Mülheim. . Mit der neunteiligen Theaterlandschaft Mittelmeer bietet das Theater an der Ruhr brisante und spannende Gastspiele, die ästhetisch überzeugen.
- Das Tehater an der Ruhr bietet an neun Abenden spannendes Theater aus sechs Ländern
- Auftakt bildet eine Uraufführung einer Gemeinschaftsproduktion mit dem Nationaltheater Tunesien
- Der Bogen reicht bis zum Gespräch mit einer Bloggerin und einem irrwitzigen Puppentheater über Assad
Die Theaterlandschaft Mittelmeer am Theater an der Ruhr scheint so aktuell, brisant und spannend, dass man am liebsten keinen der neun Abende vermissen möchte. Von Freitag, 21. April, bis Samstag, 29. April, gastieren am Raffelberg Ensembles aus Tunesien, Spanien, Italien, Spanien und dem Irak. Und das syrische „Collective Ma’louba“ wird mit einer szenischen Lesung einen Einblick in die Produktion „Your Love is Fire“ geben, die dann bei den Ruhrfestspielen uraufgeführt und im Rahmenprogramm der Stücke präsentiert wird.
Konzerte und zwei Diskussionsrunden über religiös motivierte Zensur in Tunesien und über die Rolle der Frau, Islam mit der deutschtürkischen Bloggerin Kübra Gümüsay („Ein Fremdwörterbuch“) runden das Programm ab. Auch ästhetisch erwartet die Zuschauer Außergewöhnliches: von Fotos, die lebendig werden (26. April), bis hin zum gefilmten Puppentheater, das bissig, schrill und anarchisch die Situation in Syrien beleuchtet.
Niemand Geringeres als Baschar al-Assad ist gemeint
Rafat Alzakout hat mit einem Kollektiv unter dem Pseudonym Jameel Alabiad die 30-teilige satirische Puppentheater-Serie „Top-Goon“ produziert und damit auf You-Tube Furore gemacht, aber auch bei Ausstellungen in London, Paris und Moskau. Wer mit dem Ober-Depp, wie der Titel auf Deutsch heißt, gemeint ist, ist niemand Geringeres als der Präsident Baschar al-Assad (27. April).
Fadhel Jaibi, der Intendant des Staatstheater Tunis, zählt zu den renommiertesten Theatermachern der arabischen Welt, ist in der Region durch seine Arbeiten am Bochumer Schauspielhaus bekannt und mit dem beklemmenden Stück „Violence(s)“ aus dem vergangenen Jahr noch in sehr guter Erinnerung. Mit „Peur(s)“ (Angst) knüpft er daran an. „Tunesien ist das einzige Land, das nach dem arabischen Frühling etwas Konstruktives gemacht hat“, sagt Sven Schlötcke, Geschäftsführer des Hauses, „aber es droht der Rückfall in alte Muster und Kämpfe.“
Angst vor Kriminalität, Terror oder Abstieg ist prägend
Die Angst, sei es vor Kriminalität, islamistischem Terror oder dem sozialen Abstieg, ist prägend. Sinnbildlich wird die Isolation des Landes auf der Bühne durch Soldaten, deren Lager durch Sandstürme zugeweht wird. Rettung verheißt ein leerstehendes Gebäude, doch die Solidarität untereinander schwindet. Es ist eine Co-Produktion mit dem Theater an der Ruhr, die am 21. April uraufgeführt wird. „K.O.“ (22. April), ebenfalls ein Gastspiel aus Tunesien, ist die Geschichte einer Frau, die eine Gewalterfahrung erlebt hat. Sie will von einem Boxer, der seine Handschuhe an den Nagel gehängt hat, lernen, sich selbst zu verteidigen.
„Drei Tage ohne Charlie“ zeichnet die Chronologie nach dem Anschlag auf die Satirezeitung nach, der am folgenden Tag die Geiselnahme in einem Supermarkt folgte. Das spanische Theater Nuevenovenos geht den Reaktionen in den sozialen Medien nach, skizziert die Eskalation von Solidarität bis zu Rachegelüsten (24. April).
Nun geht es um einen Amoklauf an einer Schule
Der Frage, was einen Menschen dazu bringt zu morden, geht die italienische Gruppe Anagoor in „Sokrates der Überlebende“ (25. April) nach. Auch die Gruppe hatte im vergangenen Jahr bereits mit „Lingua Imperii“ Maßstäbe gesetzt, das die Triebkräfte des Genozids auslotete. Nun geht es um einen Amoklauf an einer Schule und dafür gab es einen Preis für die beste italienische Produktion. Das ganze Kollegium, bis auf den Philosophie-Lehrer wird umgebracht. Warum? Ein Film thematisiert parallel das Ende des Sokrates, der statt zu fliehen das Urteil akzeptiert und den Schierlingsbecher trinkt.
Emma Dante, in ihrer Heimat längst eine gefeierte Regisseurin, ist hier noch zu entdecken. Verso Medea heißt ihr Spiel mit dem Mythos (29. April). Die Zwillinge Fratelli Mancuso machen dazu so spannende Musik, das ihnen am Vorabend ein eigenes Konzert gebührt.