Mülheim. . Die Experten arbeiten in schwindelerregender Höhe: Sie restaurieren das morbide Mauerwerk an der Gnadenkirche.

  • Der Turm der Gnadenkirche in Mülheim-Heißen wird seit Sommer 2016 saniert
  • Aus Sicherheitsgründen muss das Mauerwerk ausgebessert werden
  • Der Kirchturm wurde gereinigt und neu verfugt, er wird wieder richtig rot aussehen

Geläutet haben die Kirchenglocken der Gnadenkirche schon seit Sommer 2016 nicht mehr. Das liegt daran, dass der Kirchturm saniert wird und seit August eingerüstet ist. „Die starken Schwingungen der Glocken könnten die Standfestigkeit des Baugerüstes beeinträchtigen“, erklärt Pfarrerin Reinhilde Lüninghöfener-Czylwik. Einen zweiten Grund nennt Gregor Schultheis, Geschäftsführer des gleichnamigen Spezialbaubetriebes aus Essen, der die anspruchsvollen Instandsetzungsarbeiten ausführt. „Der Mörtel, den wir in die Fugen zwischen den Backsteinen eingearbeitet haben, muss noch fest werden, er sollte nicht durch Schwingungen erschüttert werden.“

33 Meter hohes Baugerüst hat 15 Etagen

Der Diplom-Ingenieur hat uns eingeladen, mit ihm hochzuklettern aufs Gerüst, er möchte uns zeigen, was am Turm (erbaut 1893/94) alles gemacht wurde und noch ausgebessert werden muss. 52 Meter hoch ist der Spitzturm, eingerüstet sind 33 Meter. 15 Gerüstetagen müssen Schultheis’ Leute erklimmen, wenn sie direkt unterhalb des Kupferdaches arbeiten wollen. Von oben sehen die Leute, die über den Marktplatz laufen, winzig aus, man blickt über die Dächer von Heißen – und noch viel weiter. Allerdings pfeift der Wind hier heftig und die Gerüststangen, an denen man sich festhält, sind eiskalt. „Bauarbeiten im Winter können schon ganz schön hart sein“, sagt Sachverständiger Gerold Engenhorst aus Alpen, der die Bauplanung und Bauleitung innehat.

Wegen Sanierungsarbeiten ist der Turm der Gnadenkirche eingerüstet.
Wegen Sanierungsarbeiten ist der Turm der Gnadenkirche eingerüstet. © Oliver Müller

Wegen widrigen Wetters, aber auch, weil immer mehr Schäden am Mauerwerk entdeckt wurden, zieht sich die Sanierung hin (voraussichtlich bis kurz vor Ostern). „Wir haben an vielen Stellen eine starke Schädigung der Alt-Verfugung festgestellt sowie Frostschäden an Backsteinen und Natursteinen“, berichtet Gregor Schultheis. So war es notwendig, die Gesimsbänder zu erneuern und die morbiden Backsteinflächen großflächig zurück- und wieder neu aufzubauen. Teilweise wurden aber auch einzelne zerstörte Backsteine herausgezogen und durch neue ersetzt. „An die 3000 Backsteine sind eingebaut worden, sie sind in Gescher gebacken und hergebracht worden“, so Schultheis. An den Schallluken (für die Glocken) mussten 120 Formziegel ausgetauscht werden. Eine äußerst spannende Entdeckung im Zuge der Bauarbeiten: Auf manchen Backsteinen fand man Einritzungen, Namen oder Signaturen sind ins Mauerwerk gemeißelt: „HN“ und „HO“ steht da oder auch „Gerhard Köpp...“.

Auf manche Steine waren Namen geritzt

Vor dem Austausch der kaputten Steine hatten die Fachleute den Altmörtel auf mögliche, schädliche Salze und andere zersetzende Stoffe untersucht und den gesamten Kirchturm im Substanz schonenden Wirbelstrahlverfahren gereinigt. Danach stemmten oder kratzten sie den alte Mörtel raus und verfugten schließlich alles neu. Nebenbei checkten die Spezialisten auch die Dächer des quadratischen Turmes und seiner vier Flankentürmchen. „Wir haben herausgefunden, dass das Trägergerüst aus Holz noch in Ordnung ist – und haben einige Dachbleche erneuert“, berichtet Gerold Engenhorst.

Veranschlagt waren für die Turmreparatur rund 200 000 Euro, es wird wohl etwas teurer werden (ca. 235 000 Euro), weil die Sanierungsflächen größer waren als gedacht. Ein weiterer Grund ist aber auch, dass der neue Fugenmörtel eine besondere Färbung hat. Er ist nicht mehr grau wie bisher, sondern in Absprache mit der Unteren Denkmalbehörde mit braun-roten Farbpigmenten eingefärbt. So wie er im Urzustand einmal war. „Die Heißener werden überrascht sein, wenn das Baugerüst abgebaut wird. Die Gnadenkirche wird dann in leuchtendem Rot strahlen“, kündigt Gregor Schultheis an.

Zur Geschichte: Turm wurde erst später angebaut

Die Gnadenkirche in Heißen wurde ebenso wie die Lutherkirche in Speldorf und die Immanuelkirche in Styrum von dem Frankenberger Architekten Ernst Roßkothen entworfen. Der Grundriss der dreischiffigen und fünfjochigen Langhäuser ist daher fast identisch.

Der Grundstein für die Gnadenkirche wurde 1882 gelegt, sie wurde im neugotischen Stil aus Backsteinen erbaut und im Oktober 1883 eingeweiht – hatte damals aber noch keinen Turm. Dieser wurde erst 1893 errichtet, er erhielt ein detailreiches Portal aus Natursteinen. Am 10. September 1894 wurde die Fertigstellung des Spitzturms mit seinen ebenfalls spitzen Flankentürmchen gefeiert.

Das  historisches Bild zeigt die Gnadenkirche und den Heißener Markt um 1920. Foto: Oliver Müller / FUNKE Foto Services
Das historisches Bild zeigt die Gnadenkirche und den Heißener Markt um 1920. Foto: Oliver Müller / FUNKE Foto Services © Oliver Müller

Etwa 45 Jahre später musste eine erste große Sanierung der Kirche vorgenommen werden, der Naturstein an den Außensäulen und den Fenstern brach wegen Witterungsschäden nämlich immer weiter weg. Fensterattrappen am Turm wurden in Zuge dieser Restaurierungsarbeiten entfernt.

Ein Bombeneinschlag im Kriegsjahr 1944 beschädigte die Gnadenkirche so schwer, dass sie längere zeit nicht mehr genutzt werden konnte, der Wiederaufbau begann erst 1949, ab 1953 konnten wieder Gottesdienste gefeiert werden. In den 60er sowie in den 70er Jahren wurden die Außenwände schon einmal neu verfugt, der Turm erhielt ein Kupferdach. das Innengewölbe wurde wieder hergestellt, eine Fußbodenheizung installiert, und vieles mehr. Ende der 80er Jahre wurde wieder eine Sanierung fällig, alle Säulen wurden erneuert, morsche Holzbalken ersetzt. Danach war erstmal lange Ruhe, erst jetzt wird an der Kirche erneut gewerkelt – sie wird von außen wieder sicher und schön gemacht.