Klaus-Henning Rosen war bis Ende ‘89 Büroleiter Willy Brandts. Er erzählt von aufregenden Zeiten im politischen Bonn – und der Jugend in Mülheim.

  • Was Klaus-Henning Rosen an der Seite von Willy Brandt erlebt hat, erfahren Leser seines neuen Buches
  • Unter anderem begleitete er den Altbundeskanzler unmittelbar nach dem Mauerfall ins brodelnde Berlin
  • „Beim gemeinsamen Gang über Grenzen“ kam Rosen auch die eigene Geschichte wieder in Erinnerung

Der Mauerfall war keine 24 Stunden her, da stand Willy Brandt, einst Berliner Bürgermeister und Bundeskanzler, freudestrahlend vor euphorischen Menschen am Brandenburger Tor. Am frühen Morgen des 10. November 1989 hatte Brandt in Unkel bei Bonn von dem historischen Geschehen erfahren und war nur Stunden später per Flieger vom Militärflughafen Köln/Bonn gen Berlin geeilt. Bei dieser einmaligen Reise mit an Bord: ein ehemaliger Mülheimer. Was Klaus-Henning Rosen, seit 1976 Leiter von Brandts Büro im Bundestag, an der Seite des Altbundeskanzlers erlebt hat, erfahren Leser seines jüngst erschienenen Buches „Grenzland – Meine Zeit mit Willy Brandt“. Auch um Kindheit und Jugend in Mülheim geht es in den Erinnerungen.

Erst vor wenigen Tagen war der 79-Jährige mal wieder zu Besuch in der Ruhrstadt, zum Klassentreffen mit einstigen Mitschülern des Städtischen Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasiums, der heutigen Karl-Ziegler-Schule. „Mit gewisser Wehmut“ sei er durchs alte Revier gestreift, erzählt Rosen, der schon lange in Rheinbreitbach bei Bonn lebt. Vorbei an der Petrikirche ging es spätabends noch auf ein Bier in die Mausefalle. Trotz sechs Jahrzehnten, die ins Land gegangen sind, waren die Erinnerungen allgegenwärtig: an Döneken aus der Schulzeit oder an die Abiturfeier 1957 im Altenhof.

1942 wurde die Familie nach Thüringen evakuiert

„Nach einem aufregenden Leben“, so Rosen, sei er zu den Wurzeln zurückgekehrt. Den Anfang nahm dieses Leben im April 1938 in Düsseldorf. Die Familie wohnte im nahen Neuss, das im Krieg Angriffen auf Öl- und Schwerindustrie ausgesetzt war. 1942 sei man deshalb nach Thüringen evakuiert worden, zu weitläufiger Verwandtschaft. Für den jungen Klaus-Henning, seine Zwillingsschwester Marlis und den älteren Bruder Jürgen war das Leben auf dem Dorf mit vielen Kindern „eine schöne, naturverbundene Zeit“.

Eine Zeit, die sich in die Erinnerung zurückgedrängt habe „beim gemeinsamen Gang über Grenzen“ mit Willy Brandt. Die Teilung habe sein Leben geprägt, sagt Rosen. Grenzland, der Titel seines Buches, meint die Mitte, ja das Herz Deutschlands. Im Nachgang zu den Erlebnissen von ‘89 habe er begonnen „über eigene Beziehungen zu Mitteldeutschland“ nachzudenken. „Das war ja auch mal mein Gebiet, nur kamen wir lang nicht dorthin.“

Zuhause in zwei Mansardenzimmern in Broich

Nach dem Krieg war es für die Familie erst einmal nach Broich gegangen. Die Großeltern nahmen sie auf, für drei Jahre waren zwei Mansardenzimmer beengtes Zuhause. Später zogen die Rosens in die Innenstadt. Eine prägende Erfahrung jener Zeit sei die Entnazifizierungsgeschichte des Vaters gewesen, der „kaum belastet“ gewesen sei. Rosen empfand es als Unrecht, dass manche gänzlich ungeschoren davonkamen, „Nazis zum Teil ohne Unterbrechung weitermachen konnten“.

Der Wunsch nach Gerechtigkeit war dann auch Triebfeder bei der Berufswahl: Nach kaufmännischer Lehre bei Siemens in Mülheim, Jurastudium und Referendariat in München und Freiburg, arbeitete Rosen als Zivilrichter. Längst gehörte er der SPD an. Nach Zwischenstopps in baden-württembergischen Ministerien und als Staatsanwalt, lockte ihn sein ehemaliger Professor aus Freiburg – Bundesminister Horst Ehmke – 1973 nach Bonn ins Kanzleramt. Ehefrau, Sohn und Tochter begleiteten ihn.

Willy Brandt noch kurz als Kanzler kennengelernt

„Kurz habe ich Willy Brandt noch als Kanzler kennengelernt.“ Dann, im April 1974, folgte die Guillaume-Affäre, der wohl bekannteste Spionagefall der deutsch-deutschen Geschichte. Brandt trat zurück. 1976 wurde Rosen sein Büroleiter; er blieb es bis Ende 1989.

Das Buch berichtet von ungewöhnlichen Episoden jener Zeit, von einem zweiten DDR-Agenten, von Rosens Engagement bei einem Gefangenaustausch zwischen afghanischen Mudschaheddin und russischen Gefangenen oder von einer Reise mit Brandt zu Künstler Christo in New York.

Schon 1971 von Verhüllung des Reichstages geträumt

Dieser habe übrigens schon 1971 von der Verhüllung des Reichstages geträumt, erzählt Rosen. Bis die Vision Wirklichkeit wurde, vergingen aber noch Jahre. An jenem denkwürdigen 10. November war Klaus-Henning Rosen dann ähnlich unvorbereitet wie sein Chef. Auch er hatte die Geschehnisse am Abend zuvor verpasst; „wir hatten privat gefeiert, kein Radio mehr gehört“. Und so ging es direkt aus dem Büro „ohne Zahnbürste“ in den Flieger.

In den kommenden Jahren war Rosen als hoher Beamter im Innenministerium beschäftigt und unter anderem verantwortlich dafür, dass Fördergelder in den neuen Bundesländern ankamen. Wenn er heute an Willy Brandt denkt, falle ihm vor allem dessen überlegte Art ein: „Bei ihm galt, erst denken, dann reden.“ Er habe ihn nie laut oder ausfallend erlebt; der Drang nach Freiheit habe sein Tun bestimmt. Der Mauerfall war ein Geschenk: für Willy Brandt. Und Klaus-Henning Rosen.

>> EIN REGER POLITISCHER PUBLIZIST

Klaus-Henning Rosens Buch „Grenzland – Meine Zeit mit Willy Brandt“ (ISBN 978-3-8012-0493-8) ist erschienen im Verlag J.H.W. Dietz Nachf. aus Bonn. Es hat 328 Seiten und kostet 26 €.

Rosen, der bis 2014 Vorsitzender des Willy Brandt-Forums in Unkel war, ist reger politischer Publizist. So hat er kurz nach Brandts Tod das Buch „Georg Meistermann malt Willy Brandt“ herausgegeben, das die Entstehungsgeschichte des umstrittenen Kanzler-Porträts erzählt.