jahre, nachdem man seinen Dienst für die Stadt Mülheim angetreten hat? 40 Jahre, in denen die Sozialpolitik so viele Volten vollzogen und Mülheim so häufig in den Kreis der Musterkommunen einbezogen hat? „Gerade diese direkte Gestaltungsmöglichkeit des Sozialen werde ich vermissen“, sagt Klaus Konietzka. Die hohen Wirkungsmöglichkeiten gerade am Anfang, dieses „Gucken, was geht“, ohne dass Vorgaben von vornherein gute Ideen zunichte machen - das hat ihm immer gefallen.
„Mein Bruder war mein Übergangsbegleiter“
Und häufig konnte der 65-Jährige Leiter des Sozialamtes und der dazugehörenden Sozialagentur auf seine eigenen Erfahrungen zurückgreifen. Dass es für Heranwachsende zum Beispiel extrem schwierig sein kann, alleine den Weg von der Schule ins Berufsleben zu finden, das hat Klaus Konietzka selbst erlebt. Als er Anfang der 70er-Jahre von der Schule kam, hatte er mit derselben Orientierungslosigkeit zu kämpfen wie viele andere. Sein Bruder habe ihm schließlich dabei geholfen, den Weg zu finden. 1971 beginnt Klaus Konietzka schließlich eine Ausbildung zum Maschinenschlosser. „Und gewissermaßen war mein Bruder mein Übergangsbegleiter.“
Dieses Begleitungsprinzip für orientierungslose Jugendliche floss 2007 schließlich auch ins Konzept des U 25-Hauses hinein. Menschen zu motivieren und mit ihnen gemeinsam einen Weg zu finden, das hat Klaus Konietzka quasi zum Arbeitscredo erhoben. Schließlich hat er es zu Beginn seiner Karriere bei der Stadt noch ganz anders erlebt. 1978 trat er nach dem Studium der Sozialarbeit seine erste Stelle im Fürsorgedienst des Jugendamtes an. Der Vorläufer des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD), der heute längst Kommunaler Sozialer Dienst (KSD) heißt, hatte mit dem Motivierungs- und Aktivierungsgedanken von heute nicht viel gemein. „Es war eher eine Eingriffsverwaltung“, erinnert sich Konietzka. In seinem Einsatzgebiet Styrum wurde er aktiv bei Trennungen und Scheidungen, im Falle von Kindesvernachlässigung, „aber auch bei Sozialhilfeanträgen“, sagt der Sozialamtsleiter und meint damit nicht Hilfe bei der Ausfüllung der Anträge, „sondern Kontrolle, ob die Anträge tatsächlich rechtmäßig sind“. Grundsätzlich habe die Stadt alimentiert und nicht aktiviert. „Hilfe zur Selbsthilfe oder Ressourcenoptimierung gab es nicht.“
1991 kommen Einbeziehung und Teilhabe
Das änderte sich 1991 mit dem „SGB VIII“, das zuvor noch „Jugendwohlfahrtsgesetz“ geheißen hatte. „Das war noch ein reiner Eingriffsmechanismus“, sagt Klaus Konietzka. Das SGB VIII aber sei ein „Paradigmenwechsel“ gewesen, weil es die Türen zur Einbeziehung und Teilhabe geöffnet habe. Nicht von ungefähr nennt er diese Umsetzung in beruflicher Hinsicht „ein Highlight“. 1995 schließlich wird der Soziale Dienst dezentralisiert und in den Stadtbezirken verankert, um noch näher bei den betroffenen Menschen zu sein. Ganz nach dem Prinzip von Hans Tiersch. Der Pädagogikprofessor und „Vater der Lebensweltorientierung“ habe ihn stark geprägt, sagt Konietzka. Tiersch habe diese Dezentralisierung bereits Ende der 70er-Jahre in die pädagogische Diskussion einfließen lassen.
Ähnliche grundlegende soziale Umwälzungen habe es noch mit der Einführung der Sozialgesetzbücher II und XII im Januar 2005 gegeben, in deren Entstehung Mülheim eine von nur 15 Optionskommunen in Deutschland wurde, die die Aufgaben für die Grundsicherung von Arbeitssuchenden als alleinige Träger übernehmen, losgelöst von den Arbeitsagenturen. Und schließlich die Integration. Die Flüchtlingsströme der vergangenen zwei Jahre nennt Klaus Konietzka „eine epochale Veränderung unserer Gesellschaft“. Darum sei die Aufnahme von Geflüchteten auch eine Aufgabe aller. Langfristig und ressortübergreifend denkt er da. Sozialraumentwicklung, Wohnungsförderung, kommunale Bildungs- und Arbeitsmarktförderung, ehrenamtliches Engagement, alles müsse wie aus einem Guss agieren, um die Integration erfolgreich gestalten zu können.
„Entscheidend is auf’m Platz“
Wichtig sei vor allem, die Lebenswelten der Menschen wahrzunehmen und den Blick von dem Papier abzuwenden, auf dem die Vorgaben geschrieben stehen. Das wahre Leben findet eben immer noch draußen vor der Tür statt. Frei nach der zweiten Person, die Klaus Konietzka nach eigener Aussage geprägt hat: Fußball-Legende Adi Preißler. „Grau is alle Theorie – entscheidend is auf’m Platz.“ Ein Spruch, den sich Klaus Konietzka nicht nur in seiner 30-jährigen Karriere als beinharter Vorstopper zu Herzen genommen hat.
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1978 tritt er seinen Dienst beim Jugendamt der Stadt an. 1981 wird er Teamleiter in der Jugendgerichtshilfe, zehn Jahre später Abteilungsleiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD), dem heutigen Kommunalen Sozialen Dienst (KSD). 2005 übernimmt er schließlich die Leitung des Sozialamtes. Am wenigsten werde er „die hohe Drehzahl“ vermissen, sagt Klaus Konietzka, der die zukünftige Zeit vor allem fürs Fahrradfahren und Reisen nutzen möchte.