Mülheim. . Im Theater an der Ruhr zeigt das Kollektiv Ma’louba, welche Folgen die Verstrickung in einer Diktatur für die Familien der Täter haben.
Ein dumpfes Brummen ertönt. Auf der dunklen Bühne im Theater an der Ruhr werden die Umrisse von zwei Personen erkennbar, die verschlungen hintereinander sitzen. Es sind Bruder und Schwester, die durch die geheimdienstliche Tätigkeit des Vaters im Dienste der Diktatur schicksalhaft miteinander verkettet sind.
Der Bruder (Houssein Almoreey) ist regungslos und wird von seiner Schwester (Amal Omran) mühsam in Richtung Bühnenmitte bugsiert. Nimmt Regisseur Rafat Alzakout hier schon das Ende von „Ya Kebir“ vorweg oder ist es nur das Sinnbild der wandelnden Toten für die schwer Traumatisierten, die mit einer solchen biografischen Last und Erfahrung im Leben zurecht kommen müssen? Schräge, orientalisch anmutende Marschmusik leitet den Szenenwechsel ein.
Familiengeschichte blitzt in Fragmenten auf
Das Kollektiv Ma’louba hat die Auseinandersetzung der beiden Geschwister in einem Künstleratelier angesiedelt, das in seinen Umrissen erkennbar wird. Die Glasfront am Bühnenende, gegen die später heftiger Regen prasselt, und ebenso wie die Leinwand an der Staffellei als Projektionsfläche dient. Da stehen zahlreiche Farbeimer aus Plastik, die Almoreey in seiner Verzweiflung in einer beklemmenden Szene zerschlagen wird. Wie von Sinnen, nur noch in Unterhosen, marschiert er auf der Stelle, salutiert, beginnt, völlig außer sich, sich selbst zu schlagen bis er keuchend zusammensackt. Dazu dröhnt ein Klang, der sich wie auf einer Platte mit einem Sprung ständig wiederholt.
Zuvor war die Familiengeschichte in Fragmenten aufgeblitzt. Die immer gut geölte Pistole an der Wohnzimmerwand, der Moment des zwanglosen Vergnügens im Schwimmbad, die gescheiterte Ehe aus Verzweiflung, die Fehlgeburt und das Familienfest, bei dem der Onkel der Schwester zuraunte, der angehimmelte Vater sei ein Mörder und habe Menschen zu Tode verurteilt. „Oh, mein Gott!“ So ließe sich auch der mehrdeutige Titel übersetzen. Aber „Gott hat uns vor Ewigkeit vergessen. Er ist fortgegangen“, heißt es an anderer Stelle. Später die bittere Erkenntnis: „Du hast mein Leben zerstört“, denn jemanden anderen als den gut aussehenden, hochgewachsenen Offizier habe sie nie geliebt.
Familienfotos aus glücklichen Tagen
Dass Unheil droht, das signalisiert schon direkt zu Beginn neben dem Dröhnen, das ständige Tropfen von der Decke und die Lache auf dem Boden. Gemütlichkeit kann in einer solchen Behausung nicht aufkommen. Als Symbol ist es eine Spur zu konventionell. Da hat der Abend Eindringlicheres zu bieten, wie den Einsatz der Videotechnik.
Fotos aus unbeschwerteren Tagen wirft der Bruder in einen Eimer und filmt sie. Dort liegen sie wie im Fixierbad eines Fotolabors, werden scheckig und erinnern an die Gesichter von Mohamad Omran, die im Theaterfoyer zu sehen sind. Und vor allem die Schlafwandlerszene, wo beide Darsteller gleich mehrfach auf der Leinwand zu sehen sind, wobei sich Positiv- und Negativform wie man sie von der analogen Fotografie kennt, ablösen. Ein irrlichtender Taumel, der bis vor die Türen des Theaters führt.
>> ZIELE DES KOLLEKTIVS
- Ziel des aus syrischen Exilkünstlern Anfang des Jahres am Theater an der Ruhr formierten Kollektiv Ma’louba ist es , einer kulturellen Entwurzelung der Flüchtlinge zu vermeiden, aber auch Begegnungen zwischen den Kulturen zu schaffen, die ein Verstehen ermöglichen.
- Zum Kern gehört neben Rafa Alzakout und Amal Omran noch Mudar Alhaggi.