Mülheim. . Der emeritierte Weihbischof engagiert sich fast zehn Jahren als Pastor im Unruhezustand in der katholischen Stadtpfarrei St. Mariae Geburt.
- Franz Grave unterbricht seinen Ruhestand immer wieder für Gottesdienste in St.Mariae Geburt
- Die Situation bei Siemens in Mülheim besorgt ihn, den sozialpolitisch aktiven Geistlichen
- Er fühlt sich von den materiell armen, aber fröhlichen Christen in Lateinamerika inspiriert
Mit 85 könnte er eigentlich seinen Ruhestand genießen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Doch Franz Grave genießt eben das, dass sein Ruhestand nicht absolut ist, sondern immer wieder unterbrochen wird, etwa durch Gottesdienste, die er in St. Mariae Geburt feiert, durch Seelsorge-Gespräche oder durch das freundliche, aber bestimmte Klinkenputzen bei Unternehmern, denen er hier und dort einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz aus dem Kreuz leiert.
Die Situation bei Siemens besorgt ihn
Leider gibt es keinen Herrn Siemens, den er besuchen und überzeugen könnte, Arbeitsplätze in der Region zu erhalten. „Die Situation bei Siemens besorgt mich. Die müssen wir sehr genau beobachten und vergleichen. Da haben wir noch was im Köcher“, sagt der sozialpolitisch ambitionierte Gottesmann, ohne schon konkreter werden zu wollen.
Im zu Ende gehenden Luther-Jahr steht für den katholischen Priester im Unruhezustand fest: „An den erreichten Fortschritten in der Ökumene müssen wir jetzt weiterarbeiten. In unserer pluralen Gesellschaft müssen die christlichen Kirchen heute zusammenarbeiten und sich zusammen zu Wort melden, um gehört zu werden“, unterstreicht der emeritierte Weihbischof.
Auch als kleinere Kirche entfalten können
An dem aktuellen Pfarrei-Entwicklungsprozess arbeitet der 85-Jährige „nicht mehr aktiv mit“. Dennoch hat er eine konkrete Vorstellung davon, „dass wir auch als kleinere Kirche in unserer Gesellschaft eine seelsorgerische und sozialpolitische Dynamik entfalten können und müssen, weil wir von den Menschen gebraucht und gefragt werden“. Den Umbruch in der katholischen Kirche sieht er auch als eine Chance zum Aufbruch.
„Als junger Priester habe ich es noch miterlebt, dass man öffentlich hofiert und mit Hochwürden angesprochen wurde. Davon ist man heute Gott sei Dank abgekommen. Heute haben die Kleriker in der Kirche nicht mehr das alleinige Sagen, sondern arbeiten ganz selbstverständlich mit den Laien auf Augenhöhe zusammen und das ist auch gut so“, beschreibt Grave den selbst erlebten Wandel im Priesteramt.
Mitchristen an der Ruhr sind offen und geradeaus
Auch wenn das für ihn und seine Priester-Kollegen nicht immer nur angenehm ist, schätzt Grave an seinen Mitchristen an der Ruhr, „dass sie offen und geradeaus ansprechen, was Sache ist und was anliegt“. Besonders intensiv sind ihm die vielen Gespräche in Erinnerung geblieben, die er etwa über den sexuellen Missbrauch im Priesteramt führen musste, der die Kirche viel moralischen Kredit einbüßen ließ.
Er sagt: „Wir haben uns als Kirche die Dinge zu lange schöngeredet und nicht rechtzeitig auf absehbare Entwicklungen reagiert, so dass wir jetzt umso intensiver kirchliche Strukturen entwickeln müssen, die auch in Zukunft funktionieren und die Menschen tragen können.“
Enge Verbindung zu Christen in Lateinamerika
Ihn selbst hat das Beispiel „der materiell armen, aber fröhlichen und begeisterten Christen in Lateinamerika immer inspiriert. Deshalb hat der ehemalige Adveniat-Vorsitzende auch in St. Mariae Geburt im Advent Lateinamerikawochen initiiert, Anfang Dezember bekommt er Besuch von einem deutschen Bischof aus Brasilien.
Ihm selbst hilft sein christlicher Glaube und die Zuversicht, „dass ich mich mit meiner ganzen Persönlichkeit und Existenz in Gott fallen lassen kann“, dabei, auch in schwierigen Situationen und mit Blick auf Alter und Tod gelassen zu bleiben und auf Gottes Güte zu vertrauen.
Hat er nie an seinem Lebensweg und an seinem Glauben gezweifelt? Franz Grave formuliert es so: „Wir Priester sind keine besondere Spezies. Wir sind, wie alle anderen Menschen auch, aus dem selben Holz geschnitzt.“