Mülheim. . Der Leserbeirat blickt auf die Stadtplanung der vergangenen zehn Jahre.Längst nicht alles stößt auf Zustimmung, vieles bleibt noch zu tun.
- Der Leserbeirat der WAZ, Mülheimer Bürger, zieht eine kritische Bilanz zur Stadtentwicklung
- Die Hochschule, der Radschnellweg, aber auch das vielfältige ehrenamtliche Engagement werden gelobt
- Ein Mangel an Aufenthaltsqualitität in der Innenstadt, fehlendes Grün, zu viel Beton werden als Flops genannt
Einen kritischen Blick auf die Stadtentwicklung warf der WAZ-Leserbeirat. Was ist in den vergangen zehn Jahren besser geworden, was hat sich verschlechtert? Was sollten die Aufgaben der nächsten Jahre sein, um das Leben in Mülheim zu verschönern? Lob und Tadel halten sich fast die Waage.
Contra: Revitalisierung der Innenstadt erkennbar fehlgeschlagen
Die Flops: „Ich träume davon“, sagt Ursula Niebur, „mitten in der Innenstadt noch lautes Kinderlachen, junge Menschen in Cafés und an Biertischen auf dem Rathausmarkt zu erleben, die nach dem Shoppen oder als Afterwork-Imbiss einen Snack zu sich nehmen und sich lebendig unterhalten.“ In Mülheim, kritisiert sie, werde in der Innenstadt in Altenwohnungen investiert, ohne vergleichbare Wohnungen für junge Familien zu schaffen. Auf dem neu gestalteten Rathausmarkt fehlt ihr die Aufenthaltsqualität. Die Sichtachse zum Kirchenhügel sei verbaut. Der Mangel an Grünflächen wird von ihr ebenfalls als Nachteil empfunden.
Für Martin Fiß ist die Revitalisierung der Innenstadt erkennbar fehlgeschlagen. Viele Gebäudeeigentümer zeigten kaum Interesse an einer Modernisierung, bemängelt er. Der vermehrte Leerstand lasse die Attraktivität weiter sinken. „Das ehemalige Stadtbad musste weichen. Schade drum. Schöner hätte ich es gefunden, das Stadtbad zu sanieren und neu zu konzipieren“, so Fiß.
Auf der Negativ-Seite verbucht Eberhard Petermann den Stadthafen an der Promenade: „Der Stadthafen wird selbst aus minimal maritimer Sicht seinem Anspruch nicht gerecht“. Die Wasserfläche gleiche einer Badewanne. Auch als ein Ort für Open-Air-Veranstaltungen finde der Platz bisher nicht den erhofften Zuspruch. Die gesamte Promenade empfindet Petermann als zu betonlastig. Er spricht von „gestaltungsmäßiger Kälte“. Parkplätze in akzeptabler Nähe ständen zudem nicht zur Verfügung. Überhaupt habe die neue Verkehrsführung zu sehr kritikwürdigen Zuständen geführt.
Die Verdrängung des Autoverkehrs aus der Innenstadt, so sieht es Heinz Sprenger, habe zu katastrophalen Folgen für die Geschäfte geführt. „Die Stadt hat kein vernünftiges Konzept, um die Innenstadt wieder zu beleben.“ Die Parkplatzbewirtschaftung entspreche nicht den Erfordernissen und sei zu teuer. Als Beispiel nennt Sprenger den Marktplatz am Rathaus, der nur noch teilweise zu benutzen sei. Zu viele Straßen seien fußläufig gemacht oder in Einbahnstraßen umgewandelt worden. Und: „Bei der Planung zu Ruhrbania ließ man vollkommen außer Acht, dass eine Kneipenkultur mit Außengastronomie fast immer auf den Widerstand der Anwohner stößt.“
Der größte Flop für Marlies Pesch-Krebs ist die „tote Innenstadt“. Sie empfiehlt, von anderen Städten zu lernen: „Ich wundere mich immer, wie es möglich ist, dass sehr viel kleinere Städte es hinbekommen, ihre Stadt zu beleben.“ Ein besonders Ärgernis sieht sie in der Vermüllung einiger Innenstadtbereiche. Unsinnige Ampelschaltungen, Ausdünnungen beim Nahverkehr, der Sanierungsstau bei öffentlichen Gebäuden listet Marlies Pesch-Krebs unter den Flops auf.
