Mülheim. . Drei Jahre vergingen von der Idee bis zur Fertigstellung. Die Premiere von Alexander Waldhelms Erstling in der Essener Lichtburg ist ausverkauft

Alexander Waldhelm kommt gerade aus dem Tonstudio, wo er einige Nachrichten eingesprochen hat. Ein Seitenhieb auf Trump, einen auf den Brexit und einen auf die AfD. In seinem Film „Pottkinder“ werden davon, wenn überhaupt, nur einige Bruchstücke zu hören sein. Es ist das mediale Grundrauschen für eine Esszimmer-Szene mit den Klüsens, um die sich der Heimatfilm dreht. Der 41-Jährige hatte beim WDR nach echten Nachrichten gefragt, doch dafür hätte er dann mehrere hundert Euro auf den Tisch legen müssen - Geld, das er bei seinem No-Budget-Film – dessen Zustandekommen nur der Großzügigkeit vieler kleiner und großer Gönner zu verdanken ist – für Sinnvolleres ausgeben kann. Etwa für die FSK-Freigabe ohne Altersbeschränkung. Dabei ist die erotischste Szene ein Kuss auf die Wange und die mit Abstand aggressivste ein Dartspiel in der Kneipe, wie der Regisseur immer wieder gerne erzählt. Die Prüfer in Wiesbaden rechnen nach Minuten ab und ohne deren Votum gelangt ein Film nur mit einer Freigabe ab 18 Jahren in die Kinos, so dass eine vierstellige Summe herausgekommen wäre. Immerhin gelang es Waldhelm, für seinen Erstling einen reduzierten Tarif erwirken. Nun hofft er auch auf ein junges Publikum für seinen Familienfilm.

Der Schnitt ist abgeschlossen

Die wichtigsten Nachrichten vom Film im Überblick: Der Schnitt ist abgeschlossen, zur Farbangleichung ist er seit mehreren Wochen in einem Labor im indischen Mumbai, schon allein der digitale Datentransfer von 50 Gigabyte dürfte mehrere Tage dauern; die Premiere am 10. Mai in der Essener Lichtburg ist mit ihren 1250 Plätzen bereits ausverkauft; Michael Mölders, der auch den Sohn der Klüsens spielt, stellt in seinem Tonstudio gerade den Soundtrack und die Tonspur fertig; schon am kommenden Donnerstag gibt es in Essen vorab eine Pressevorführung. Chapeau!

„Sieben Drehtage für die Tonne!“

Rund 350 Stunden lang hat Jean Paul Phillip mit Akribie, Fingerspitzengefühl und großer Selbstständigkeit die Materialfülle zusammengeschnitten. Und das zum Nulltarif. „Ein wahrer Glücksgriff“, freut sich Waldhelm. Zum Schluss musste der Film um 25 Minuten auf 108 Minuten gestrafft werden. „Dabei waren wir relativ schmerzfrei“, erzählt er. Es sei aber gelungen, dass jeder, der vor der Kamera gestanden hat auch tatsächlich im Film zu sehen ist. „Das schlimmste, was passieren kann, ist es, die Zuschauer zu langweilen“, stellt Waldhelm fest, was durch die Verdichtung nun nicht zu befürchten sei. Aber fast ein Fünftel der Szenen, das Ergebnis von sieben Tagen einfach so für die Tonne gemacht – das sei schon hart.

Den Soundtrack bilden Bands wie PinkePank, Bashert, Black Electric Club, Gorilladisco und natürlich Double Crush Syndrome, die Band von Andy Brings, der neben anderen Promis wie Gerburg Jahnke, Manni Breuckmann und Wilfried Schmickler einen herrlich unflätigen und rotzig-frechen Pförtner spielt und als Gipfel des schlechten Benehmens seinen Kaugummi im hohen Bogen ausspeit. Unnötig zu sagen, dass Waldhelm auch über die Musik mit der Gema verhandeln musste. Er will sich nicht beklagen. „Es hat mir einen Riesenspaß gemacht, sonst hätte ich nicht in den zweieinhalb Jahren jedes Fitzelchen meiner Freizeit für dieses Filmprojekt verwendet.“ Er ist froh, dass seine Frau und die drei Kinder es ihm ermöglichten, seinen Traum zu leben. In seinem E-Mail-Briefkasten gingen in dieser Zeit rund 3000 Mails ein, er schätzt, dass er die dreifache Menge selbst geschrieben hat. Die Erfahrungen waren fast durchweg positiv, fast jeder, den er fragte, half und so zieren 22 Logos das Presseheft des Films und auch das sei nur ein Ausschnitt. 143 Menschen standen vor und zahlreiche Enthusiasten 36 Drehtage lang hinter der Kamera. Die herbste Enttäuschung dürfte wohl gewesen sein, dass Helge Schneider keine Lust hatte. Umso erfreulicher die Reaktion von Gerburg Jahnke: „Wir haben alle mal klein angefangen.“

Weitere Aufführungen auch in Oberhausen

Wer für die Premiere in der Lichtburg keine Karte mehr bekommen hat, kann die Pottkinder noch mindestens bei drei weiteren Gelegenheiten sehen: Vorführungen in der Freilichtbühne sowie im Ebertbad und der Lichtburg in Essen sind bereits vereinbart, aber noch nicht terminiert. Dann erscheint noch irgendwann die DVD mit den Szenen, von denen er sich am schwersten trennen konnte, den schönsten Patzern und Bonusmaterial.

Am Ende des Gesprächs schiebt Waldhelm eine rote Visitenkarte über den Tisch. Auf der Rückseite steht seine Wunschfilmographie.

Das Arbeitsprogramm bis 2022 steht

Es ist ein ehrgeiziges Arbeitsprogramm: 2020 „Beziehungen - kein schöner Land“, ein handfester Krimi, für den er schon bei einem Gerichtsmediziner recherchiert und über äußerst unappetitliche Todesarten gesprochen hat; 2022 folgt dann die Beziehungskomödie „Das Wunder von Bernd“. Wenn er nur Zeit zum Drehbuchschreiben hätte. Beide Projekte will er professioneller angehen als seinen Erstling und auch möglichst bekanntere Schauspieler dafür verpflichten. Für die Premiere hat sich Waldhelm bereits zwei Smokings bei Ebay besorgt, damit er auf dem roten Teppich, wenn er die Stretch-Limousine verlässt, eine gute Figur macht.