Mülheim. . Bistum präsentiert erste Ergebnisse einer großen Online-Befragung: „Entfremdung“ wird oft genannt. Zahlen sinken aber wieder, auch in Mülheim.
Manchmal ist es ein Skandal, wie der Bau des prunkvollen Bischofssitzes in Limburg, manchmal geht es um die Steuern, wie 2014, als allein in Mülheim 601 Katholiken die Kirche verließen. Als Erklärung für Rekord-Austrittszahlen mögen solche Ereignisse genügen. Wieso aber verabschieden sich auch in ruhigen Jahren zahlreiche Katholiken aus der Kirche? Das Bistum legt jetzt erste Ergebnisse einer groß angelegten Studie dazu vor. Demnach gehe es nicht nur um Geld, sondern oft um „Entfremdung“ und „fehlende Bindung“.
So formuliert es der Religionspädagoge Ulrich Riegel von der Uni Siegen, der als einer der beteiligten Forscher vom Bistums-Magazin Bene interviewt wurde. Die Kirche werde von vielen der Ausgetretenen als „Institution erlebt, die aus Machtinteressen und Ränkespielen besteht“. Sie werde als unglaubwürdig wahrgenommen, weil „die Botschaften und das Verhalten von Kirchenvertretern auseinander laufen“. Eine solche Abkehr entwickle sich längerfristig, die Kirchensteuer oder ein konkretes persönliches Ereignis seien dann nur noch der Anlass für den Austritt.
Hohe seelsorgerische Erwartung der Gläubigen
Besonders in Lebenskrisen werde aus der Entfremdung oft eine schwerwiegende Enttäuschung, sagt Riegel. „Wie bei der Mutter, deren Kind vor der Taufe verstarb, und wo der Pfarrer in der Trauerbegleitung versagte.“ Solches Versagen scheint kaum verzeihlich. Doch Thomas Rünker, der die „Initiative für den Verbleib in der Kirche“ leitet, wirbt um Verständnis: „Unsere hauptberuflichen Seelsorger stehen unter großem Druck, weil sie einerseits verschiedene Orte bespielen müssen und sich andererseits einer hohen seelsorgerischen Erwartung der Gläubigen gegenüber sehen.“
Ulrich Riegel spricht von einem „Kosten-Nutzen-Kalkül“: Da werde die schöne Trauung als positiv verbucht, die lieblose Firmvorbereitung lasse einen Vater aber folgern: „Das reicht, jetzt ist Schluss.“ Solche Erfahrungen seien oft stärker ausschlaggebend für den Austritt als Reizthemen wie der Zölibat, das Frauenbild oder der Umgang mit Homosexualität.
Über 3000 Menschennahmen an Befragung teil
Als Erfolg wertet Thomas Rünker, dass bei der Befragung auch Ex-Katholiken ihr Verhältnis zur Kirche schilderten. „Es hat uns erstaunt, dass in einem Zeitraum von nur sechs Wochen mehr als 3000 Menschen an unserer Online-Befragung teilgenommen haben – darunter 15 Prozent, die die Kirche bereits verlassen haben.“
Den Gründen, warum sich Gläubige verabschieden, geht auch die katholische Kirche in Mülheim nach. „Wir schreiben jedem, der austritt, einen Brief, mit dem ich zum Gespräch einlade“, erklärt Stadtdechant Michael Janßen. „Und, siehe da, ich bekomme relativ viele Rückmeldungen, auch per Mail oder telefonisch.“ Skandale, wie Fälle von Kindesmissbrauch, seien sicherlich für einige ein Thema, so Janßen, aber Austritte haben nach seiner Erfahrung „hauptsächlich finanzielle Gründe“.
Niederschwelliges Angebot für alle Eltern
Die Zahlen gingen zuletzt zurück, doch darauf will sich das Projektteam beim Bistum nicht ausruhen. Im vergangenen Jahr verließen 313 Katholiken in Mülheim die Kirche, 2015 waren es noch 356. Ihre Beweggründe will man weiter erforschen, gleichzeitig geht man auf Wünsche der Gläubigen ein, etwa mit Segnungsgottesdiensten für Neugeborene: „Die Taufe“, so Thomas Rünker, „ist der Beginn einer im besten Fall lebenslangen Beziehung mit Jesus. Und es gibt gute Gründe, sich erstmal zu überlegen, ob man sein Kind taufen lassen will. Die Segnungsgottesdienste sind ein niederschwelliges Angebot für alle Eltern.“
Auch Paaren, die nicht in ihrer Heimatgemeinde heiraten mögen, komme man entgegen. Rünker: „Bisher ist es kompliziert, die Heirat in der Wunschkirche zu organisieren. Das wollen wir erleichtern, darum bauen wir ein Team auf, das die Brautpaare hier berät und konkrete Hilfestellung leistet.“
In guten wie in schlechten Zeiten
In guten, wie in schweren Zeiten: „Die Menschen“, sagt Mülheims Stadtdechant Janßen, „legen größten Wert darauf, dass die Kirche an den Eckpunkten des Lebens für sie da ist.“ Auch bei Trennungen gelte dies, beruflichen Krisen oder anderen Schicksalsschlägen. „Und hier müssen wir als Werkzeug Gottes auch wirklich funktionieren.“