Mülheim. . Martin Siekerkotte ist Mülheimer Ortslandwirt. Der 52-Jährige versteht sich als Mittler zwischen seinen Berufskollegen und der Verwaltung.
- Martin Siekerkotte sieht sein Ehrenamt als Mittler zwischen seinen Berufskollegen und der Verwaltung
- Im Brotberuf ist er als Agraringenieur Berater bei der Landwirtschaftskammer
- Der viele Regen hat für die Landwirtschaft auch Vorteile
Für ihn ist die Landwirtschaft eine Leidenschaft, auf die er als gelernter Schlosser umgesattelt hat. Er hat in die Landwirt-Familie Tübben am Springberg an der Grenze zu Kettwig eingeheiratet: Martin Siekerkotte ist im Brotberuf als Berater bei der Landwirtschaftskammer tätig. Als Ortslandwirt für Mülheim füllt der 52-Jährige ein Ehrenamt mit Mittlerfunktion zwischen der Verwaltung und den rund 40 Betrieben in Mülheim aus, die eine Landwirtschaft angemeldet haben – im Haupt- oder im Nebenerwerb. Insgesamt werden in Mülheim 1500 Hektar landwirtschaftlich genutzt.
Schimpfen die Landwirte auch über den verregneten Sommer oder ist die Ernte noch nicht verloren?
Als Landwirt sehe ich den Regen nicht nur als Übeltäter: Für den Mais und die Rüben ist der super. Da wird die Ernte in diesem Jahr bombastisch. Bei den Ackerbohnen, die ich als Viehfutter anbaue, habe ich allerdings von meinen sieben Hektar 50 Prozent Hagelschaden. Und der Weizen ist teilweise durch den Sturm umgekippt. Die Rüben haben auch Schaden durch den Hagel abbekommen, die wachsen zwar verlangsamt, haben sich aber erholt. Und fürs Stroh war es zu nass in den vergangenen Wochen, das muss oft gedreht werden, um zu trocknen. Als Landwirt muss ich aber immer das Ganze sehen. Wir haben gelernt mit der Natur umzugehen. An dem Spruch, es gibt sieben gute und sieben schlechte Jahre, ist schon was dran.
Apropos gelernt: Sie sind nicht als Landwirt auf die Welt gekommen.
Das stimmt. Ich bin in Heißen aufgewachsen, hab’ Schlosser bei der KWU gelernt, weil mein Vater und mein Opa das auch waren. Da hab ich aber schnell gemerkt: Das ist nichts für mich. Nebenbei hab ich damals schon auf dem Hof Sellerbeck mitgearbeitet. Mir ist klar geworden, dass ich an der Natur und am Wachsen hänge, und habe mich entschlossen, Landwirtschaft zu studieren. Als ich meine Frau kennen lernte, die vom Hof am Springberg stammt, hab’ ich nicht nur sie geheiratet, sondern auch 50 Hektar Acker (lacht). Weitere 50 Hektar haben wir dazugepachtet.
Lebt Ihre Familie heute rein von der Landwirtschaft?
Nein, wenn wir ausschließlich von der Landwirtschaft leben wollten, dann müssten wir zusätzlich andere Betriebsfelder wie Direktvermarktung oder Tierhaltung erschließen. Ich bin als Agraringenieur bei der Landwirtschaftskammer angestellt und arbeite als Berater für Acker- und Pflanzenanbau, bin spezialisiert auf Wasserschutzgebiete und dafür viel im Außendienst unterwegs. Weil ich unsere Flächen nach Feierabend und am Wochenende bestelle, nennen mich die Nachbarn auch spaßeshalber Mondscheinbauer.
Und wie lässt sich das mit dem Familienleben verbinden?
In Spitzenzeiten habe ich für die Ernte Urlaub genommen. Da wir aber keine Tierhaltung betreiben, ist unser Tagesablauf nicht so sehr dadurch bestimmt. Im Sommer zu verreisen, geht allerdings schlecht. Unsere Töchter fahren dann in den Ferien alleine. Aber in den Herbstferien machen wir als Familie traditionell gemeinsam Urlaub. Der Betrieb ist zwar wichtig, aber Familie und Gesundheit gehen für mich vor – doch direkt danach kommt schon der Hof. Das war bei meinen Schwiegereltern noch ganz anders. Da stand der Betrieb über allem.
Was sind Ihre Aufgaben als Ortslandwirt?
Das ist ein Ehrenamt. Ich bin als Ortslandwirt praktisch das Bindeglied zwischen der Verwaltung, die in Agrarfragen eingeschaltet wird, und der Praxis. Wenn ein Berufskollege Fragen hat, kann ich ihm den richtigen Ansprechpartner vermitteln. Da ich auch Mitglied im Umweltausschuss der Stadt und im Landschaftsbeirat bin, versuche ich auch bei agrarpolitischen Themen mitzuwirken.
Was ist Ihnen mit Blick auf Ihre Berufsgruppe da besonders wichtig?
Viele Landwirte vermissen Akzeptanz von Seiten der Politik. Wir werden vielfach diffamiert, etwa dafür, am Vogelsterben Schuld zu sein. Aber da sind die Windenergie, die Vogelfänger in Italien und die vielen Glasfassaden an Gebäuden auch dran beteiligt. Im Gegenteil: Viele Landwirte tun etwas, das Verständnis und der Umgang mit der Natur werden stetig besser.
Es werden beispielsweise mehr Blühstreifen entlang der Felder angepflanzt, die Insekten Nahrung sowie Niederwild und etwa Vögeln wie Fasanen Deckung bieten. Ich will da als Berater mit gutem Beispiel vorangehen und habe 40 000 qm Blühstreifen angepflanzt – das ist Land, dessen Ertrag mir verloren geht. Aber wir leben nicht mehr wie vor 1000 Jahren, die Natur schafft es an vielen Stellen nicht mehr, sich selbst zu regulieren, deshalb müssen wir helfend eingreifen.
Wie schätzen Sie die Situation der Landwirte ein?
Akzeptanz fehlt leider auch von Seiten der Verbraucher. Viele sind nicht bereit, für gesunde Lebensmittel auch entsprechendes Geld zu bezahlen. Manche aber können das schlicht auch nicht, die Schere geht da immer weiter auseinander – das macht mir Sorge. Dafür müssen heute die Maßstäbe neu gesetzt werden. Ansonsten fühlen wir Landwirte uns ausgebremst. Und: Wir können nicht die heile Welt darstellen, sondern müssen Geld verdienen. Die Jugend, die gerade nachrückt, packt vieles aber schon ganz anders an. Da geht es etwa darum, wie Tiere künftig gehalten werden. Auch das Miteinander wird durch die Jugend gefördert.
Und wie sieht es mit Ihrem eigenen Nachwuchs für den landwirtschaftlichen Betrieb aus?
Unsere älteste Tochter lernt fürs Abitur. Danach will sie eine Ausbildung zur Landwirtin machen, im Anschluss daran studieren. Meine Frau und ich werden den Betrieb weiterführen, die nächsten zehn, 15 Jahre wird das weitergehen. Viele Betriebe sind aber frustriert, weil sich die Landwirtschaft nicht mehr lohnt und die Bürokratie überhandnimmt. Obwohl wir das wissen, sind wir mit Herzblut dabei.