Mülheim. Helge Schneider feierte „240 Years of Singende Herrentorte“. Rund 2000 Fans trotzten am Freitag in der Freilichtbühne Mülheim tapfer dem Wetter.
- Zum Aufwärmen servierte der taufrische 62-Jährige am uralten Kneipen-Flügel eine gepflegte Runde Jazz
- „I’m Singing In The Rain“ wäre der perfekte Anschluss gewesen. Es schüttete wie aus Eimern
- Der Stimmung tat das keine Abbruch. Und der Musiker goss zwischendurch sogar mal sein Herz aus
Wer angesichts seines aktuellen Tournee-Titels „240 Years of Singende Herrentorte!“ den albernen Helge mit seinen populären Klamauknummern erwartet hatte, der wurde von Herrn Schneider in der – trotz strömenden Dauerregens – am Freitag bestens gefüllten Freilichtbühne aufs Angenehmste enttäuscht. Aber weil der Mann im erstaunlich dezenten blauen Anzug nach, äh, gut 40 Jahren natürlich Profi durch und durch ist, gab es im Laufe des nasskalten Abends selbstmurmelnd doch den ein oder anderen Klassiker zu hören.
Zum Aufwärmen servierte der taufrische 62-Jährige am uralten Kneipen-Flügel – jedes anständige Instrument wäre bei dem Wetter zügigst verreckt – zunächst eine gepflegte Runde Jazz mit seiner wie stets famosen, reaktionsschnellen Band. Da sorgte der wuselhaarige Eintänzer Sergej Gleithmann gemeinsam mit Carlos Boes fürs muntere Gebläse, schruppte Sandro Giampietro mit stoischer Gelassenheit seine Gitarre, während die Senioren-Fraktion mit dem trommelnden Tausendsassa Peter Thoms (satte 77) und dem kaum jüngeren Rudi Olbrich am Bass die Chose rhythmisch auf Spur hielt.
„I’m Singing In The Rain“ wäre danach der perfekte Anschluss gewesen, wagte sich Helge doch glatt vor die Bühne, frotzelte ein wenig mit dem nicht deswegen wie begossen dastehenden Fotografen und trällerte vergnügt: „Ich bin der Wurstfach, ja der Wurstfach, ja der Wurstfachverkäuferin“. Gelächter im Publikum, das – wie die Wurst in der Pelle – auf den mäßig lustigen Holzbänken der Freilichtbühne hockte.
Der Anzug litt, die Stimmung nicht
Der Anzug litt, die Stimmung nicht – außer bei der Wanderklampfe, die partout nicht so wie Helge wollte. „Gib doch mal ein E“, forderte er immer wieder von Sandro Giampietro. Bekam er auch, ebenso wie „lecker Kamillentee“ von Butler Bodo, der im Laufe seines Lebens auch schon heftiger über die Bühne gescheucht worden war. Das alte Spiel von „Sitz!“ und „Bei Fuß, Bodo!“ war nämlich diesmal erkennbar nur der Erwartungshaltung der Fans geschuldet.
Strahlende Augen allenthalben, als Helge mit relativ zarter Stimme, die in schönem Kontrast zur später brutalst vernuschelten Udo Lindenberg-Parodie stand, sein vielleicht schönstes Liebeslied intonierte: „Sei doch nicht so kleinlich, Liebe ist nicht peinlich.“ Oft gehört, oft gesehen im auch schon 30 Jahre alten Kultfilm „Johnny Flash“ von Werner Nekes, doch selten so ergreifend erlebt.
Vielleicht lag’s am Wetter, dass der veritable Musiker diesmal an aberwitzig assoziierten Wortjonglagen sparte, stattdessen auch mal sein Herz ausgoss – „Es ist wirklich berührend, dass Ihr da im Regen sitzt“ –, eher milde den ein oder anderen Bierholer en passant durch den Kakao zog und ansonsten das machte, was er wirklich grandios kann: mit swingendem Jazz astrein unterhalten. Und das sowohl an den Tasten als auch mit beachtlichem Sax-Sound. Was seinen kauzigen Humor nicht ausschließt, der sich etwa in einem erdigen Blues unsterblich so manifestierte: „I was born / oh yeah / I was born / oh Lord, I was born / one day.“
Zwischendurch etwas Hitparade quer durch die Zeiten, wobei trotz heftigen Flehens kein wildes Mädchen sein Haupthaar schüttelte, ein paar Takte „Sommer, Sonne, Kaktus“ (es regnete weiter) und in aller urkomischen Opulenz der immergrüne „Meisenmann“, der bekanntlich zu guter Letzt von der eigenen Frau verspeist wird. „Maaagensäure“, sang Herr Schneider. „Magensäure!“ antworteten die schrägen Vögel hinter ihm – man hatte an diesem Abend jede Menge abwechslungsreichen Spaß. Nur darauf, dass selbst der Himmel Tränen lachte, hätten alle gut und gerne verzichtet. Aber „Humor“ bedeutet nun mal „Feuchtigkeit“ – watt willse da noch groß sagen.