Mülheim. . Wenn die Wahrnehmung und das Denken gestört sind, können Demente manchmal einen Wahn entwickeln, sagt der Chefarzt der Psychiatrischen Klinik.

  • In der Mülheimer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie werden 15% Ältere mit Verhaltensauffälligkeiten behandelt
  • Der Wahn ist eine Überzeugung, der man mit rationalen Argumenten nicht beikommen kann
  • Die häufigsten Ursachen für eine Demenz sind Alzheimer und Durchblutungsstörungen

Der Fall eines 88-Jährigen, der seine gleichaltrige Ehefrau in Saarn umgebracht hat, wurde vor einigen Tagen am Landgericht Duisburg verhandelt. Der betagte Mann wurde nach Gerichtsbeschluss in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Gutachten hatten dem Saarner, den Angehörige als „lieben Opa“ bezeichneten, zur Tatzeit Schuldunfähigkeit bescheinigt. Die Tat geschah aus Eifersucht, der Mann hatte sich eine Affäre seiner Frau eingebildet.

Die Folge einer durch altersbedingte Gefäßveränderung verursachten Demenz in Verbindung mit einem dadurch ausgelösten Eifersuchtswahn, wie ein Gutachter vor Gericht erklärt hatte.

Der Charakter eines Menschen kann sich verändern

Dr. Rudolf Groß, Chef der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Marien-Hospital (SMH), kennt den konkreten Fall nicht, schätzt ihn aber als absolute Ausnahme ein. Doch ganz allgemein sagt er: „Der Charakter eines Menschen kann sich im Alter im Zusammenhang mit einer Demenz verändern.“ In seiner Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie werden etwa 15 % ältere Patienten behandelt, die Verhaltensauffälligkeiten zeigen. Anlage und Umwelt formen die Persönlichkeit eines Menschen, ein Charakterzug könne sich durch eine Demenz durchaus stärker ausprägen, sagt Groß: „So wird ein sparsamer Mensch im Alter vielleicht geizig, ein konsequenter Mensch fällt durch Altersstarrsinn auf.“ Es könne auch sein, dass eine immer umgängliche und taktvolle Person eine Distanzlosigkeit entwickle, das könne bis hin zur sexuellen Übergriffigkeit gehen.

Doch immer müsse man den Einzelfall sehen: „Ein Charakter kann sich auch ohne ein Krankheitsbild verändern“, betont Groß.

Es können auch Halluzinationen auftreten

Die häufigsten Ursachen für Demenz seien Alzheimer und Durchblutungsstörungen, in jedem Fall sind Abbauprozesse des Gehirngewebes die Folge. Daher seien Menschen in solchen Situationen häufig schuldunfähig: „Es fehlt ihnen ja die Steuerungsfähigkeit, die Einsicht in das Handeln und die Folgen des Tuns.“ Neben Orientierungslosigkeit, dem Verlust von Erinnerung, Kritikfähigkeit und der Klarheit des Denkens könne sich im Laufe einer Demenz auch ein Delir entwickeln. „Das ist ein akut verwirrter Zustand, in dem der Patient die Situation verkennt, Halluzinationen auftreten und falsche Schlüsse gezogen werden“, erklärt Dr. Groß. Auch die Verarbeitung von Gefühlen könne sich verändern. Wenn Wahrnehmung und Denken gestört seien, könnten Demente einen Wahn entwickeln.

Der Wahn sei eine Überzeugung, der man mit rationalen Argumenten nicht beikommen könne, erklärt Rudolf Groß. „Zu versuchen, diesen Menschen vom Gegenteil zu überzeugen, wird kaum etwas bringen. Man trifft dann immer wieder wie auf eine Wand.“

Rat an Angehörige: Nicht sofort widersprechen!

Angehörige sollten lieber deeskalieren, rät Groß: Nicht gleich widersprechen, lieber ein Gespräch aufbauen, um die Situation zu entschärfen. „Erst mal versuchen zu verstehen, was der andere gerade erlebt.“ Häufig komme es vor, sagt Dr. Groß, dass sich Demenzkranke beeinträchtigt fühlen: Sie glauben, dass Nachbarn über sie sprechen, dass sie abgehört werden, dass jemand giftige Gase in die Wohnung einleitet, nennt er einige Beispiele.

Die Angehörigen sollten Hilfe in Anspruch nehmen, rät Dr. Groß, „vor allem, wenn es Konflikte gibt, die in diese Richtung gehen“. Der erste Ansprechpartner sei sicher der Hausarzt, in einer akuten Bedrohungssituation aber auch Polizei und Notarzt.

>> Demente leiden meist an Alzheimer

Rund 60 bis 80 Prozent der dementen Menschen leiden an Alzheimer, 20 bis 30% an Durchblutungsstörungen, Mischformen sind möglich. Andere Ursachen für Demenz sind seltener. „Ab dem 80. Lebensjahr steigt die Häufigkeit von Alzheimer sprunghaft an“, sagt Dr. Rudolf Groß. Der eigentliche Prozess dieser Erkrankung beginne bereits Jahrzehnte zuvor, die Symptome zeigten sich aber erst später. Faktoren, denen man eine Schutzwirkung vor Alzheimer zuschreibt, seien allgemein eine gesunde Ernährung – etwa die Mittelmeerdiät – und Bewegung. „Bewegung ist noch wichtiger als das so genannte Gehirnjogging“, so Dr. Groß. Bewegung rege den Stoffwechsel an.

Die medizinische Forschung suche nach Methoden, Alzheimer frühzeitig zu erkennen und einen Impfstoff/Antikörper gegen die zerstörerischen Proteine zu entwickeln. Derzeit sei es nur möglich, ein Medikament zu verabreichen, das die Signalübertragung im Gehirn verbessert. Dadurch werde die Alltagkompetenz für ein halbes bis ein Jahr verbessert. Der fortschreitende Abbauprozess lässt sich noch nicht aufhalten.