Pro: Neue Fahrradschnellstrecke ist ein absolutes Sahnestück
Die Tops: Durch den Neubau des Stadtquartiers erhält Ruhrbania eine bemerkenswerte Verbesserung des Gesamteindruckes, sagt Eberhard Petermann. Von der Stadtseite werde dadurch ein freundlicher, heller und durchsichtiger Blick zur Ruhrpromenade geschaffen. Die dortige Ansiedlung von Wohnungen, Wohnhöfen, Restaurants und Arztpraxen schafft seiner Meinung nach ein vorteilhaftes Ambiente.
Für Marlies Pesch-Krebs gehören weniger bauliche Veränderungen als vielmehr Ereignisse wie das Kulturprogramm, das Open-Air-Kino, die weißen Nächte, Aktionen wie Sport im Park oder auch das vielfältige ehrenamtliche Engagement zu den positiven Dingen, die sich in Mülheim entwickelt haben. Besonders hervor hebt sie, dass es zuletzt durch bürgerschaftliches Engagement gelungen ist, die Bäume auf der Leineweber zu erhalten. Und: Die Ansiedlung der Hochschule Ruhr West sorge nicht nur für eine Verjüngung der Stadtbevölkerung, sondern setze auch neue Impulse.
Was für den einen ein Flop ist, hält der andere für einen Gewinn: „Aus meiner Sicht ist der Stadthafen das Schmuckstück des Stadtentwicklungsprojektes Ruhrbania“, sagt Martin Fiß. Hier fühle man sich wirklich an die Ruhr gebracht – mit einem Hauch mediterraner Atmosphäre. Auch locke nach einem Besuch der Gastronomie ein Spaziergang auf dem wiederhergestellten alten Leinpfad mit seinem Natursteinpflaster, listet Fiß auf.
Von einem „absoluten Sahnestück“ spricht Heinz Sprenger, wenn er auf die neue Fahrradschnelltrasse blickt. Die Radstation am Hauptbahnhof listet er ebenso unter den Gewinnen auf. Auch für ihn ist die Ansiedlung der Hochschule und deren Anbindung an hier ansässige Wirtschaftsunternehmen ein großer Pluspunkt. Und noch ein Großprojekt führt er unter seinen persönlichen Mülheimer Tops auf: die neue Feuerwehrzentrale an der Duisburger Straße. Unterm Strich sieht er nach zehn Jahren durch Ruhrbania Fortschritte für die Innenstadt. Auch Sprenger lobt das ehrenamtliche Engagement in der Stadt. Und die Stadtverwaltung hat für ihn gut gehandelt, indem sie die vielen Flüchtlinge dezentral im Stadtgebiet untergebracht hat.
Mit Ursula Niebur sieht noch ein weiteres Mitglied im Leserbeirat in Ruhrbania mit Hafenbecken und Außengastronomie eine gute Entwicklung für die Stadt. Eine kleine kulinarische Meile ist für sie dadurch entstanden. Und das Stadtquartier an der Promenade macht aus ihrer Sicht auch Hoffnung auf eine Wiederbelebung des Einzelhandels. In der Altstadt, wo der Platz zwischen den Kirchen neu gestaltet worden ist, erkennt Ursula Niebur eine Wiederbelebung – vor allem durch das bürgerschaftliche Engagement beim Adventsmarkt. Sie ist längst nicht die einzige, die die Sanierung von Schloß Broich als Wohltat empfindet. Über Jahre wird das Wahrzeichen mit Millionenaufwand restauriert. Ein Lob erteilt sie schließlich nicht nur der Ansiedlung der Hochschule, sondern auch der dort umgesetzten Architektur: „Eine gelungene Gestaltung des Campus.“