Ulrich Scholten im Gespräch über Schulden, die Zukunft der Ruhrbahn, das Flughafengelände und die zunehmenden Probleme, Fachkräfte zu gewinnen.

Herr Scholten, stellen Sie sich vor, Sie hätten als Oberbürgermeister plötzlich jede Menge Geld, Millionen zum Ausgeben. Was würden Sie in Mülheim damit anstellen?
Ich würde es in den Haushalt stecken, um Schulden abzubauen, um nicht noch einmal so ein Jahr ohne genehmigten Haushalt erleben zu müssen. Eigentlich hätte in dem Jahr nix klappen dürfen.

Dann wünschen Sie sich mal etwas.
Dass der Haushalt für 2018 ebenfalls in Düsseldorf genehmigt wird. Und dass es Sicherheit für die Mitarbeiter der Stadtverwaltung gibt.

Es werden noch einmal zahlreiche Stellen im Zuge der Sparmaßnahmen gestrichen. Der Personalrat sieht die Grenze der Belastbarkeit längst erreicht. Sie auch?
Es wird mit mir in der Verwaltung keine weitere Leistungsverdichtung mehr geben. Stellenabbau heißt Leistungseinschränkungen für die Bürger. Der Abbau wird sozialverträglich erfolgen. Und wo die Mitarbeiter weg sind, gibt es keinen mehr, der die Aufgabe übernimmt.

Brauchen mehr Flexibilität bei der Personalausstattung

Es gibt in Ihrem Haus ja jetzt schon einige Bereiche, wo Personalnot zu deutlichen Verzögerungen und Problemen führt. Wie können Städte etwa noch die benötigten Ingenieure finden, um all die Sanierungen und Bautätigkeiten zu erfüllen?
Es wird zunehmend schwieriger. Im Wettbewerb mit dem freien Markt haben wir ein großes Problem: Ein junger Ingenieur verdient draußen oft schon an die 100 000 Euro. Wie sollen wir da mit unseren deutlich niedrigeren Bezügen mithalten? Nicht viel anders sieht es bei EDV-Spezialisten aus. Wir brauchen in den Rathäusern dringend mehr Flexibilität bei der Personalausstattung. Ich habe das Thema in Düsseldorf angesprochen. Auf der anderen Seite können unsere guten Auszubildenden mit einer hundertprozentigen Übernahme rechnen.

Der Kampf ums Geld bleibt. Nun ist Mülheim ja so etwas wie die Keimzelle des Städte übergreifenden Bündnisses „Für die Würde der Städte“. 71 Kommunen aus acht Bundesländern gehören dem Bündnis inzwischen an. Sie sind der Sprecher der Oberbürgermeister. Sehen Sie eine Lösung für die hoch verschuldeten Städte?
Wir haben hier schon viel erreicht. Unsere Not, die ungleichen Lebensverhältnisse in diesem Land sind auf allen politischen Ebenen bekannt. Ich erwarte, dass in der jetzigen Berliner Legislaturperiode ein Altschuldenfonds aufgelegt wird. Und es muss zwingend die Konnexität eingehalten werden: Wenn Bund und Land Aufgaben an die Städte übertragen, müssen sie dies auch den Kommunen bezahlen. All das entbindet uns nicht von weiteren Sparzwängen, damit wir in zehn Jahren nicht wieder in der Krise stecken. Wir müssen vor allem unsere Ausgaben in den Griff bekommen.

Wir sehen das Ruhrgebiet immer noch zu schlecht

Der Blick von außen auf das Ruhrgebiet fällt nach wie vor oft negativ aus: Krisen bei Industrieunternehmen, Nahverkehrsprobleme, marode Straßen, kaputte Schulen, hohe Arbeitslosigkeit, Bandenkämpfe. Wie ist Ihr Bild vom Ruhrgebiet?
Ich glaube, dass wir selber immer noch das Ruhrgebiet schlechter reden, als es von außen gesehen wird. Wir können immer noch stolz darauf sein, dass wir diesen riesigen Strukturwandel geschafft haben. Wir haben eine Fülle von hervorragend ausgebildeten jungen Leute. Wir haben einen zum Teil weltweit erfolgreich agierenden Mittelstand. Auch Siemens ist nach wie vor ein Top-Standort. Dass wir interessant sind, sehen wir auch an den Tourismuszahlen, die steigen.

