Mülheim. . Die Altersarmut wird bundesweit steigen. Mülheim mit seinem hohen Altersschnitt könnte das besonders treffen. Auftakt der Serie „Alt und arm“.

  • 1790 Menschen in Mülheim haben im Jahr 2016 die so genannte „Grundsicherung im Alter“ erhalten
  • 2036, so die Prognose, könnte bereits jeder fünfte Neurentner von Altersarmut sein
  • Mülheim mit höchstem Altersschnitt der NRW-Großstädte könnte diese Entwicklung stark zu spüren bekommen

Fast 30 Jahre Vollzeit durcharbeiten bei gutem Lohn – so viel braucht es heute, um im Alter nicht unterhalb die Armutsgrenze zu fallen, warnen Forscher. Während die Lebenserwartung auf über 80 Jahre gestiegen ist, sinkt das Rentenniveau sukzessive weiter ab. 1790 Menschen in Mülheim haben im Jahr 2016 die so genannte „Grundsicherung im Alter“ erhalten: Sozialleistungen, mit denen die zu geringe Rente aufgestockt wurde. Im Jahr 2015 gingen bundesweit 3,2 Prozent der Rentner zum Amt. In Mülheim waren es im vergangenen Jahr 4,4 Prozent.

„Auf den ersten Blick scheinen drei bis vier Prozent erst einmal wenig zu sein, wenn man das mit dem Hartz-IV-Bezug in anderen Altersgruppen vergleicht.“ Prof. Dr. Ute Klammer von der Universität Duisburg-Essen kennt die Argumente, die vor allem Arbeitgeberverbände heranziehen. Doch Altersarmut kleinzureden, will die 54-Jährige Forscherin nicht gelten lassen. „Wir wissen, dass es viele Menschen gibt, die diese Leistungen aus Scham oder auch aus Unwissenheit nicht in Anspruch nehmen.“ Die Dunkelziffer der verschämten Armen ist kaum fassbar.

Jeder sechste Ruheständler von Altersarmut bedroht

Einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge ist 2015 jeder sechste Ruheständler von Altersarmut bedroht gewesen. Und das Problem wird in den nächsten Jahrzehnten weiter wachsen: 2036, so die Prognose, könnte es bereits jeder fünfte Neurentner sein.

Forscherin Ute Klammer, die sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, findet klare Worte: „Wir müssen uns anschauen, wo der Zug momentan hingeht. Und man muss jetzt etwas tun, wenn es nicht schon zu spät ist, um noch einen Teil abzufangen.“

Durchschnittsalter von 46,1 Jahren

Gerade Mülheim, das mit 46,1 Jahren (Stand 2015) den höchsten Altersschnitt der NRW-Großstädte aufweist, könnte diese Entwicklung stark zu spüren bekommen.

Bezieher von SGB-XII-Leistungen in Mülheim 2016 („Grundsicherung im Alter“).
Bezieher von SGB-XII-Leistungen in Mülheim 2016 („Grundsicherung im Alter“). © Gerd Bertelmann

Statistisch besonders betroffen sind heute die nördlichen Regionen – insbesondere die Innenstadt, Styrum, Eppinghofen und Heißen. In diesen Gebieten ist auch der Bezug von Sozialleistungen in anderen Altersgruppen groß. Am höchsten sind die Werte in den statistischen Bezirken Altstadt II Südwest und Stadtmitte: Mehr als zwölf Prozent der dort lebenden Senioren erhielten im vergangenen Jahr Grundsicherung. In den Außenbezirken Menden und Speldorf liegt der Wert bei deutlich unter einem Prozent. Im Gebiet Holthausen-Südost bezog 2016 sogar nur ein einziger Rentner Sozialleistungen.

>> Info: Wie Armut definiert wird

Als armutsgefährdet gelten gemäß der Definition der EU alle Menschen, die in einem Land mit weniger als 60 Prozent des mittleren bedarfsgewichteten Einkommens (Median) auskommen müssen. Nach den Ergebnissen des Mikrozensus im Jahr 2013 betraf das Einpersonenhaushalte mit einem monatlichen Einkommen von weniger als 892 Euro.

Als weiterer Schwellenwert lässt sich das politisch festgelegte Bedarfsniveau der Grundsicherung als Maßstab verwenden. Hierbei handelt es sich um Sozialleistungen nach SGB XII. Dieser Satz lag 2016 bei 404 Euro für Alleinstehende beziehungsweise je 364 Euro bei (Ehe-) Partnern im gleichen Haushalt. Hinzu kommen noch Wohnkosten, die regional verschieden sind.