Mülheim. . Während der Unternehmerverband in Leiharbeit eine Chance zum Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt erkennt, sind Gewerkschafter alarmiert.
- Die Zahl der Leiharbeiter in Mülheim ist in den vergangenen Jahren leicht gestiegen
- Der Unternehmerverband Mülheimer Wirtschaftsvereinigung warnt davor, die Leiharbeit zu verteufeln
- Gewerkschaft Verdi ist besorgt: Leiharbeitsanteil sei in vielen Unternehmen deutlich gestiegen
Die Zahl der Leiharbeiter in Mülheim ist in den vergangenen Jahren leicht gestiegen. Waren Ende 2015 noch 1167 Mülheimer in der so genannten Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt, sind es im Dezember 2016 bereits 1200 – trotz annähernd gleicher Beschäftigungszahlen und bundesweit positiver Wirtschaftslage.
Der Unternehmerverband Mülheimer Wirtschaftsvereinigung warnt davor, die Leiharbeit zu verteufeln, sie sei ein „wertvolles Instrument zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt“. Die Gewerkschaft Verdi hingegen warnt vor den gesellschaftlichen Folgen: „Leiharbeiter verdienen deutlich weniger als ihre festangestellten Kollegen, werden häufiger krank und können keine Lebensperspektive entwickeln“, sagt Günter Wolf, stellvertretender Bezirksgeschäftsführer von Verdi.
Leiharbeit hat Anteil von 2,3 Prozent in Mülheim
Auf den ersten Blick erscheint der Anteil der Leiharbeiter in Mülheim eher gering: 45 515 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte arbeiten laut Bundesagentur für Arbeit in Vollzeit, davon gerade einmal 1052 Vollzeit als Leiharbeitnehmer. Das ist ein Anteil von 2,3 Prozent. An den Branchen gemessen, fallen die Anteile jedoch höher aus: In der Metallerzeugung und -bearbeitung arbeiten rund 7 Prozent der Beschäftigten auf Zeit, in den Berufen der Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung sind es ebenfalls 7 Prozent. Gut 5 Prozent macht der Leiharbeitsanteil in den Energie- und Elektroberufen aus.
Das eher geringe Ausmaß der Leiharbeit in den Mülheimer Unternehmen sieht Matthias Heidmeier, Sprecher des Unternehmerverbands Mülheimer Wirtschaftsvereinigung, als Bestätigung dafür, „dass die Unternehmen hier sorgsam mit diesem Instrument umgehen“. Den Begriff „Leih-Arbeit“ hält der Verband für zu negativ, Heidmeier spricht lieber von „Zeitarbeit. Die ist sehr gut dafür geeignet, wenn es darum geht, ungelernte Hilfsarbeiter und Langzeitarbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren“, mahnt der Sprecher vor einer pauschalen Kritik, es gebe viele Zeitarbeiter, die diese Chance positiv nutzen.
Viele Leiharbeitnehmer mit anerkanntem Berufsabschluss
Bemerkenswert ist allerdings: Der Zeit- oder Leiharbeiter in Mülheim ist in der Regel im besten Arbeitsalter zwischen 25 und 55 Jahre alt, männlich und eine Fachkraft mit anerkanntem Berufsabschluss – und damit anders als nach bundesweiter Einschätzung des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen kein ungelernter Hilfsarbeiter. Im Gegenteil, gerade einmal gut elf Prozent von ihnen (134 Leiharbeiter) sind in Mülheim ohne einen Berufsabschluss.
Warum 1052 offenbar benötigte Fachkräfte hier keine feste Anstellung finden, ist für Verdi-Mann Wolf wenig nachvollziehbar. Die aktuellen Zahlen im Bund geben ihm Grund zur weiteren Besorgnis: „Seit der Einführung der Agenda 2010 durch Rot-Grün im Jahr 2003 ist der Leiharbeitsanteil in vielen Unternehmen deutlich angestiegen“, kritisiert er. Von damals 327 789 auf heute 992 756 – also das Dreifache. Die Leiharbeit ist zu einer „gigantischen Branche gewachsen“, mahnt Wolf.
Verdi beklagt Spaltung der Belegschaft
Damit einher gehe eine Spaltung der Belegschaft sowie eine Unterwanderung der Tarifverträge und Arbeitsbedingungen: „Offiziell darf die Leiharbeit nicht länger als 18 Monate dauern. Es gibt aber ein verstecktes Drehtürmodell, denn ich kann nach drei Monaten wieder als Leiharbeiter eingesetzt werden.“ Verdi sieht nur einen positiven Punkt in der aktuellen Gesetzesnovelle: „Unternehmen dürfen Leiharbeiter nicht mehr einstellen, um einen Streik in der Belegschaft auszuhebeln – solche Versuche haben wir in Mülheim vor Jahren erlebt, als die Mitarbeiter bei Real gestreikt haben.“
Der Sprecher des Unternehmerverbands kann eine solche Spaltung der Belegschaft nicht erkennen: „Zahlen im Bund zeigen, die Stammbelegschaft ist stärker gewachsen als die Zahl der Zeitarbeitnehmer.“
>> LEIHARBEITER SIND HÄUFIGER KRANK
Leiharbeit macht krank – das hat eine Studie der Techniker Krankenkasse ergeben: Die Betroffenen fehlen im Schnitt fast sechs Tage im Jahr mehr als ihre festangestellten Kollegen.
Rund ein Drittel davon führen die Experten auf die spezifischen Belastungen durch die Zeitarbeit zurück: Vor allem die Unsicherheit des Arbeitsplatzes, fehlende berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und die schlechtere Einkommenssituation seien krankmachende Faktoren.