2017 war erneut die Geburtsstunde eines neuen Verkehrsverbundes. Wird die Ruhrbahn ein Erfolg?
Die ersten sechs Monate mögen das noch nicht zeigen. Aber ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam mit Essen mehr Zuverlässigkeit, eine größere Flexibilität und eine größere Pünktlichkeit im Nahverkehr erreichen werden. Und wir werden sparen, allein durch die Konzentrierung der Leitstellen.

Besserungen sind zugesagt und werden einhalten

Gespräch mit OB Ulrich Scholten. Foto: Michael Dahlke Zuverlässigkeit erwarten die Bürger auch was die VHS angeht. Viele misstrauen der Stadt nach der Schließung der Einrichtung. Wo sehen Sie die VHS von morgen?
An einem zentralen Ort, am liebsten dort, wo sie ist, wenn wir es bezahlen können. Wir sind gut beraten, Alternativen jetzt prüfen zu lassen.

Nicht nur die VHS ist ein bauliches Problem. Sie haben es auch am Wennmannbad, an Schulen, am Museum. Viele warten schon lange, dass Besserung einkehrt. Welchen Zeitplan verfolgen Sie?
Wir werden in den nächsten Jahren jeweils an die 30 Millionen Euro in Baumaßnahmen investieren. Davon werden die Styrumer Schulen, die Schulzentren Broich und Saarn, aber auch das Museum profitieren. Je nach Fördermöglichkeiten werden wir einzelne Maßnahmen vorziehen oder nach hinter verlagern. Aber die Besserungen sind zugesagt und werden einhalten. Das war auch in den vergangenen Jahren so. Wir haben trotz unserer Finanzmisere gerade bei den Schulen einen ordentlichen Standard erreicht.


Ein Baufeld könnte der Flughafen werden. Wie habe ich mir das Areal in 20, 30 Jahren vorzustellen?
Es werden dort keine übereilten Schließungen erfolgen. Wollen wir ein Unternehmen ziehen lassen, das jedes Jahr 400 Piloten für ganz Deutschland ausbildet? Ich fände es nicht gut, wenn hier Arbeitsplätze verloren gingen. Wir werden auf dem Areal in Modulen vorgehen. Das kann dann in Teilen Wohnbebauung sein. Das sollten angesichts unseres großen Engpasses neue Flächen für Gewerbe sein. Auf einem Großteil der Flächen werden wir allerdings kaum etwas entwickeln können, ohne nicht große Mengen kontaminierte Böden zu sanieren.

Ist das Flughafengelände für Sie ein herausragendes Zukunftsprojekt?
Das bedeutsamste Stadtentwicklungsprojekt der nächsten zehn Jahre ist für mich das Lindgens-Gelände und damit auch die Entwicklung der Fläche der ehemaligen Ibing-Brauerei. Hier wird in Mülheim noch einmal etwas über die Stadtgrenzen hinaus Bedeutsames an Wohnangeboten geschaffen.

Wir könnten ein Vorbild für andere Städte

Trotzdem ist dieses Projekt zumindest in der Anfangsphase von Unstimmigkeiten zwischen Ihrem Baudezernenten und dem Investor, dem MWB-Chef, bestimmt gewesen.
Es sitzen auf beiden Seiten sehr gute Leute an dem Projekt. Was anfangs fehlte, war eine einvernehmliche Prozess-Steuerung. Die gibt es jetzt.

Die Stadtwache an der Ruhrpromenade ist eröffnet. Erste Kritiker fordern längere Öffnungszeiten.
Erst einmal bin ich sehr froh, dass es jetzt diese Stelle gibt, dass Polizei und Ordnungsamt gemeinsam Präsenz in der Innenstadt zeigen werden. Das ist nicht selbstverständlich und könnte ein Vorbild für andere Städte sein. Man sollte uns erst einmal Erfahrungen machen lassen, bevor man jetzt schon sofort über Öffnungszeiten diskutiert.


Finden Sie Mülheim unsicher?
Nein. Aber wir reagieren mit der Stadtwache auf subjektive Ängste und objektive Situationen. Das finde ich nur angemessen.